Besuch bei den Wahlpartys:Im Wechselbad der Gefühle

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Die Parteien verfolgen in der Wahlnacht gespannt die Hochrechnungen. Für Jubel ist bei den knappen Ergebnissen jedoch noch kaum Zeit.

Von Konstantin Kaip, Klaus Schieder und Alexandra Vecchiato

So unterschiedlich die Erwartungen an diese historische Wahl auch gewesen sind, eines einte die Parteien am Sonntagabend doch: die große Anspannung, bis die ersten Zahlen endlich über die Bildschirme flackerten. Was bei den einen schließlich in Freude umschlug, hinterließ bei den anderen eine faltige Grüblerstirn. Ein Besuch bei den Wahlpartys.

Eher lange Gesichter gab es bei der CSU im Miesbacher Bräuwirt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

CSU

Rechte Stimmung will nicht aufkommen im Bräuwirt in Miesbach. Dort versammelten sich am Wahlabend CSU-Direktkandidat Alexander Radwan und Mitglieder der beiden Kreisverbände Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach. Vorbei schaute auch Ilse Aigner. Ungeduldig wartete die Versammlung auf die erste Hochrechnung. Von Jubel keine Spur. "Das braucht verdauen", sagt Thomas Holz, Kochler Bürgermeister und CSU-Kreisvorsitzender. Natürlich sei das Ergebnis nicht völlig überraschend. Immerhin habe man die Aufholjagd geschafft. Dennoch könne das Ergebnis nicht Anspruch der Union sein, so Holz. Es müsse "schonungslos und offen" aufgearbeitet werden. "Für mich ist es schon eine Frage, wie die SPD, die im April noch bei zehn Prozent lag, nun derart aufholen konnte." Die Genossen hätten einen reinen Personenwahlkampf geführt mit Scholz an der Spitze, "ein Mann, der mehrere Skandale an der Backe hat". Dies scheine die Wähler im Land indes nicht zu kümmern, bilanziert Holz. "Da können wir nicht zur Tagesordnung übergehen." Kein Hehl macht Holz daraus, dass Armin Laschet für ihn der falsche Kanzlerkandidat gewesen ist. Ob Markus Söder der bessere gewesen sei, wolle er dahingestellt sein lassen. Die Aufarbeitung werde auch auf Kreisebene passieren müssen, betont Holz. Es gehe um Fragen, ob die Form des Wahlkampfes die Wähler erreicht habe.

Die Einschränkungen, die der Corona-Pandemie geschuldet waren, sind in den Augen von Ilse Aigner der Grund, warum die CSU die Bürger nicht wie früher erreichen konnte. Ferner hätten die innerparteilichen Treffen gefehlt.

Kurz nach 19.30 Uhr ergreift Radwan dann das Wort. Der Tölzer Landrat Josef Niedermaier habe ihm am Telefon gratuliert. "Er meint, mein Sieg sei gewiss, ich bin vorsichtiger", so Radwan. Im Gesamten habe die CSU gut abgeschnitten. "Im Rahmen der Möglichkeiten unter Corona-Bedingungen."

Vor vier Jahren noch hatte sich die Kreis-SPD gar nicht erst getroffen. Bei dieser Bundestagswahl aber ließen die Prognosen eine Einladung in eine Mitmachwerkstatt folgen. (Foto: Hartmut Pöstges)

SPD

Im Party-Schmeißen sind die Sozialdemokraten im Landkreis nicht besonders geübt. Bei der Bundestagswahl 2017, als die SPD bundesweit mit 20,5 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis holte, hatten sie wohlweislich auf eine Zusammenkunft verzichtet und die Schmach lieber jeder für sich daheim auf dem Sofa erlebt. Diesmal aber hatten der Geretsrieder Stadtrat Wolfgang Werner und sein Ortsvereinsvorsitzender Martin Bruckner die Genossen ins Fabrikgebäude der Mitmachwerkstatt "Nagel und Faden" eingeladen, dessen Saal sie mit Fahnen, Luftballons und Scholz-Postern geschmückt hatten. Die guten Umfrage-Prognosen der vergangenen Wochen hätten sie "beflügelt", sagt Werner. "Wir haben gesagt: Wir machen auch mal was für unsere Leute."

