Verein Deutsche Blindenführhundhilfe:Wie Blindenhunde in München ausgebildet werden

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Die Höhe von Bordsteinkanten und Stufen einschätzen - ein guter Blindenhund kann das alles. Er ist Beschützer und Freund zugleich. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Gute Blindenführhunde brauchen am Anfang ein familiäres Umfeld, um gut ausgebildet zu werden. Das kostet viel Zeit, Geduld und vor allem Geld. Das fehlt - ebenso wie Paten.

Von Jürgen Wolfram, München

Blinden Menschen das Leben zu erleichtern, ist ein nobles Anliegen. Der Verein Deutsche Blindenführhundhilfe und die Hundeschule des ehemaligen Polizeidiensthundeführers Wolfgang Seitle verfolgen dieses Ziel mit Leidenschaft. Beide haben ihre Basis in Neuburg an der Donau, drängen aber aus guten Gründen nach München: Dort können die Vierbeiner besser unter Großstadtbedingungen trainiert werden und lernen, sich in Kaufhäusern oder in der U-Bahn sicher zu bewegen.

Zudem finden sich in der Landeshauptstadt Spezialisten für Tiermedizin und vielleicht auch mehr Patenfamilien sowie Sponsoren als auf dem Land. Denn eines der großen Probleme bei der Aufzucht und Ausbildung von Blindenhunden ist das fehlende Geld. Zudem geht es Experten wie Seitle, einem "öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen für das Blindenführhundewesen", um die Durchsetzung hoher internationaler Standards, wie sie die International Guide Dog Federation vorgegeben hat. Sie reichen von der adäquaten "Zusammenführung des Gespanns" bis zu den Feinheiten der Zuchtdokumentation.

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Zum Ortstermin hat Seitle zwei Auszubildende auf Pfoten mitgebracht: den Labrador Diego und die Labradoodle-Hündin Baya. Wenn alles gut geht, werden die Tiere einmal zu starken Stützen eines blinden Frauchens oder Herrchens, zur "Steigerung des Langstocks". Der Weg dahin ist für angehende Führhunde - das können auch Golden Retriever, Königspudel oder Riesenschnauzer sein - weit und teuer.

Blindenhunde benötigen viel Zeit vom Paten

Als Welpen werden sie zwölf bis 16 Monate lang bei einer Patenfamilie untergebracht. Die Kosten für Futter, Versicherung und Tierarzt sowie die permanente Zusatzbetreuung durch Trainer übernimmt in dieser Zeit die Deutsche Blindenführhundhilfe. "Wer sich auf eine Patenschaft einlässt, braucht viel Zeit", sagt Seitle, gleichermaßen werbend wie warnend. Überdies müsse ständig eine erwachsene Person zur Verfügung stehen, und es dürfe kein weiterer Hund zur Familie gehören. Kein Problem sein darf die Auflösung der Verbindung zum vereinbarten Zeitpunkt. Auf Wunsch werden Paten und Blinde aber miteinander bekannt gemacht - dann lässt der Trennungsschmerz oft schneller nach.

Die eigentliche Ausbildung der Führhunde ist anspruchsvoll. Das Tier muss lernen, für Blinde einen Sitzplatz, Ein- und Ausgänge zu finden. Oder Hindernisse wie Bordsteinkanten und Ampelpfosten zu umgehen. Eingearbeitet werden ebenso die Blinden selbst. Sie absolvieren ein Orientierungs- und Mobilitätstraining, an dessen Ende sie komplette Ortspläne im Kopf haben müssen, "innere und äußere Leitlinien". Ist der Klient firm in diesen Dingen und sein Hund charakterfest und stressresistent, bilden beide im Idealfall ein harmonisches Gespann. Das bleibt vielleicht zehn Jahre lang zusammen; dann bekommt das Tier sein Gnadenbrot und der Blinde einen neuen Führhund.

Für einen ausgebildeten Hund bezahlen die Krankenkassen 22 000 bis 26 000 Euro - nach Ansicht Seitles zu wenig. Denn schon bis zum ersten Ausbildungseinsatz fielen etwa 7000 Euro Kosten an, jedenfalls wenn eine solide zertifizierte Blindenführhundeschule die Regie übernehme. Für eine erfolgreiche Zucht gebe es dabei keinerlei Gewähr. Nicht jeder Labrador eigne sich am Ende als Führhund, obwohl die Rasse als besonders umgewöhnungsfähig gilt.

In anderen Ländern funktioniert die Förderung besser

In der Schweiz etwa sehe es deutlich besser aus, auch dank einer finanzstarken Stiftung. Seitle fehlt es nicht an Vergleichsmöglichkeiten; er hat in 25 Jahren Hundeschulbetrieb in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich schon 390 Vierbeiner "erfolgreich übergeben". Derzeit seien etwa 80 Führhunde aus seiner Zucht- und Ausbildungsstätte unterwegs. Der Betrieb mit beheiztem Hundehaus steht auf einem 12 000-Quadratmeter-Grundstück. Zum Team gehören fünf hauptamtliche Hundeausbilder, drei Tierpfleger und drei Patenfamilien-Betreuer. Auch Seitles Frau macht mit, eine ehemalige Pharmazeutische Assistentin mit Apothekenerfahrung in München.

Mit Hunden hat Seitle eine Menge erlebt. Einmal verletzte ihn ein Rottweiler lebensgefährlich. Mit Kampfhunden will er seitdem nichts mehr zu tun haben. In den USA hat er Polizisten gezeigt, wie man Sprengstoff-Spürhunde ausbildet. Und beim Aufbau seiner Hundeschule in Neuburg im Jahr 1990 fiel ihm als erstes auf, dass es für sein Fach so gut wie keine Regeln gab. Qualitätskriterien, wie sie drei Jahre später aufgestellt wurden, seien "längst wieder überholt". Unverständlicherweise hielten einige Selbsthilfeorganisationen dennoch daran fest. Überhaupt zeigten sich manche Krankenkasse und mancher Verein ziemlich weltfremd: "Die verlangen Roboter auf vier Beinen, dabei sind auch Führhunde Wesen mit Herz, Charakter und Sensibilität." Nicht zuletzt um aus den alten Denkmustern auszubrechen, sei die Deutsche Blindenführhundhilfe gegründet worden.

Vereinssprecherin Karina Wuttke, selbst blind, betont, dass ehrenamtliche Paten "den Grundstein für die Ausbildung zum Blindenführhund legen". Denn nur Hunde, die in einem familiären Umfeld aufwachsen, könnten gut sozialisiert die Schulung absolvieren. Deshalb würden Paten so dringend gesucht. Nun gezielt auch in München und Umgebung.

Patenschaften: Interessenten können sich bei der Deutschen Blindenführhundhilfe unter Telefon 0160/154 82 71 melden.

© SZ vom 30.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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