Projekt für alle Haushalte:Ein "großer Hebel" für klimafreundliche Wärme

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Auch in der Lettenholz-Siedlung findet dieses Jahr der Nahwärmeausbau in Bad Tölz statt - zwischen General-Patton-Straße und der Bundesstraße 472. (Foto: Manfred Neubauer)

Zwei Heizkraftwerke, zwei Heizwerke, zwei Wärmeinseln und eine neue Energiezentrale sollen in Bad Tölz verbunden werden. Der Ausbau des Nahwärmenetzes spart Immissionen ein, fossile Energien spielen kaum noch eine Rolle.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Bad Tölz hätte sich in aller Farbenpracht präsentieren können. Auf mehr als 100 Arealen - von der Verkehrsinsel bis zum Grünstreifen am Straßenrand - wachsen in der Kurstadt allerlei Blumen und seltene Pflanzen, über die Bienen, Hummeln und andere Insekten schwirren. Schon vor sieben Jahren begann man in Tölz, solch naturnahe Flächen anzulegen, um die Artenvielfalt zu bewahren. Das Blühwiesenprojekt - diese Antwort aus dem Rathaus wäre auf die Frage, was das Vorzeigeprojekt im Klima- und Umweltschutz sei, zu erwarten gewesen. Wäre.

Aber die Stadt wartete mit einer Überraschung auf: Sie nannte den Ausbau des Nahwärmenetzes durch die Tölzer Stadtwerke. Ein Vorhaben, das gemeinhin alles andere als schick rüberkommt. Damit sind unansehnliche Bilder verquickt: von großen Erdlöchern, von langen Rohrleitungen, von Baustellen allenthalben. Aber das, sagt Bürgermeister Ingo Mehner (CSU), sei nun mal "der große Hebel" für die umweltfreundliche Wärmeversorgung der Zukunft. Beim Strom sei man landkreisweit schon bei fast 100 Prozent Umstieg auf erneuerbare Energien, bei der Wärme dagegen noch lange nicht so weit. "Das Thema Heizen ist die große Baustelle", sagt Mehner.

Das mit Biomasse betriebene Heizkraftwerk an der General-Patton-Straße ist eines von bislang vier im Tölzer Stadtgebiet. (Foto: Manfred Neubauer)

Und das erfordert in Bad Tölz derzeit immer wieder neue Baustellen. Der Grund: Die Stadt hat vier Heizkraftwerke, respektive Heizwerke im Lettenholz, an der Dreifachturnhalle, der Osterleite und am Hoheneck, dazu zwei Wärmeinseln im Hallenbad und im Eisstadion. Sie alle sollen jetzt miteinander verbunden werden. Außerdem ist am Feuerwehrhaus eine fünfte Station geplant: eine große Wärmeenergiezentrale. Ein Heizkraftwerk, das als eine Art Kommandobrücke dient. Von dort aus wird dann alles gesteuert.

Der Grund für dieses Netz: Heizkraftwerke lassen sich nicht einfach ein- und ausschalten wie das Licht im Wohnzimmer. Mehner vergleicht sie etwas holzschnittartig mit einem Kachelofen, den man anheizt und der langsam wieder abkühlt. Jedes von ihnen versorgt nur einen Teil von Bad Tölz: jenes am Hoheneck beispielsweise das Kurviertel, das an der General-Patton-Straße das Lettenholz-Quartier, und so fort. Wird nun weniger Wärme benötigt, etwa im Sommer, kann durch das Nahwärmenetz das eine oder andere Heizkraftwerk abgeschaltet bleiben - auch dann, wenn ein paar kühle Tage kommen. Ebenso im Herbst, wo kalte und warme Perioden oftmals wechseln.

"Mehr als 30 Prozent weniger CO2-Immissionen"

Dadurch gebe es "mehr als 30 Prozent CO2-Immissionen weniger", sagt Walter Huber, Leiter der Tölzer Stadtwerke. Und auch keine Abgase. "Das ist schon ein Wort." Auf einen anderen Aspekt verweist Andreas Rösch, Projektleiter regenerative Energie und Wärme bei den Stadtwerken. Bei der Stromerzeugung durch Blockheizkraftwerke entstehe durch die Kraft-Wärme-Kopplung auch überschüssige Wärme, die im Nahwärmenetz genutzt werden könne, sagt er. Oder umgekehrt Wärme für Strom.

