Soziale Arbeit der besonderen Art:Die Nächstenliebe in Person

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Ilka Öhrlein. (Foto: Claudia Koestler/oh)

Ilka Öhrlein von der Diakonie Oberland hat in zwei Jahrzehnten rund eine Million Euro an Bedürftige in der Region vermittelt und Tausende Menschen beraten. Nun geht sie in Rente.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Ihr Auftreten ist freundlich, mit einem beherzten Lächeln und einem festen Händedruck begrüßt sie jeden, der ihr begegnet. Ihre Augen strahlen mit warmem Glanz, der Verbundenheit herstellt. Und doch wirkt sie bescheiden, was im krassen Gegensatz steht zu den Zahlen, die eindrücklich von ihrem Engagement für eine bessere Welt zeugen: Ilka Öhrlein von der Diakonie Oberland hat im Dekanat Bad Tölz in zwei Jahrzehnten an die eine Million Euro an Bedürftige in der Region vermittelt - und dafür unermüdlich Spenden gesammelt. Zudem hat sie mehreren Tausend Menschen in der Region beratend und ihnen helfend zur Seite gestanden. Nun ist Öhrlein in die Rente verabschiedet worden - mit einer großen Feier und zahlreichen ehrlichen Dankesbezeugungen für eine außergewöhnliche Arbeit.

"Sie ist angetreten, um die Armut abzuschaffen": Öhrlein weiß natürlich um die Steilheit der These, die Pfarrer Johannes Schultheiß kürzlich bei der Abschiedsfeier im evangelischen Gemeindehaus von Bad Tölz zitiert hat. Auch wenn diese Herkulesaufgabe ungelöst bleibt, hat Öhrlein Herausragendes geschafft. 23 Jahre lang war Öhrlein in der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit (KASA) und im Diakonischen Werk Oberland als diplomierte Sozialpädagogin tätig, genauer gesagt in Bad Tölz und Holzkirchen. Doch es ist nicht alleine die Geldsumme, die in Erinnerung bleiben wird, die sie in dieser Zeit über Spenden und Organisationen, darunter auch der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung, gesammelt hat, um Menschen der Region in Notlagen zu helfen. Auch fernab von Geld war Öhrlein stets Ansprechpartnerin für in Not Geratene, für alle, die jemanden brauchten, der die richtigen Stellen kennt, der Hilfsangebote vermittelt, umfassend beraten kann oder einfach nur zuhört. Und das mit einer Empathie, die ihresgleichen sucht.

Verabschiedung Ilka Öhrlein mit Pfarrer Florian Gruber (li.) und Stefan Helm, Geschäftsleiter Diakonie Oberland. (Foto: Privat/oh)

Öhrlein wurde in Würzburg geboren. Den fränkischen Dialekt hört man ihr auch nach mehr als zwei Jahrzehnten im Oberland noch an. Sie studierte Sozialarbeit auf Diplom und arbeitete zunächst in Würzburg, dann in Schweinfurth bis 1994 in der Jugendarbeit. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder aber stellte sie sich die Frage nach einer Neuorientierung. Während der Elternzeit sattelte sie einen Abschluss als Heilpraktikerin in Psychotherapie drauf, "weil ich mich gezielt auf Beratungsstellen bewerben wollte". Doch die Zeiten waren anders als heute: "Es war nicht einfach, eine Stelle zu bekommen." Das Arbeitsamt vermittelte dann die erste Stelle - in der Diakonie in Rosenheim.

Die Welt verbessern? "Das würde einen schon jucken."

"Als ich studiert habe, dachte ich schon, ich will die Welt verbessern", erinnert sie sich, gefragt nach der Schultheiß'schen These von der Abschaffung der Armut. "Das würde einen schon jucken." Allerdings, weiß sie heute, müsste sie dafür eigentlich in die Politik. "Aber ob ich da wirklich sein wollte...?", frage sie sich. In ihrer Position in der Diakonie - nach Rosenheim kam sie im Jahr 2000 nach Bad Tölz - habe sie zumindest oft eins zu eins helfen können. Sie habe sich aber auch bei den Regionalvertretungen der Diakonie engagiert und dort wiederum würden die konkreten Probleme oder Auswirkungen mancher Gesetze oder Entscheidungen durchaus an entscheidende Stellen vorgebracht, zudem werde dort auch anwaltschaftlich gearbeitet.

