Nach der Hagel-Katastrophe:Frust und Freundschaft

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Nachbarschaftshilfe ist oft die schnellste Hilfe, die zu bekommen ist. Diese Erfahrung haben Silvia Rundbuchner (links) und Anja Bernböck gemacht. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In Benediktbeuern liegen Leid und Hilfsbereitschaft nahe beieinander. Annita Brenner, Anja Bernböck und Silvia Rundbuchner berichten von ihren Erfahrungen.

Von Felicitas Amler, Benediktbeuern

Kaum eine Straße in Benediktbeuern, durch die man sich mit dem Auto nicht langsam schlängeln muss. Allenthalben stehen Pritschenwagen, Transporter, Hebebühnen und Paletten mit Dachziegeln an den Rändern. Kaum jemand im Dorf, der eine Woche nach der Hagel-Katastrophe nicht mit Aufräumen, Reparieren, Instandsetzen beschäftigt ist. "Man sieht im Dorf genau, wer einen Handwerker in der Familie hat", sagt Anja Bernböck und zeigt hier und da auf ein Dach, das farblich aus der derzeitigen Benediktbeurer Dächerlandschaft heraussticht - weil es rötlich schimmert: frisch eingedeckt. Die anderen glänzen im Sonnenlicht weiß oder grün. Das sind die Farben der Folien, mit denen die Bewohner selbst, helfende Hände aus der Bekanntschaft oder die Feuerwehr die Häuser notdürftig nach dem Hagel vor dem danach viel zu lang anhaltenden Starkregen geschützt haben.

Die Wucht der Hagelkugeln war durchschlagend. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Inzwischen scheint die Sonne wieder. Doch die Gefahr ist wohl noch nicht gebannt. Ein Hausbesitzer warnt: Nächste Woche drohe starker Wind aufzukommen. Sollten die Folien dann runterfliegen, so tauschen sich die Betroffenen untereinander aus, dann werde die Versicherung für weitere Schäden nicht aufkommen.

"Es gibt Wärmflaschen"

Die Versicherung - eines der Hauptthemen im Ort. Wo war der Gutachter schon, wo hat er sich nur angesagt? "Wir können mit dem Dach nicht loslegen, weil wir noch keine Schadensnummer haben", sagt Bernböck. Und Annita Brenner kann nur hoffen, dass der Sachverständige endlich, wie angekündigt, auftaucht. Die Tierärztin und ihren Mann Peter, ebenfalls Veterinär, hat der Hagel hart getroffen. Kein warmes Wasser - die Solartherme ist zerdeppert, und die Holzheizung kann nicht laufen, weil die Pellets vom Regen durchtränkt sind. Annita Brenner nimmt's mit Galgenhumor: "Es gibt Wärmflaschen."

Eigentlich arbeitet sie als Tierärztin, die zu den Leuten kommt: "Vetmobil Oberland", steht an ihrem Haus. "Aber mit mobil hat sich's", sagt sie. Denn ihr Wagen ist vom Hagel so demoliert, dass er nicht mehr fahrtüchtig ist. Als sie bei ihrer Versicherung angerufen habe, erzählt sie, habe der Vertreter gleich geraten: "Benediktbeuern, Hagel?" - "Ja." - "Nummer 350."

Geeignete Handwerker zu bekommen, ist für die Betroffenen in Benediktbeuern aktuell ein Glücksfall. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Frust" ist das meistgehörte Wort im Gespräch mit Brenner und Bernböck. Und dieser Frust sitzt tief, weil sie wie offenbar viele andere so schrecklich enttäuscht sind, dass der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen nicht den Katastrophenfall (K-Fall) ausgerufen hat. In Bad Bayersoien sei es viel leichter und schneller gegangen mit der Nothilfe, sagen sie, weil dort eben der K-Fall gegolten habe. Natürlich sei das Thema jetzt rum. Aber dass niemand auf eine solch wetterbedingte Katastrophe vorbereitet zu sein schien, das verbittert viele in Benediktbeuern. Dabei wisse man doch, was mit dem Klimawandel ins Haus steht, meint ein Angehöriger.

Ungeahnte Hilfsbereitschaft

Und doch wussten sich die Menschen zu helfen - sich selbst und einander. Anja Bernböck und Silvia Rundbuchner sind die besten Zeuginnen. Beide waren zur Zeit des Hagels im Urlaub in Italien. Beide brachen sofort auf, um zu Hause nach dem Rechten zu sehen. Und beide erlebten ungeahnte Hilfsbereitschaft. Rundbuchner erzählt, wie ihre Nachbarn sie in Italien anriefen: "Ihr habt kein Dach mehr und keine Fenster!" Nach sechseinhalb Stunden eiliger Heimreise seien sie in Benediktbeuern angekommen: "Und alle unsere Freunde waren schon vor Ort." Sie hatten die gröbsten Schäden beseitigt, Scherben entfernt, das Dach teilweise abgedeckt und die Fenster mit Regalbrettern aus dem Rundbuchnerschen Elektrobetrieb gleich neben dem Wohnhaus abgedichtet. "Und am nächsten Tag waren zwanzig Helfer da, inklusive der Feuerwehr Penzberg, die an diesem Tag hier eingesetzt war."

Diese Soforthilfe gab Familie Rundbuchner wiederum Raum, um den Bernböcks zur Seite zu stehen. Anja Bernböck sagt, sie könne gar nicht genug dafür danken. Ihr selbst habe die Hagel-Katastrophe so zugesetzt, dass erst einmal die Nerven mit ihr durchgingen: "Ich habe nur noch geweint." Aber die Bekannten hätten mit angepackt: "Zehn Mann standen bei uns auf dem Dach." Einer sei mit Bulldog und Schaufel gekommen, einer mit Folie.

Scherben in der Tonne sind kein Problem. Aber sie liegen auch überall in den Gärten im Rasen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Dennoch bleibt überall so viel zu tun. Und wer keinen Handwerker persönlich kennt, muss unter Umständen noch lange auf wirkliche Reparatur seines Dachs, seiner Fenster und seiner Inneneinrichtung warten. Bei Familie Rundbuchner laufen in allen Zimmern Ventilatoren und Entfeuchter. Denn als sie vor einer Woche zu Hause ankamen, sei überall Wasser gewesen: "Es kam aus den Lampen, es kam aus den Steckdosen." Der Fußboden hat viel davon aufgesaugt. Auf einen Dachdecker wollen sie nicht warten, erklärt Silvia Rundbuchner: "Wir decken unser Dach selbst." Die Freunde helfen wieder, und glücklicherweise ist darunter auch ein Zimmerer. Und das Material? "Das Holz kommt aus Sachsenkam, die Dachziegel aus Thanning."

Bei Vetmobil Oberland aber, wo "kein Ziegel mehr ganz" ist, wie Annita Brenner sagt, hat der Dachdecker angekündigt, es könne sein, dass er's vor dem Winter nicht mehr schafft.

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