Der Strom kommt schon zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien, mit der Wärme wollen Bürgermeister Ingo Mehner (l.) und Stadtwerke-Leiter Walter Huber in Bad Tölz nachlegen. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Arbeit in der neuen Wärmeenergiezentrale am Feuerwehrhaus dürfte alles andere als eine Art Vergnügungsfahrt werden. Schließlich ist die Steuerung dort wie ein Auto, das nicht bloß ein Lenkrad hat, sondern mehrere, die gleichzeitig und vorsichtig gedreht werden müssen. Das Wetter, der Wärmebedarf, der Strommarkt, die Preise fürs Holz: "Du musst jeden Tag feinregulieren", sagt Bürgermeister Mehner. Zum Beispiel auch, wie viel Gas noch eingespeist werden soll, um Spitzenlasten abzufedern. Der Anteil dieser fossilen Energie soll allerdings laut Stadtwerke-Chef Huber nicht mehr als fünf Prozent ausmachen. Mehner sagt, man könne kein Heizwerk nur wegen der Spitzenlast bauen, vielleicht für zehn Tage im Jahr. "Deshalb Gas."

Versorgungssicher, umweltfreundlich und platzsparend

Das Nahwärmenetz hat Huber zufolge einige Vorzüge. Der größte davon: Versorgungssicherheit. Wenn es eine Störung gebe oder ein Heizkessel am Wochenende kaputt gehe, böten die Stadtwerke einen 24-Stunden-Service an. Außerdem gewinne man Platz im Haus, weil keine eigene Heizungsanlage und Brennstofflager nötig seien. Vor allem aber: "Nahwärme ist umweltfreundlich." Auf alle Fälle sei man damit CO2-ärmer als beim normalen Heizen.

Ob das Ganze auch günstig ist, vermag Huber jedoch nicht zu prophezeien. Da kommen viele Variablen ins Spiel: die schwankenden Preise für Holz-Pellets, die Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen der Bundesregierung, Besteuerung oder Verbot von Öl und Gas, die Situation auf den Märkten... "Es gibt keine Sicherheit", sagt Huber. Der Einspareffekt liege ohnehin beim Nutzer - über den Verbrauch. Allerdings so viel: Die Stadtwerke seien mit ihren Preisen an den Index des Statistischen Bundesamtes gekoppelt und deshalb vom Kunden jederzeit überprüfbar. Und außerdem: Wer sich für eine Wärmepumpe entscheide, brauche oft eine Fußbodenheizung, "mit alten Heizkörpern ist das sehr unwirtschaftlich".

"Wir haben unsere Hausaufgaben bereits gemacht."

Der Ausbau der Nahwärme, die sich in Tölz zu insgesamt 75 Prozent aus erneuerbaren Energien speist, ist ein Schwerpunkt im Energienutzungsplan, den die Stadt zusammen mit der Energiewende Oberland (EWO) erstellt hat. Den kommunalen Wärmeplan, der jetzt Gesetz werde, habe man schon, sagt Huber. "Wir haben unsere Hausaufgaben bereits gemacht." Allerdings bezeichnet er es als "utopisch", 100 Prozent der Tölzer Haushalte an die Nahwärme anzuschließen - immerhin können sich die Hauseigentümer ja auch für Solaranlagen oder Wärmepumpen entscheiden. Aber die Möglichkeit soll es geben, wofür die Stadtwerke einen Ausbauplan aufgestellt haben.

