Brauchtum im Oberland:Eine "Riesen-Gaudi" mit Tradition

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Da liegt er, der künftige Maibaum, nun geht es daran, ihn schön zu machen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Alle fünf Jahre formiert sich in Ebenhausen eine besondere Gesellschaft, deren Aufgabe es ist, den alten Maibaum durch einen neuen zu ersetzen. Es geht um ein großes Gemeinschaftsprojekt. Unterwegs mit der Dorfjugend.

Von Benjamin Engel, Schäftlarn

Auf der Fahrt von seinem Hof im Schäftlarner Ortsteil Zell in den Wald wirkt Martin Schmid ganz konzentriert. Ein Foto bitte erst später, wenn alles geklappt hat, sagt er. Es ist der 29. Dezember. Am Ziel angekommen, ist Schmid nicht allein. An die 20 meist junge Burschen und Mädchen begleiten den Wehnerbauern - so der Hofname - bis zu einer ganz bestimmten Fichte.

Das 40 Meter hohe Exemplar soll heute fallen. Das geht schnell, weil Schmid und seine Helfer geübt mit der Motorsäge umzugehen wissen. Als Schmid den Keil an der Südwestseite des Baumes fertig ausgeschnitten hat, fällt der mächtige Baum auch schon in diese Richtung. Es rummst ordentlich, als er am Boden aufschlägt. Aber der Stamm bleibt ganz. Alle sind sichtlich erleichtert.

Martin Schmid weiß, wie man mit der Motorsäge umgeht. (Foto: Hartmut Pöstges)
Nach wenigen Minuten ist der mächtige Baum gefällt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Warum das entscheidend ist? Die Fichte ist eben kein x-beliebiges Stück Holz. Im Frühjahr soll das 80 Jahre alte Exemplar mit 4,2 Kubikmeter Volumen der neue Ebenhauser Maibaum werden. Dafür haben sich kurz vor dem Jahreswechsel 23 Burschen und 15 Mädchen aus Ebenhausen zur Maibaumgesellschaft formiert. Die jungen Leute haben bis zum großen Fest, das am 5. Mai beim Gasthof zur Post geplant ist, noch viel zu tun - vom Bewachen des Maibaums bis zum Einstudieren der Tänze für eine nachgespielte Bauernhochzeit.

Vier Waldbesitzer wechseln sich ab

Das ist an diesem Dezembertag noch Zukunftsmusik. Als der Baum unversehrt am Waldboden liegt, wirkt auch Schmid entspannt. "Das hat alles ganz gut geklappt", sagt er - und stellt klar, dass seine Arbeit nun erledigt ist. "Ich habe den Baum geliefert und umgeschnitten. Den Baum schön zu machen, ist jetzt die Arbeit der Maibaumjugend."

Die findet sich in Ebenhausen alle fünf Jahre neu zusammen, wenn der alte Maibaum turnusgemäß durch einen neuen ersetzt wird. Ein dauerhafter Burschenverein, der wie in anderen Kommunen dafür zuständig ist, existiert in Ebenhausen nicht. Daher ist der erste Oberbursch Timo Hochwind froh, dass sich bis dato wieder junge Leute gefunden haben, die mithelfen wollen.

"Wir haben recht viele neue gewinnen können", sagt der 25-jährige Student für Wirtschaftsingenieurwesen. Das sei wichtig, weil es immer weniger Familien gebe, deren Mitglieder traditionsgemäß mitmachten. Wer sich der Maibaumgesellschaft noch anschließen wolle, sei jederzeit willkommen, so Hochwind. Mädchen ab 16 Jahren und Burschen ab 18 Jahren könnten dazustoßen.

Eine von ihnen ist die 22-jährige Anne. Die junge Frau ist zum ersten Mal offiziell in der Maibaumgesellschaft aktiv. Mit einer Gruppe junger Leute ist sie am Wehnerhof auf einen Traktor-Anhänger geklettert, der sie etwa einen Kilometer weit bis zum Zielort gebracht hat. Warum sie dabei sein will? "Das ist eine Riesen-Gaudi", sagt sie. "Du lernst die Jugend vor Ort kennen."

Timo Hochwind ist der neue Oberbursche. (Foto: Hartmut Pöstges)
Die jungen Leute schätzen das Gemeinschaftsgefühl. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das macht auch für Hochwind den Reiz der Maibaumgesellschaft aus. Durch sie habe er über seine unmittelbaren Nachbarn hinaus viele andere junge Leute aus ganz Ebenhausen kennengelernt. Der Mittzwanziger hat 2024 seine Premiere als erster Oberbursch genauso wie der zweite Oberbursch Thomas Kümmel. Die beiden bilden den neuen Vorstand der Maibaumgesellschaft. Gemeinsam mit dem Wehnerbauern Schmid und dem einstigen ersten Oberburschen Philipp von Schmidt waren sie im Herbst mehrmals im Wald, um einen passenden Baum auszuwählen. Den stellen alle fünf Jahre abwechselnd der Wehnerbauer, der Marxnhof, das Kloster Schäftlarn und Gut Holzen.

Was es für einen perfekten Maibaum braucht? Laut Hochwind soll das Exemplar möglichst gerade, an der Rinde intakt und verletzungsfrei sein sowie einen Stammumfang von 60 bis 70 Zentimetern in Brusthöhe haben. "Wir schauen uns die Bäume zu verschiedenen Tageszeiten an", sagt von Schmidt. Wenn die Sonne im Herbst flach stehe, bringe diese die Stämme oft richtig zum Leuchten. Damit lasse sich gut abschätzen, ob der Baum bis oben gerade sei, sagt er.

Dass ein Baum beim Fällen zerbricht, ist keine Seltenheit

So sind drei Fichten in die nähere Auswahl gekommen. Das braucht es auch, sind doch vor fünf Jahren die ersten beiden ausgesuchten Exemplare direkt beim Fällen zerborsten, wie von Schmidt erzählt. Damals mussten die Mitglieder der Maibaumgesellschaft allerdings im steilen Isarhochuferwald von Kloster Schäftlarn agieren. Deshalb freut er sich, dass diesmal alles so glatt geht. "Das hat selten so gut geklappt", sagt er, während er sich mit den anderen Helfern abklatscht.

Schnell sind alle Äste mit der Motorsäge entfernt. Doch den Baum mit Traktor und Seilwinde an den Waldrand zu transportieren, wird langwierig. Die Fichte muss behutsam über den kurvigen Forstweg gezogen werden. Bisweilen kommt ein zweiter Traktor zum Einsatz, der das obere Ende des Baumes zur Seite rückt. Für etwa einen halben Kilometer braucht es eineinhalb Stunden. Dann schepsen, also entrinden die Mitglieder der Maibaumgesellschaft die Fichte, damit diese gut abtrocknen kann.

Was folgt? Vom 10. Januar an steht immer mittwochs eine Tanzprobe an. Ende Februar wird der Baum an den Aufstellungsorts beim Gasthof zur Post gebracht, wo er immer samstags bearbeitet und bis zum Mai bewacht wird. Schließlich soll kein Burschenverein der Umgebung ihn klauen. Dieses traditionelle Bravourstück jeder Dorfjugend gilt es unbedingt zu verhindern.

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