Die erste Prognose um 18 Uhr, die vom Beamer an die Wand projiziert wird, verfolgt nur eine Handvoll Genossen. Viele Mitglieder sind noch beim Auszählen in den Wahllokalen, als Union und SPD beide mit exakt großen Balken und 25,0 Prozent gelistet werden. Im Saal ist ein kollektives "Aaaah!" zu hören; der Jubel, den die Leinwand im Willy-Brandt-Haus zeigt, kommt in Geretsried nicht auf. "Das wird ein längerer Abend", sagt Werner. Er habe auf einen größeren Vorsprung gehofft. Und die ehemalige Landratskandidatin Gabriele Skiba betont, es sei ja bloß die erste Prognose. "Nur keine Panik." Die erste Hochrechnung, die den Sozialdemokraten kurz darauf einen Vorsprung von 0,2 Prozentpunkten gibt, quittieren dann schon circa 20 Genossen im Saal mit nervösem Gelächter.

Als dann ihr Direktkandidat durch die Tür kommt, gibt es Applaus. Hannes Gräbner hat seine Frau und Wahlkampfleiterin Joyce Mariel mitgebracht - und eine Kiste Sekt. Er nennt den Wahlkampf ein "Wechselbad der Gefühle" und stellt fest: "Wir haben ein respektables Ergebnis eingefahren. So oder so!" Dann ist er still, weil Scholz auf der Leinwand erklärt, dass die Wähler einen Wechsel und ihn als Kanzler wollen, was der Wahlkreiskandidat und die anderen mit Applaus quittieren. Nach der Rede vom "Chef" bezeichnet Gräbner das SPD-Ergebnis als "Gemeinschaftsleistung" und dankt den Genossen für ihren Einsatz. "Das ist eine Wahlparty, die wir lange nicht mehr hatten: mit guten Nachrichten", sagt der Ortsvereinsvorsitzende Bruckner - und prophezeit als "Berufsoptimist", dass der Vorsprung noch wachsen werde. Kurz darauf liegt die SPD in der Hochrechnung mehr als ein Prozent über die Union. Der Abend bleibt spannend - aber die Partystimmung in Geretsried kommt immer mehr in Schwung.

In Holzkirchen stießen die Grünen miteinander an. (Foto: Manfred Neubauer)

Grüne

Karl Bär hat einen Korb voller Papier mit ins Kulturcafé in Holzkirchen gebracht. Nahe der Theatergarderobe, wo sich etwa 30 Mitglieder der Grünen nach und nach zur Wahlparty zusammengefunden haben, greift er in die Kiste und hebt "den Müll" hoch, den ihm Lobbyverbände während des Wahlkampfs geschickt hatten. Die Antwort des Wahlpartyvolks: lautes Johlen, noch lauteres Lachen. Ein entspannter Moment an diesem Abend, der für die Grünen aus einer Gefühlsmixtur aus Freude und leichter Enttäuschung besteht. Jovana von Beckerath macht daraus kein Hehl. Auch wenn sie sich für die Grünen eine zweistellige Prozentzahl "mit einer 2 vornedran" gewünscht hat, sei das Wahlergebnis ihre Partei doch "historisch", sagt die Kreisvorsitzende. Das Ziel sei erreicht: "Karl Bär zieht in den Bundestag ein. Das freut mich, das ist gut." Aber angesichts des Rennens zwischen CDU und SPD hängt für sie auch das Damoklesschwert einer weiteren Großen Koalition über allem. "Das wäre der Super-Gau." Kreisvorsitzender Andres Wild baut spät noch eine Leinwand für den Beamer auf. Nun schauen alle nicht mehr auf ihre Smartphones und Tablets, sondern in eine Richtung auf die Wand, um die TV-Berichterstattung zu verfolgen. Den meisten Zuschauern ist in dem kleinen Gang neben der Garderobe anzusehen, dass sie ähnlich empfinden wie Wild. "Bei mir überwiegt die Freude etwaige Enttäuschungen."

© SZ vom 27.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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