Die Buchener Straße und der Vichyplatz im Tölzer Badeteil sind derzeit wegen der Arbeiten am Nahwärmenetz gesperrt. (Foto: Manfred Neubauer)

Gerade wird im Kurviertel daran gewerkelt. Nach der Buchener Straße und der Herderstraße ist nun der Berliner Platz an der Reihe, der für den Verkehr gesperrt ist. Ebenso der Vichyplatz. Die nächsten Arbeiten finden dann von der Ludwigstraße zum Max-Höfler-Platz statt; es gibt dabei eine Einbahnregelung in Richtung Buchener Straße. 2024 sind die Badstraße und der Max-Höfler-Platz an der Reihe. Hinzu kommen Teile der Trasse vom Lettenholz hinab zur Dreifachturnhalle an der Jahnstraße, wobei die Stadtwerke wegen des Baus der Nordumfahrung unter Zeitdruck stehen.

Investitionskosten von "drei Millionen Euro pro drei Kilometer" Leitungen

Im Kurviertel, sagt Projektleiter Rösch, wären rund 80 Prozent der Haushalte ans Nahwärmenetz anschließbar. Der Ausbau umfasse dort 5,5 Kilometer, plus 3,2 Kilometer für Hausanschlüsse. Nächstes Jahr seien ebenfalls rund drei Kilometer geplant, erklärt der Verantwortliche für den Nahwärmeausbau in Tölz. Die Investitionskosten beziffert Huber auf "drei Millionen Euro pro drei Kilometer".

Manche Regionen von Tölz werden im Übrigen nicht ans Nahwärmenetz angebunden. Dies gilt etwa für ein Neubaugebiet wie den Hintersberg II (Zwickerwiese). "Ein geringer Energiebedarf, eine geringe Verdichtung", begründet Mehner. Da lohne sich das nicht. Priorität hätten Zonen mit dem höchsten Verbrauch, der höchsten Dichte. Zum Ausbaugebiet zählen deshalb auch Gudrunstraße/ Hindenburgstraße in Richtung Alter Bahnhof.

Das Verlegen der Leitungen ist wegen der hügeligen Geografie von Bad Tölz zuweilen eine Herausforderung. Vor allem aber wegen der Isar. Um mit den Rohren - später einmal - über den Fluss zu kommen, gebe es nur zwei Varianten, sagt Huber voraus. Eine Brücke. Oder einen Düker. Mit seiner solchen Druckleitung unterm Fluss dürften sich die Stadtwerke aber "Jahre in der Genehmigungsschleife" bewegen, mutmaßt er. Schon wegen des Naturschutzes.

Die neue Wärmeenergiezentrale soll neben dem Feuerwehrhaus an der Lenggrieser Straße gebaut werden. (Foto: Manfred Neubauer)

Für die neue Wärmeenergiezentrale am Feuerwehrhaus, die später auch das Obere Griesfeld und einen Abschnitt des Badeteils versorgen soll, mag Bürgermeister Mehner ebenfalls keine genaue Prognose abgeben. "Ich habe Bauchschmerzen, Daten zu nennen, die von Dritten abhängen." In diesem Fall vom Landratsamt, das den komplexen Bauantrag der Stadt genehmigen muss. Zusammen mit der EWO habe man nicht einfach einen Standort herausgesucht, sondern mehrere Varianten umfangreich geprüft, sagt Mehner. Das Areal am Feuerwehrhaus, das verkehrsgünstig an der Schnittstelle zweier Bundesstraßen liegt, erhielt die Stadt vom Privateigentümer langfristig in Erbpacht.

Ein paar Daten zur neuen Energiezentrale lieferte Stadtwerke-Chef Huber in der jüngsten Bürgerversammlung allerdings doch. Sie soll zu 40 Prozent mit Hackschnitzeln, zu 30 Prozent über eine Wärmepumpe, die über eine PV-Anlage betrieben wird, zu 20 Prozent übers Blockheizkraftwerk und zu fünf Prozent mit Gas gespeist werden. Die Leistung liege bei 40 Megawatt, so Huber. Mit dem Start rechnet er Ende 2024 oder Anfang 2025.

Wegen des Vorzeigeprojektes ist der Stadtwerke-Chef stolz auf seinen Projektleiter, die Stadt wiederum stolz auf ihr kommunales Tochterunternehmen. Das klingt auch durch, als Mehner sein Fazit zieht: Mit dem Nahwärmenetz habe Bad Tölz "die Zeichen der Zeit erkannt - die Welt hat sich weiterentwickelt".

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