Klangforschung:"Tagsüber gibt es keine ruhige Minute"

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Die Lärmverschmutzung macht auch vor Nantesbuch nicht halt. Bernie Krause zeigt sich von dem Habitat dennoch begeistert.

Interview von Stephanie Schwaderer

SZ: Herr Krause, was war Ihr erster Eindruck von Nantesbuch?

Bernie Krause: Ich war überwältigt von der Schönheit dieses Ortes und davon, wie viel Aufmerksamkeit hier in jedes Detail gesteckt wird. Ich habe viele schöne Plätze gesehen, aber dieser hier ist magisch.

Wenn Sie an einem neuen Ort ankommen, erfassen Sie ihn mit den Augen oder mit den Ohren?

Nun ja, ich sehe nicht sehr gut. Meine Ohren sind für den ersten Eindruck sehr wichtig. Aber in Nantesbuch bekommt man auch einen starken visuellen Eindruck - die Alpen, die Umgebung. Allerdings bin ich nicht zum ersten Mal hier. Vor einem Jahr war ich schon einmal zu Gast bei der Stiftung.

Wie also ist Ihr zweiter Eindruck?

Noch stärker als der erste. Diesmal hatten wir die Möglichkeit, in einer interdisziplinären Meisterklasse zusammenzuarbeiten. Tolle Leute, die alle sehr kompetent auf ihrem Gebiet sind, hingebungsvoll und kreativ. Manche haben einen streng akademischen Hintergrund, andere kommen von der künstlerischen Seite, dritte, so wie ich, sind irgendwo dazwischen. Gemeinsam sind wir in ganz verschiedene Richtungen navigiert.

Das Kernstück Ihrer Arbeit sind Field Recordings, also Tonaufnahmen unter freiem Himmel. Um wie viel Uhr mussten Sie aufstehen?

Nicht allzu früh, um vier Uhr morgens. Das ist eher spät für uns. Die Natur wartet ja nicht. Wir müssen da sein, wenn sie erwacht. Wir müssen sie erwarten.

Das Wetter war die meiste Zeit schlecht. Sind Sie mit den Ergebnissen zufrieden?

Sehr zufrieden! Wir haben exzellentes Material! Obwohl es für Insekten und Amphibien zu kalt war, haben wir die unterschiedlichsten Klänge aufgezeichnet - allein um die 50 Vogelarten, Drosseln, Meisen, Gänse, auch sehr spezielle Arten, deren Namen ich nicht kenne. Ich war wirklich erstaunt über diese Vielfalt.

Wie sieht es mit menschengemachtem Lärm aus?

Auch davon gibt es hier jede Menge. Er kommt von den größeren und kleineren Straßen, von Autos, Motorrädern, Flugzeugen. Nur in den frühen Morgenstunden hört man keine Zivilisationsgeräusche. Tagsüber gibt es praktisch keine ruhige Minute.

Wo haben Sie Ihre Aufnahmen gemacht?

Wir sind ausgeschwärmt, waren an zehn, zwölf verschiedenen Standorten auf dem Stiftungsgelände. Was mich erstaunt hat: Manchmal waren wir nur 50, 60 Meter voneinander entfernt, aber jeder von uns zeichnete ganz unterschiedliche, bisweilen einzigartige Klänge auf.

Das heißt, es gibt nicht die eine Klanglandschaft von Nantesbuch, sondern ganz verschiedene?

Jeder Platz hat seinen eigenen Klang. Ein paar Bäume, die auf einer Wiese zusammen stehen, bilden schon eine kleine ökologische Insel. Topografie, Vegetation, Bodenfeuchtigkeit - all das beeinflusst die Klangstruktur eines Standorts. Das Entscheidende für mich war: Die meisten Habitate, die wir aufgenommen haben, klingen sehr gesund. Vor allem die renaturierten Gebiete im Haselbachtal. Das hat mich wirklich gefreut. In Amerika gibt es das nicht mehr so häufig.

Aber auch in der Gegend um Nantesbuch sind die Morgen viel stiller geworden, als sie es etwa vor zehn Jahren noch waren.

Das liegt am dramatischen Einbruch der Insektenpopulation, ein Rückgang um 70 Prozent - das wirkt sich natürlich auf die Vögel aus. Sie finden keine Nahrung mehr. Deshalb gibt es auch hier nicht mehr die gleiche Biodiversität und Dichte wie noch vor zehn Jahren. Aber wenn man sich die Spektogramme von Nantesbuch anschaut, also die grafische Darstellung der Klänge, dann sieht man, dass die Habitate dort noch weitgehend intakt sind. Das hat mich sehr überrascht.

Woran erkennen Sie das?

In gesunden Nischen klingen die Soundscapes wie ein Orchesterarrangement. Und die Spektogramme illustrieren das. Sie zeigen genau, wo jedes Tier seinen Platz hat. In einem gesunden Habitat findet jedes Tier seine akustische Bandbreite, sein akustisches Territorium, in dem seine Stimme nicht von anderen Stimmen überdeckt wird. Für Vögel ist das zum Beispiel wichtig, damit sie kommunizieren und brüten können. Sie finden ihr Territorium und behaupten sich darin. Auf diesen Erkenntnissen habe ich die Akustische-Nischen-Hypothese aufgebaut.

Ausgehend von dieser Hypothese: Wie steht es um Nantesbuch?

Es ist kein völlig gesundes Habitat, aber es hat starke Indikatoren. Tatsächlich wird es immer schwieriger, intakte Klanglandschaften zu finden. Ich bin glücklich, hier zu sein, auch wenn das Habitat nicht perfekt ist.

Was fehlt?

Das kann ich nicht sagen, weil ich hier ja zum ersten Mal Aufnahmen gemacht habe. Aber jetzt haben wir eine Basis, auf der wir aufbauen und die Entwicklung weiter verfolgen können.

Sie müssen also wiederkommen?

Das muss ich. Und zwar oft. Ich hab hier ein Zimmer, an dem mein Name steht ( lacht).

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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