Wirtschaft in Bad Tölz-Wolfratshausen:Auszubildende? Fehlanzeige!

Lesezeit: 3 min

Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen kommen auf jeden unversorgten Jugendlichen drei freie Lehrstellen. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Überall in Deutschland bleiben Lehrstellen unbesetzt, auch im Landkreis. Warum dies so ist - und was sich langfristig ändern muss.

Von Celine Chorus, Bad Tölz-Wolfratshausen

Wie jedes Jahr um diese Zeit stellen sich junge Menschen die Frage, wie es nach der Schule für sie weitergeht. Viele entscheiden sich für ein Studium, andere gehen erstmal ins Ausland, machen ein Praktikum oder absolvieren einen Freiwilligendienst. Eine Ausbildung scheint hingegen für immer weniger Jugendliche eine Option sein - dabei stehen die Chancen auf eine Lehrstelle so gut wie lange nicht mehr.

Vor dem Ausbildungsstart im September haben viele Unternehmen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen noch Lehrlinge gesucht. Ende Juni waren laut Daten der Bundesagentur für Arbeit 372 Lehrstellen im Landkreis unbesetzt. Den freien Ausbildungsplätzen standen 120 als unversorgt gemeldete Bewerberinnen und Bewerber gegenüber. Damit kommen auf jeden unversorgten Jugendlichen drei freie Lehrstellen.

Der Landkreis liegt unter dem bayernweiten Trend

Die Situation hat sich seitdem kaum verändert: Anfang September werden 243 junge Erwachsene eine Ausbildung in kaufmännischen oder technischen Berufen antreten. Nach der vorläufigen Statistik zum Beginn des Ausbildungsjahres entspricht dies einem Minus von 12,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit liegt der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen deutlich unter dem Trend in ganz Bayern, wo die Industrie- und Handelskammer (IHK) insgesamt ein Plus von 5,3 Prozent verzeichnet.

Die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe sei weiterhin groß, betont Renate Waßmer vom IHK-Regionalausschuss Bad Tölz-Wolfratshausen, aber es gebe bei Weitem nicht genug Bewerberinnen und Bewerber für alle Stellen. Mit der Folge: Früher konnten sich die Unternehmen ihre Auszubildenden aussuchen. Heute sind es die Betriebe, die die jungen Menschen umwerben müssen. Es ist davon auszugehen, dass etliche Lehrstellen zum Ausbildungsstart unbesetzt bleiben.

Jana Hofmann vom Bauunternehmen Krämmel in Wolfratshausen rechnet nicht mehr damit, dass sie noch einen angehenden Maurer oder Stahlbetonbauer findet. "Die gewerblichen Ausbildungsberufe werden von den jungen Menschen leider kaum noch nachgefragt." Die kaufmännischen Lehrstellen bekomme Krämmel immer noch gut besetzt, aber man habe längst nicht mehr die gleiche Auswahl wie früher. "Das ist schade", sagt Hofmann, denn es gebe Beispiele von eigenen Auszubildenden, die berufsbegleitend studiert haben und mittlerweile in leitenden Positionen für Krämmel tätig sind.

Ein Problem auch: die Qualität der Bewerberinnen und Bewerber

Hinzu komme, dass sich die Qualität der Bewerberinnen und Bewerber in den vergangenen Jahren verschlechtert habe. Das macht es für Hofmann schwieriger, die ausgeschriebenen Lehrstellen bestmöglich zu besetzen: Zuletzt hat Krämmel zwei Auszubildende im gewerblichen Bereich eingestellt, denen man jedoch in der Probezeit wieder kündigen musste. "Das waren Jugendliche, die sich nicht an Regeln gehalten haben, wiederholt nicht zur Arbeit erschienen sind und dadurch die Zusammenarbeit mit ihnen erschwert haben."

