Verschollenes Kunstwerk:Verschollen geglaubte Skulptur stand die ganze Zeit in München

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Ein Meisterwerk der Florentiner Bronzekunst kehrt ins Bayerische Nationalmuseum zurück. (Foto: Bastian Krack/Bayerisches Nationalmuseum München)
  • 77 Jahre lang war eine barocke Bronzeskulptur zweier Ringer verschollen. Das Bayerische Nationalmuseum hatte nur mehr eine Kopie.
  • Nun stellte sich heraus: Die vermeintliche Kopie ist das Original.
  • Die Geschichte der Wiederentdeckung liest sich wie ein Detektivkrimi über Nazi-Raubkunst im Zweiten Weltkrieg.

Von Evelyn Vogel, München

Das Bayerische Nationalmuseum spricht von einer "sensationellen Wiederentdeckung": 77 Jahre lang war die barocke Skulptur zweier Ringer aus dem Haus verschollen, ein herausragendes Werk florentinischer Bronzekunst mit Millionenwert. Geschaffen hat sie 1710 der Hofbildhauer der Medici, Massimiliano Soldani Benzi, nach einer antiken Marmorgruppe in den Uffizien in Florenz.

Hinter dieser "Wiederentdeckung" steckt eine jahrzehntelange Detektivgeschichte, bei der Nazis, jüdische Erben mit Restitutionsansprüchen und amerikanische Soldaten eine Rolle spielen. Und die ein überraschendes Ende hat: Viele Jahre hatte man das Werk direkt vor der Nase, im Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke im Haus der Kulturinstitute in der Katharina-von-Bora-Straße. Was als billige Kopie galt, stellte sich als wertvolles Original heraus.

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Es ist Sommer 1939, als das Bayerische Nationalmuseum (BNM) die etwa 40 Zentimeter hohe Skulptur dem bayerischen Innenministerium zur Ausstattung des zum NS-Gästehaus umgebauten Prinz-Carl-Palais am Münchner Hofgarten überlässt. 1943 werden die Ringer zusammen mit anderen Objekten auf Schloss Hirschberg bei Weilheim gebracht, wo die Nazis mittlerweile ihre Gäste beherbergen, weil es in München zu unsicher ist. Unter ihnen ist auch Mussolini, der Ende September 1943 nach Italien zurückkehrt.

1948 bringen US-Soldaten alle Kunstwerke aus Schloss Hirschberg zum Central Collecting Point in München, einer Kunstsammelstelle nach dem Zweiten Weltkrieg, die seit dem Hollywood-Film "The Monuments Men" mit George Clooney bestens bekannt ist. Die Soldaten übersehen eine Kleinigkeit auf der Bodenplatte der Ringer: die Signatur des Bayerischen Nationalmuseums.

So wird die wertvolle alte Bronze als "modern copy", mithin als nicht besonders wertvoll, inventarisiert. In den Jahren darauf gelangt die Skulptur in die Sammlung der Antikenplastik, wird später sogar in der Ausstellung "Lockender Lorbeer" zur Geschichte der Olympiade gezeigt. Doch keiner erkennt ihren wahren Wert. Die Spur der Ringergruppe hat sich längst verloren, als Museums-Direktor und Bronzespezialist Hans Robert Weihrauch 1956 konstatiert: "Das vorzügliche Exemplar" sei "im Krieg vernichtet" worden.

Dieses Urteil hätte die Akten wohl für immer geschlossen, wenn nicht das Nationalmuseum seit 1959 eine fast lebensgroße Bronze-Ausführung der Ringergruppe von Soldani besitzen würde. Die hatte früher jüdische Besitzer, weshalb seit 2012 deren Restitutionsansprüche erforscht werden müssen. Die Ansprüche erweisen sich später als unbegründet.

Aber das Verfahren weckt nun die Neugierde des inzwischen zuständigen Referenten Jens Burk. Der fragt sich: Warum sollte die Bronze im Krieg vernichtet worden sein, wo doch das Prinz-Carl-Palais völlig unbeschädigt blieb? Während Burks Recherche taucht der Fall einer großen Bronzeausführung der Soldani-Ringer in England auf, die verkauft werden soll. Großbritannien versucht alles, sie im Land zu halten - erfolglos.

Im Licht einer Handykamera wird das Detail sichtbar, das US-Soldaten übersahen

Die Sache wird noch komplizierter, als eine kleine Ringergruppe von Soldani im kanadischen Toronto auftaucht. Ist die Originalbronze aus München nach dem Krieg womöglich über Italien und die USA nach Kanada gelangt? Vergleiche ergeben jedoch: Die kanadischen Ringer können nicht die aus dem Bayerischen Nationalmuseums sein. Jetzt kennt Burk die Bronzegruppe aber so genau, dass er sich an die angebliche Kopie aus dem 19. Jahrhundert erinnert, die als Leihgabe der Antikensammlungen und Glyptothek im Lichthof des Hauses der Kulturinstitute steht.

Gemeinsam mit den Kollegen macht er sich an die Untersuchung. Und im Licht einer Handykamera wird das Detail sichtbar, das die US-Soldaten 1948 übersehen haben: die Zahl "11/106". "Eine Gänsehaut" habe ihn überlaufen, erzählt Jens Burk heute, als ihm klar wurde, dass er tatsächlich die vernichtet geglaubte Bronze der Ringergruppe von Soldani in Händen hält - und die all die Jahre in unmittelbarer Nähe des Museums in München stand.

Seit dieser Woche steht sie nun neben der Großplastik im Treppenhaus des Museums. Rötlich-golden schimmert der Firnis auf der Bronze, bringt die Muskeln bestens zur Geltung. Mit zwei Millionen Euro wird sie versichert. Gelänge sie auf den Kunstmarkt, würde sie wohl das Doppelte erzielen. Auf dem rechten Rand der Bodenplatte ist das Detail gut lesbar, das die 77 Jahre währende Suche hätte verhindern können: "11/106", die Signatur des Bayerischen Nationalmuseums.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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