Als Meisterin der Kommunikation, die mit einer sanften Stimme Geschichten von Notlagen und Hoffnung erzählt, die das Gewissen rühren und den Wunsch nach Veränderung wecken, ist Öhrlein heute flächendeckend bekannt wie ein bunter Hund und hoch geschätzt, auch bei Behörden, Organisationen und Verbänden. Sie kennt die Bedürfnisse derer, die sie unterstützt, in- und auswendig. Durch ihre engen Kontakte zu Hilfsorganisationen, gemeinnützigen Vereinen und sozialen Einrichtungen weiß sie genau, wo die Mittel am dringendsten benötigt werden und wie sie am effektivsten eingesetzt werden können.

"Der Begriff Not ist ein breiter"

Zu Beginn ihrer Arbeit in der Diakonie aber habe sie zunächst einmal für sich und ihre Anliegen werben müssen. Sie habe sich stets "als Ansprechpartnerin für alle Menschen in Not" gesehen - "und der Begriff Not ist ein breiter", sagt sie. Aber oft wisse sie ja vor dem ersten Kontakt auch nicht, ob sie überhaupt die richtige Anlaufstelle ist. Deshalb sei sie eigentlich zunächst einmal eine Clearing stelle - ein Ort, an dem klar wird, wer oder was zuständig ist. Immens wichtig in einem Dschungel an Zuständigkeiten und Stellen, die oft - viel zu oft - eben nicht vernetzt oder in Kontakt seien und es so gut wie nie den Blick aufs Gesamte gebe. "Ein Mensch im Seniorenalter zum Beispiel, bei dem die Rente knapp ist, braucht vielleicht auch Unterstützung in der Pflege", erklärt Öhrlein. Dieses Puzzlewerk sei zentral für ihre Arbeit gewesen. Oft würden sich Mensch zunächst an die Kirchengemeinde wenden - und die Pfarrer verwiesen sie dann an Öhrlein. "Viele Menschen haben ja Ansprüche, wissen aber nichts davon oder nehmen sie einfach nicht wahr", weiß Öhrlein.

Natürlich sind ihr einige Menschen nachhaltig in Erinnerung geblieben: "Eine Analphabetin etwa kam mit jedem Schreiben zu mir." Besonders berühre sie auch Biografien, bei denen sich die Armut durchs ganze Leben ziehe, oftmals über Generationen hinweg. "Und wenn dann vielleicht noch der Familienzwist obendrauf kommt, etwa wenn das Lehrgehalt der Kinder angerechnet wird", seufzt Öhrlein. Oder Frauen, die in eine Landwirtschaft hinein heirateten und auf dem Hof mitarbeiteten. "Steht dann irgendwann eine Trennung an, steht die Frau oft vor dem Nichts", weiß Öhrlein.

Emotional angefasst wirkt sie indes nicht durch die vielen Schicksale. "Ich kann das Schicksal anderer Menschen ja nicht übernehmen, auf meine Schultern packen und es für sie tragen. Aber ich kann ihnen zur Seite stehen und sie ein Stückweit begleiten." Und sie habe einen Leitsatz, der auch die Hoffnung widerspiegelt: "Eine Entwicklung ist möglich, daran glaube ich fest."

Initiatorin des Alleinerziehendentreffs

Öhrlein kennt die Macht des gemeinsamen Handelns und ist fest davon überzeugt, dass jeder Einzelne einen Unterschied machen kann. Deshalb hat sie auch den Alleinerziehendentreff in Bad Tölz initiiert. "Ich war wohl am richtigen Platz", sagt sie bescheiden. "Die Arbeitsstelle war mir quasi auf den Leib geschneidert", resümiert sie.

Nun also die Rente. In ein Loch falle sie aber nicht. Zuviel habe sie zu tun. Erst einmal will sie ihr Leben Revue passieren lassen und Stationen aufsuchen, etwa den eigenen Kindergarten, den Schulweg, den sie einst ging, den Ort des ersten Kusses aufsuchen. Ein Jahr lang habe sie zudem in einer Land-WG gelebt, auch dorthin ziehe es sie noch einmal, bevor sie dann in den nächsten Lebensabschnitt angehe - mit ein paar kleineren Reisen, Arbeit im Garten und dann, ja vielleicht, doch wieder sozialem Engagement in der Freizeit. "Es muss jetzt nur nicht mehr Armut sein", sagt sie.

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