Wolfratshausen:Flöße müssen weiter auf dem Trockenen bleiben

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Es ist das zweite Jahr in Folge, in dem kein einziges Floß von Wolfratshausen aus nach München schippert. Die Flößer halten sich mit Überbrückungshilfen über Wasser. Doch die Zukunft der Tradition hängt an der kommenden Saison.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Im zweiten Corona-Jahr hat man sich ja fast schon an die Pandemie und ihre Auswirkungen auf den Alltag gewöhnt. Dazu gehört auch eine Loisach, die in Wolfratshausen ganz ruhig in die Isar fließt, ohne die Flöße voller fröhlicher Menschen mit Bier und Blasmusik, die sonst von Mai bis September Richtung München schippern. Es ist nun schon der zweite Sommer ohne Flößer in der Flößerstadt. Die drei Familienbetriebe, die das Traditionsgewerbe aufrechterhalten, das gerade für das immaterielle Weltkulturerbe der Unesco nominiert wurde und auf das die Stadt so stolz ist, hat Corona lahmgelegt. Während Gastronomen ihre Biergärten wieder betreiben und selbst Schausteller wieder hier und dort ihre Fahrgeschäfte anwerfen, sitzen sie weiter auf dem Trockenen.

Wenn Josef Seitner von seiner Situation erzählt, wird wieder deutlich, wie sehr die Pandemie das Leben umwerfen kann. Obwohl der 71-Jährige, der in fünfter Gerenartion Flößer in Wolfratshausen ist, naturgemäß zum gegenteiligen Sprachbild greift. Ein Jahr ohne Floßfahrten hatte er in seinem ganzen Leben bis 2020 noch nicht erlebt. "Es gab mal sechs Wochen Hochwasser in der Saison", erinnert er sich. "Das hat uns gebeutelt, aber man hat sich über Wasser halten können. Jetzt aber", fügt er angesichts der zweiten ausgefallenen Saison hinzu, "sind wir unter Wasser."

Lamentieren ist eigentlich nicht die Sache der Flößer, die mit ihrem Freizeitangebot jahrelang gut verdient haben. Das haben alle drei Betriebe - die von Josef und seinem Cousin Franz Seitner in Wolfratshausen, sowie der von Michael Angermeier in Arzbach - im vergangenen Jahr gezeigt, als sie den Ausfall der Saison angesichts der neuen Pandemie fast stoisch hingenommen haben, wie sie es eben seit Generationen mit Naturgewalten tun. In diesem Frühjahr aber, als die dritte Welle tobte, drohten die Familienbetriebe abzusaufen: Denn im Gegensatz zu anderen Gewerben konnten sie nicht von den staatlichen Corona-Hilfen profitieren. Die November- und Dezemberhilfen gab es für die Flößer nicht, deren Betrieb ja nur bis September geht. Auch verfügen sie über keinen Dachverband, der ihre Interessen vertreten könnte.

In einem Brandbrief an die bayerische Staatsregierung hatten die Flößer klar gemacht, dass sie aufgrund ihrer saisonalen Betriebsform durch alle Raster der Wirtschaftshilfen fallen. Die Stadt Wolfratshausen unterstützte den Hilferuf mit einer Solidaritätsadresse. Die Flößerei sei "ein großes Aushängeschild und ein Alleinstellungsmerkmal", hieß es darin. Die Traditionsbetriebe stünden "vor großen existenziellen Problemen". Kurz darauf wandte sich auch der Wolfratshauser Ehrenbürger und einstige Ministerpräsident Edmund Stoiber in der Sache persönlich an Markus Söder, um ihn auf die "dramatischen Folgen der Pandemie" für die Wolfratshauser Flößer aufmerksam zu machen, "die das kulturelle Bild Bayerns und besonders Oberbayerns seit Jahrhunderten prägen".

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Immerhin hat sich diesbezüglich etwas getan. "Die Nachbesserungen bei den Überbrückungshilfen kamen uns zugute, so dass unsere Existenz für nächstes Jahr gesichert ist", sagt Franz Seitners Tochter Monika Heidl-Seitner, die sich im Betrieb ihres Vaters um die Geschäftsführung und Buchhaltung kümmert und maßgeblich an dem Hilferuf beteiligt war. "Durch den Brandbrief haben wir einen guten Ansprechpartner im Wirtschaftsministerium bekommen, der mit unserem Steuerberater die Richtlinien durchgegangen ist. Unterm Strich", erklärt sie, "sind es die Überbrückungshilfen, die uns gerettet haben."

