Geretsried/Wolfratshausen:Sieber-Verfahren wird zum Millionenprozess

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Konkursverwalter Josef Hingerl will zwölf Millionen Euro Schadenersatz vom Freistaat erstreiten. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Insolvenzverwalter der Großmetzgerei hat per Crowdfunding 250 000 Euro gesammelt. "Not macht erfinderisch", sagt Josef Hingerl und erhöht nun seine Schadensersatzforderung gegen den Freistaat.

Von Viktoria Spinrad, Geretsried/Wolfratshausen

Josef Hingerl ist dieser Tage bester Dinge: Der Insolvenzverwalter der Geretsrieder Großmetzgerei Sieber kann zum nächsten Schlag gegen den Freistaat ausholen. Kurz vor Ablauf war sein Crowdfunding doch noch erfolgreich, sodass er nun alles auf eine Karte setzen kann - mit einer Schadenersatzklage von nun zwölf Millionen Euro gegen den Freistaat. "Sonst wären wir weg vom Fenster gewesen", sagt Hingerl.

Es ist ein Triumph für den in der Region bekannten Insolvenzverwalter - ein Triumph, der den Freistaat in diesem aufsehenerregenden Schadenersatzverfahren nicht freuen dürfte. Nach Listerienfunden in Sieber-Produkten und einer Infektionswelle hatten die Behörden das Unternehmen, das jährlich rund 25 Millionen Euro Umsatz gemacht hatte, schließen lassen. Die Firma ging insolvent, 120 Menschen mussten sich einen neuen Job suchen. Der Fall schlug bundesweit Wellen - auch der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer sah sich genötigt, das Vorgehen gegen das Unternehmen zu verteidigen.

Gerichtsverfahren nach Listerienfund
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Der Insolvenzverwalter der Geretsrieder Großmetzgerei Sieber will zwölf Millionen Euro Schadenersatz einklagen. Dafür sammelt er per Crowdfunding Geld. Er braucht 250 000 Euro.

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Bei der Schadenersatzklage gegen den Freistaat geht es um die Frage: Haben die Behörden damals überreagiert? Und, in der Konsequenz: Muss der Freistaat für den Schaden haften? Fragen, auf die sich das Verbraucherschutzministerium nun akribisch vorbereiten dürfte. Zumal das Ministerium bei einer ersten Verhandlung vor einem Jahr nicht gut dastand. Damals zweifelte der Vorsitzende Richter Frank Tholl die Entscheidung des Freistaats an und gab diesem noch öffentlich einen Rüffel für seine Warnhinweise mit.

Ab jetzt geht um die volle Summe von 12 149 074, 54 Euro

Weil damals das Geld aus der insolventen Firma nicht mehr reichte, um die nötigen 250 000 Euro Prozesskosten zu hinterlegen, beschränkte man sich zunächst auf den Teilbetrag von 47 000 Euro. Um auf die volle Summe zu kommen, wurde Insolvenzverwalter Hingerl kreativ. Für 10 000 Euro inserierte er in Metzgerei-Fachblättern und suchte nach Mitstreitern. "Gesucht: Prozessfinanzierung im Pilot-Prozess Sieber", so der Aufruf. Der war nun erfolgreich. 250 000 Euro sammelte Hingerl nach eigenen Angaben. Der offizielle Streitwert unter dem Aktenzeichen 15 O 18592/17 beträgt nun 12 149 074, 54 Euro. "Not macht erfinderisch", sagt er.

Angefangen hatte der Skandal mit einem Wacholder-Wammerl in Franken. Vor dreieinhalb Jahren fanden die Behörden bei einem Wammerl in einem Supermarkt überhöhte Listerien-Werte. Nachdem Sieber selbst eine Warnung herausgegeben hatte, überprüften die Behörden den Betrieb, wo sie weitere erhöhte Werte fanden. Nach einigem juristischen Hin und Her gaben sie die umstrittene amtliche Warnung raus, die der Richter später rüffeln sollte, weil in ihr auch von behördlichen Maßnahmen gegen die Firma die Rede war. Hunderte Tonnen Fleisch, Wurst und vegetarische Aufschnitte wurden zurückrufen. Das Landratsamt verhängte einen totalen Produktions- und Vertriebs-Stopp gegen Sieber. Das Unternehmen ging insolvent.

Welche Unternehmen nun mit ihrer Spende das Verfahren gegen das Ministerium unterstützen, mag Hingerl nicht verraten. Kein Wunder, schließlich hängen die Firmen von der Behörde ab, die ihre Entscheidung nun öffentlich rechtfertigen soll. Dabei geht es um verschiedene Grenzwerte kolonienbildender Einheiten pro Gramm. Der Vorwurf: Das Amt soll das falsche Maß angelegt und unnötig die Reißleine gezogen haben. Denn für Produktionsbetriebe und den Handel gelten verschiedene Grenzwerte. "Im Betrieb war alles in Ordnung", sagt Hingerl.

Das Verbraucherschutzministerium steht zu seiner Entscheidung

Der Freistaat sieht das freilich anders. Auf Anfrage verweist das Verbraucherschutzministerium darauf, dass das Münchner Verwaltungsgericht sowohl die Verbraucherwarnung als auch das Produktionsverbot bestätigt hatte. "Der Schutz der Verbraucher hat in Bayern oberste Priorität", so ein Sprecher. Vor Gericht hatte die Behörde im vergangenen Jahr argumentiert, dass die Einhaltung des Grenzwerts bis zum Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums garantiert sein müsse und dass man nicht ausschließen könne, dass manche Leute die Ware auch roh essen. Umso kurioser erschien es Beobachtern, als bekannt wurde, dass das Land Bayern wegen der "Vorbildfunktion" von Sieber selbst eine halbe Million Euro in die Großmetzgerei investiert hatte.

Für einen geht es jetzt weiter um die Existenz. Weil Geschäftsführer Dietmar Schach persönlich haftete, blieb ihm ein Schuldenberg von drei Millionen Euro, wie es damals vor Gericht hieß. Vergleichsweise gering erschien das strafrechtliche Urteil. Wegen Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher Lebensmittel wurde Schach zu 900 Euro Geldstrafe verurteilt. Auf dem 12 000 Quadratmeter großen Firmengelände hat heute das Pizza-Startup Franco Fresco seinen Sitz.

Nun geht es um das Zivilrechtliche, um juristische Fragen wie: Hätte überhaupt gewarnt werden dürfen? Und: Hätte in dieser Form gewarnt werden dürfen? Damals war die Fallhöhe für das Ministerium gewaltig, schließlich hatte das Robert-Koch-Institut die Messungen mit einer Ausbruchswelle von Listeriose und mehreren Todesfällen in Süddeutschland in Verbindung gebracht. Während die Ansteckung mit Listerien für Erwachsene eher harmlos ist, kann die Infektionskrankheit bei Ungeborenen, Babys, Senioren und Menschen mit geschwächtem Immunsystem tödlich enden. Hingerl hingegen relativiert die Messergebnisse. "Grenzüberschreitungen gibt's ständig", sagt er, "das ist wie bei Rot über die Ampel gehen."

Möglich, dass das Ministerium nach Lebensmittel-Skandalen wie Müller-Brot und Bayern-Ei vorsichtiger wurde. Nach dem Motto: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig nach vorne preschen. Hingerl sagt: "Angst ist der schlechteste Ratgeber." Bis er den Fall zu den Akten legen kann, dürfte es noch Jahre dauern. Er will ein Präzedenzurteil, auf das er weitere Verfahren stützen kann. "Ich gehe auch bis zum Bundesgerichtshof", sagt er.

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