Ein Zuhause für psychisch Kranke:Historisches Häuschen für den Neuanfang

Lesezeit: 3 min

Mehr als 400 Jahre alt soll das Häuschen am Obermarkt sein, in dem nun fünf psychisch Kranke unterkommen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Haus Buchenwinkel konnte sein betreutes Einzelwohnen im Landkreis erweitern. Am Wolfratshauser Obermarkt sind fünf Einzimmer-Apartments entstanden, die langfristig vermietet werden - in einem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Mit historischen Gebäuden ist der Verein Projekte für Jugend- und Sozialarbeit bestens vertraut. Schließlich betreibt er mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in einer gemeinnützigen GmbH das Haus Buchenwinkel in Icking. In dem einstigen Gutshof von 1928 werden seit 14 Jahren psychisch Kranke betreut, die dort auch leben. Nun hat die Einrichtung ihr betreutes Einzelwohnen erweitert: Am Obermarkt 59 in Wolfratshausen sind fünf Wohnungen entstanden. Das Häuschen, das zwei Jahre lang umgebaut wurde, stammt laut Holzanalyse aus dem Jahr 1640. Am Montag haben es die Betreiber vorgestellt.

Das Haus Buchenwinkel bietet damit insgesamt 14 Plätze im betreuten Einzelwohnen. Das Stammhaus in Icking verfügt, neben 18 stationären Plätzen, über sechs Wohnungen, hinzu kommen drei im Landkreis angemietete Wohnungen, in denen psychisch Kranke betreut leben. Das aber ist eine Ausnahme, wie Geschäftsführer Holger Steckermaier betonte. "Wir haben viele Bewohner, die wir für mietfähig halten", sagte er. Eine Wohnung für sie zu finden sei jedoch schwierig, "weil niemand einen psychisch Kranken neben sich im Haus haben will". Daher bleibe oft nur die Möglichkeit, Immobilien zu erwerben.

In Wolfratshausen hat sich das durch Vermittlung von Gerlinde Berchtold aufgetan. Die SPD-Stadträtin hatte bei der Zehn-Jahres-Feier im Haus Buchenwinkel 2017 gehört, dass der Vereinsvorsitzende Jürgen Salzhuber dringend neuen Wohnraum suchte - und den Kontakt zu Ursula und Werner Salzhuber vermittelt, die das Häuschen am Obermarkt von einer Tante geerbt hatten. 2019 erwarb die AWO die Immobilie. Etwa 550 000 Euro wurde in das Haus investiert, der Löwenanteil von 360 000 Euro fiel für die Sanierung an.

Die Wohnungen sind zwischen 20 und 30 Quadratmeter groß und kosten bis zu 370 Euro Kaltmiete im Monat. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Umbau erwies sich als Herausforderung, wie Architekt Martin Strauch vom Büro Sorge Architekten berichtete. Neben den statischen Problemen - die Bodenplatte musste unterfangen werden - habe auch der hohe Grundwasserspiegel die Arbeiten am Häuschen nahe der Loisach verzögert. Als Auflage der Denkmalschutzbehörden musste die alte Räucherküche erhalten bleiben, die nun als geschlossener Raum ungenutzt bleibt. "Es hat länger gedauert als geplant", sagte Geschäftsführer Steckermaier. "Aber wir sind froh, dass wir nun die Wohnungen anbieten können."

Insgesamt fünf Einzimmer-Apartments gibt es im Ober- und Erdgeschoss, jeweils mit Küche und Bad. Vier sind bereits bewohnt, das letzte freie soll kommende Woche bezogen werden. Die zwischen 25 und 30 Quadratmeter großen Wohnungen sind bescheiden, aber charmant. Schließlich hat das Häuschen, an dessen Fassade ein Schild des Historischen Vereins an den früheren Namen "Zum Lederpürl" erinnert, seine Eigenheiten: abschüssige Flure etwa und verwinkelte Räume. Mal gibt es eine Kochzeile im Wohn- und Schlafzimmer, mal eine kleine Küche als Nebenraum. Die Herde und Arbeitsflächen seien von Langzeit-Psychiatriepatienten eingebaut worden, berichtete Steckermaier - in einem Arbeitsprojekt der Münchner AWO-Schreinerei. Das sei nicht ganz einfach gewesen, schließlich gebe es im ganzen Haus keine geraden Wände. "Wir haben jetzt fünf ganz individuelle Küchen."

In dem historischen Haus sollen fünf Menschen zurück ins Leben finden. Die Bewohner habe man gezielt ausgewählt, erklärte Leiterin Dagmar Pfau - aus dem Haus Buchenwinkel und anderen Einrichtungen. Die alleinstehenden Frauen und Männer im Alter zwischen 45 und 50 Jahren mit unterschiedlichen Krankheitsbildern wie etwa Schizophrenie seien alle Sozialhilfeempfänger, die Miete richte sich nach den gängigen Sätzen. Die Betreuer unterstützten sie individuell bei der eigenständigen Haushaltsführung, in der Beziehungsgestaltung und auf dem Weg zurück ins berufliche Leben, etwa in einer der AWO-Werkstätten für psychisch Kranke.

"Wir freuen uns, dass die Einrichtung hier einen Platz gefunden hat", sagte Wolfratshausens Dritte Bürgermeisterin Annette Heinloth (Grüne). Und auch die Ickinger Gemeinderätin Claudia Roederstein, die von einem "gedeihlichen Miteinander" zwischen dem Haus Buchenwinkel und ihrer Gemeinde sprach, fand die Räume gelungen und wünschte viel Erfolg.

Die eigene Wohnung mit Namensschild an der Tür ist für die langjährigen Psychiatriepatienten ein wichtiger Halt. Deshalb sind die Mietverhältnisse in dem Wolfratshauser Häuschen langfristig angelegt, wie Steckermaier betonte: "Die Menschen können bleiben, auch wenn sie wieder auffällig werden." Für den Vereinsvorsitzenden Salzhuber heißt das aber auch, dass die Suche nach Wohnraum für psychisch Kranke weitergeht. "Es besteht immer Bedarf", sagte er.

© SZ vom 09.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: