Schauplatz:Todesmarsch Richtung Süden

Lesezeit: 1 min

Repro: Johannes Simon (Foto: N/A)

Wenige Tage vor der Befreiung trieb die SS fast 7000 KZ-Häftlinge in Richtung Südtirol. Mehr als 1000 Gefangene überlebten den Marsch nicht

Für viele Dachau-Häftlinge brachte der 29. April noch nicht die Befreiung. Am 23. April waren schon Evakuierungstransporte abgegangen. Am Abend des 26. April begann die SS dann mit der Räumung des Lagers. Sie trieb fast 7000 Menschen, 1213 Reichsdeutsche, 4150 Russen, 1183 jüdische Männer und 314 jüdische Frauen, zu Fuß auf den Todesmarsch. Die geschwächten Opfer schleppten sich durch Ortschaften wie Percha am Starnberger See (Foto) in Richtung Südtirol. Wie der Historiker Daniel Blatman von der Hebrew University Jerusalem schreibt, bekamen die Häftlinge 300 Gramm Brot, 300 Gramm Wurst, 30 Gramm Margarine und etwas Käse - für einen tagelangen Marsch. Die SS-Wachen, die den Elendszug mit Schäferhunden begleiteten, erschlugen oder erschossen diejenigen, die nicht mehr gehen konnten. Mindestens eintausend Häftlinge überlebten den Marsch nicht. Die Überlebenden wurden erst am 2. Mai von amerikanischen Soldaten bei Waakirchen gerettet. "Kein Häftling darf lebendig in die Hände des Feindes fallen", hatte Heinrich Himmler befohlen. Es gab auch Pläne zur Ermordung aller Häftlinge unter den Tarnnamen "Wolke A I" und "Wolkenbrand", die aber dann nicht ausgeführt wurden. Schon im Herbst 1944 war das KZ Dachau völlig überfüllt: In Barackenstuben für 50 Häftlinge wurden 300 bis 500 gepfercht. Auf allen Todesmärschen kamen mindestens 250000 Menschen ums Leben. Die Zivilbevölkerung entlang der Marschrouten kam mit dem Leid der NS-Opfer direkt in Kontakt. Auch in Dachau. Lange wollte die Stadt nichts mit dem KZ zu tun gehabt haben. Die Historikerin Sybille Steinbacher durchleuchtete 1994 das umfangreiche Geflecht der ökonomischen, kommunalpolitischen und persönlichen Beziehungen - und kam zu einem anderen Ergebnis. So hatte die Stadt ein wirtschaftliches Interesse an der Errichtung des Lagers, auch an seiner Eingemeindung 1939, weil sie die "Bürgersteuer" der 3000 SS-Leute wollte.

© SZ vom 29.04.2020 / hz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: