Empörung wegen Baumschnitt:Ramponierte Riesen

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Wie amputiert: Weil ein dürrer Ast vor einem Fußgänger auf die Straße gefallen ist, hat der Grundeigentümer die alten Eichen bei Oberherrnhausen radikal zurückgestutzt. Bürgermeister Moritz Sappl hält das für angemessen, der Sprecher der örtlichen Agenda 21, Wolfgang Neuerburg, ist hingegen "entsetzt". (Foto: Hartmut Pöstges)

Bei Oberherrnhausen hat ein Grundeigentümer alte Eichen radikal gestutzt. Naturschützer sind entsetzt. Bürgermeister Moritz Sappl verteidigt die Aktion unter Verweis auf die Verkehrssicherheit.

Von Stephanie Schwaderer, Eurasburg

Biobauer Manfred Schmid fasst die Aktion in drei Worten zusammen: "Das ist Heimatzerstörung." Der Anblick der alten Eichen-Halballee bei Oberherrnhausen geht ihm sichtlich nahe. "Das glaubt man nicht, das muss man sich anschauen", sagt er. Die mehr als hundert Jahre alten Bäume an der kleinen Straße nach Unterherrnhausen stehen seit kurzem wie amputiert in der Landschaft. Zur Straßenseite hin wurden alle Äste bis in die Kronen hinauf abgesägt. Während sich die ostwärts ausgerichteten Zweige gerade mit zartem Grün belauben, ragen auf der Westseite nur noch Dutzende Stümpfe aus den Stämmen. Warum? Das fragt sich nicht nur Schmid.

Die Antwort, die Bürgermeister Moritz Sappl (GWV) auf diese Frage gibt, lautet kurz gesagt: Verkehrssicherungspflicht. Es habe im Frühjahr "fast einen Personenschaden" gegeben, erklärt er. Ein großer dürrer Ast sei vor einem Fußgänger auf die Straße gefallen. Glücklicherweise sei nichts passiert. Die Gemeinde habe sich daraufhin aber an den Eigentümer gewandt und ihn aufgefordert, die "nötigen Maßnahmen" zu ergreifen. Ist der Landwirt dabei womöglich übers Ziel hinausgeschossen? Nein, sagt Bürgermeister Sappl, auch wenn die Allee gerade "ein bisserl wild" aussehe. "Das wirkt drastischer, als es ist." In den Baumkronen habe sich über die Jahre "sehr viel Totholz" angesammelt. Der Eingriff sei daher notwendig gewesen und korrekt vollzogen worden.

Zu einer ganz anderen Einschätzung kommt hingegen Wolfgang Neuerburg, pensionierter Förster und Sprecher der Agenda 21 in Eurasburg. "Ich bin entsetzt", sagt er. "Das geht nicht, so kann man nicht arbeiten, und in dieser Radikalität lässt sich das auch nicht mit Verkehrssicherung begründen." Neuerburg hat sich die Schnittstellen genauer angesehen. Hinweise auf Fäulnis hat er nicht gefunden.

Seiner Ansicht nach wäre es ausreichend gewesen, einzelne tote Zweige zu entfernen. Nun aber seien dicke gesunde Äste teils so unsachgemäß entfernt worden, dass lange Risse in der Rinde klafften, sagt Neuerburg. "So produziert man Faulstellen." Mindestens einer der Riesen wurde seinen Worten nach "so rasiert", dass er sich vermutlich nicht mehr erholen werde. "Die anderen werden schon wieder austreiben", schätzt der Eurasburger Umweltschützer. "Aber was gibt das für ein Bild?" Mit Naturschutz und Nachhaltigkeit sei diese Aktion unvereinbar.

Zwischen den ramponierten Eichen und Hans Urbans Bio-Bauernhof liegen nur ein paar Hundert Meter. Der Landtagsabgeordnete der Grünen verteidigt den Allee-Besitzer. "Ich hätte es auch verstanden, wenn er die Bäume ganz umgeschnitten hätte." In Deutschland regiere nun einmal "der heilige Asphalt". Die Gemeinde Eurasburg schlage bei dem Thema Verkehrssicherheit einen besonders scharfen Ton an, so Urban. Im März habe sie alle Grundeigentümer mit einem Schreiben nachdrücklich an ihre Pflichten erinnert. Da hätten sich einige "einschüchtern" lassen und zur Säge gegriffen, sagt Urban. Und fügt hinzu: "Ich nicht." Er kontrolliere das fragliche Astwerk auf seinem Grund alle sechs Monate, damit sei er auf der sicheren Seite.

Die alte Eichen-Allee bei Oberherrnhausen sieht auch in seinen Augen "katastrophal" aus. Die Verantwortung dafür trage jedoch nicht der Landwirt, betont Urban mehrfach. "Warum sollte er Tausende von Euro ausgeben für einen Baumpfleger und eine Hebebühne, wenn es auch einfacher geht?" Seiner Ansicht nach müsste es Sache der "Allgemeinheit" sein, entsprechende Kosten zu übernehmen. Markante Einzelbäume, alte Alleen oder andere Naturschönheiten, so der Grünen-Abgeordnete, sollten mit öffentlichen Geldern gepflegt werden. Sein Vorschlag: Pro Jahr könnte die Gemeinde 10 000 Euro in den Haushalt einstellen, um Grundbesitzern unbürokratisch professionelle Hilfe bei Pflegemaßnahmen entlang der Gemeindestraßen anzubieten. "Das sollte es uns wert sein." Grundsätzlich sei es nötig, Subventionen anders als bislang zu verteilen, nicht intensiv genutztes Agrarland, sondern ökologisch wertvolle Flächen zu fördern und den Fokus insgesamt stärker auf das Gemein- als auf das Einzelwohl zu legen, sagt der Bio-Bauer und Politiker.

Ein klarer Handlungsfaden zum Natur- und Artenschutz liegt laut Urban mit dem Volksbegehren "Mehr Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern" - bekannt unter dem Slogan "Rettet die Bienen!" - aus dem Jahr 2019 vor. Der Eurasburger Gemeinderat habe die Agenda 21 in der April-Sitzung zudem damit beauftragt, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu erarbeiten. In dieser müssten dann auch alte Bäume und andere Naturschönheiten berücksichtigt werden, so Urban. Außer Frage steht, dass Eichen wertvolle Lebensräume sind - für Vögel und Insekten, Pilze und Flechten. Unter dem Aspekt der Biodiversität zählen sie zu den Spitzenreitern unter den Bäumen.

Die Untere Naturschutzbehörde im Tölzer Landratsamt kann zum konkreten Fall vorerst keine Stellung nehmen. Dazu müsse sich ein Kollege erst ein Bild machen, erklärt Pressesprecherin Sabine Schmid. "Ob es sich um einen sachgemäßen Zuschnitt handelt, wird genauer geprüft."

© SZ vom 25.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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