Die drei Betriebe profitieren auf unterschiedliche Art von den Hilfen: Josef Seitner betreibt mit seiner Flößerei eine OHG und hat drei Festangestellte, die er in Kurzarbeit geschickt hat. Er habe Fixkosten, sein Steuerberater habe nun aber zusätzliche Überbrückungshilfen in Aussicht gestellt, sagt er. Angermeier betreibt eine GmbH & Co. KG. Der Betrieb von Franz Seitner habe hingegen keine Festangestellten und gelte deshalb als Einzelunternehmen, erklärt Heidl-Seitner. Die insgesamt 14 Personen, die sie normalerweise in der Saison beschäftige, habe sie nun wieder vertrösten müssen. Angst, dass sie ihr dauerhaft ausfallen könnten, weil sie nun schon im zweiten Sommer anderweitig über die Runden kommen mussten, hat sie aber nicht. "Meine Flößer gehören mit zum Familienbetrieb", sagt sie. Von vielen seien schon die Väter Floß gefahren, "das ist bei ihnen auch eine Herzensangelegenheit". Als sie ihnen heuer abgesagt habe, hätten sie geantwortet: "Dann packen wir's eben nächstes Jahr an", berichtet Heidl-Seitner. "Meine Männer bleiben mir."

Für kommende Saison sind die Flößer trotz der Erfahrungen zuversichtlich. Zwar haben sie heuer im Frühsommer die Stämme, die schon seit mehr als einem Jahr ungenutzt an der Floßlände bereit lagen, wieder verkaufen müssen, weil sie für Flöße zu trocken geworden waren. Im Herbst aber werden sie wieder neue Stämme aussuchen, sie mit der Hand bearbeiten und an der Floßlände für kommendes Frühjahr bereitlegen, sagen sie. "Wir sind jetzt schon in Kontakt mit den Staatsforsten", sagt Josef Seitner. Schließlich müssten die Bäume im Herbst einzeln ausgesucht werden. Und Monika Heidl-Seitner erklärt: "Nächstes Jahr fahren wir wieder." Das dürfte nicht nur den Saison-Flößern Hoffnung geben, sondern auch den Musikern, Gastronomen, Baumfahrern, Bierlieferanten und freiberuflichen Fotografen, die von dem Freizeitangebot profitieren.

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Heidl-Seitner betont jedoch auch: "Wir werden definitiv nur Geimpfte befördern." Schließlich könne man nicht bei jedem Fahrgast kontrollieren, ob er einen gültigen Schnelltest habe. Wer aufs Floß dürfe und wer nicht, werde wohl ohnehin der Staat vorschreiben, sagt Josef Seitner. Die neuerlichen Beschlüsse der Politik deuteten aber darauf hin, dass Geimpfte mehr Freiheiten bekämen. Einen neuerlichen Lockdown könne er sich nicht vorstellen. Beide hoffen nun inständig, dass die Impfquote steigt und so ausgelassene Floßfahrten mit Musik und Bier im kommenden Frühling wieder möglich sein können. Die finden zwar im Freien statt, aber gewöhnlich mit 50 bis 60 Leuten pro Floß. Mindestabstand und Maskenpflicht sind auf dem Wasser keine Option. Und eine deutliche Reduzierung der Fahrgäste wäre aus Kostengründen kaum machbar. Schließlich zahlen die Firmen, Vereine und Freundeskreise für eine Vergnügungsfahrt mit allem Drum und Dran mehr als 3000 Euro.

Die Flößer wünschen sich aber nicht nur, dass sich die Regeln im kommenden Jahr ändern. Auch das Wetter soll besser werden. "Dieser Sommer war katastrophal", sagt Josef Seitner. "Es gab so viel Hochwasser und Unwetterereignisse - das wäre überhaupt keine gute Saison gewesen." Aus Gewohnheit habe er immer wieder auf dem Laptop nach den Wetterprognosen und den Wasserständen auf Isar und Loisach geschaut, sagt der 71-Jährige. "Wir hätten uns nervlich strapaziert, weil wir ja jeden Tag um vier Uhr früh eine Aussage treffen müssen, ob wir fahren oder nicht", sagt Seitner. "Ehrlich gesagt haben wir heuer fast ein bisschen Glück gehabt, dass die Saison ausgefallen ist."

© SZ vom 18.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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