Überall in Deutschland fehlen die Auszubildenden. Im vergangenen Jahr konnten laut Bundesagentur für Arbeit 68 900 Lehrstellen nicht besetzt werden. Wenn auch diejenigen berücksichtigt werden, "die aus vielfältigen Gründen nicht bei den Arbeitsagenturen gemeldet werden", bleiben laut einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2022 sogar fast 40 Prozent aller Ausbildungsplätze unbesetzt.

Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen machten sich gesamtdeutsche Entwicklungen bemerkbar, erklärt Geschäftsstellenleiter Udo Kohnen von der Rosenheimer Agentur für Arbeit. Die Folgen des demografischen Wandels - also die Tatsache, dass es mehr alte und weniger junge Menschen gibt -, sorgten dafür, dass der Kreis potenzieller Bewerberinnen und Bewerber immer kleiner werde. "Die demografische Schere zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt wird in den nächsten Jahren noch weiter auseinandergehen."

Udo Kohnen leitet die Geschäftsstellen der Bundesagentur für Arbeit in Bad Tölz und Wolfratshausen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Hinzu komme, dass das Interesse an einer beruflichen Ausbildung sinke. Viele Jugendliche glaubten noch immer, dass sie eine weiterführende Schule besuchen oder studieren müssen, um erfolgreich zu sein - und hätten eigentlich gar nicht reflektiert, ob es für sie auch der beste Weg ist. Kohnen fordert daher, dass junge Menschen schon in der Schule einen Überblick über die verschiedenen Ausbildungen und deren Chancen bekommen. "Unsere Berufsberatung unterstützt die Jugendlichen im Berufswahlprozess, damit der Start in das Erwerbsleben gelingt."

Auch die IHK betont, wie wichtig eine frühzeitige und umfassende Berufsorientierung ist. Vielen Schülern, Lehrern und Eltern sei die moderne Berufswelt in ihrer Vielfalt gar nicht vertraut. Über digitale Veranstaltungen, Bildungspartnerschaften von Schulen und Unternehmen sowie den sogenannten "Ausbildungskompass", in dem verschiedene Berufe beschrieben, Ausbildungsbetriebe aufgelistet und duale Studiengänge verzeichnet sind, versuchen die Unternehmen, sich dem Nachwuchs zu präsentieren.

Praktika als Brückenfunktion

Wer schon eine Vorstellung hat, welcher Beruf ihm Spaß machen könnte, sollte erste Kontakte in die Arbeitswelt knüpfen - und ein Praktikum in einem anderen Unternehmen oder anderen Bereich absolvieren, wenn es nicht passt. Diese Brückenfunktion müsse in Zukunft stärker genutzt werden, fordert Kohnen, damit Jugendliche schon vor dem Ausbildungsstart herausfinden, ob ihnen die Tätigkeiten auch liegen. "Spätestens Corona hat uns gezeigt, wie wichtig Praktika für Berufswahlprozess und -reife sind."

Jedem vierten Unternehmen in Deutschland mangelt es inzwischen an Fachkräften. Gleichzeitig schwindet die Anzahl der Nachwuchskräfte, die auf den Arbeitsmarkt gelangen. Deshalb ist es umso wichtiger, aus dem geringen Angebot mehr zu machen: Die Bundesagentur für Arbeit betont, dass ein Ausbildungsstart auch nach dem 1. September jederzeit möglich ist. Kohnen appelliert zudem an die Arbeitgeber, vermeintlich leistungsschwächeren Jugendlichen eine Chance zu geben: "Man muss stärker auf diejenigen Bewerberinnen und Bewerber schauen, die schlechtere Startbedingungen haben oder auch schwerer zu erreichen sind." Sein Motto, um dem Mangel an Auszubildenden entgegenzuwirken? Es könnte auch "Keine(r) darf verloren gehen" heißen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPorträt eines Wissenschaftlers
:"Forschung ist wie Kokain"

Der Ickinger Molekularbiologe Christian Haass untersucht die Entstehung von Alzheimer und zeigt neue Wege der Therapie auf. Viele seiner Erkenntnisse sind hart erstritten.

Von Veronika Ellecosta

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: