Szene München:Wir sind alle langweilig geworden

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Gemütlich, gemächlich, gediegen: Was ist eigentlich aus dem rauschhaften Exzess geworden, den wir früher gepflegt haben? (Foto: Catherina Hess)

Früher gab es mehr Exzess beim Ausgehen, mehr Risiko, mehr Vollgas. Dann kamen die Schmuse-Konzerte. Was ist passiert?

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Neulich fand in München ein sogenanntes Hauskonzert statt. Aber weil in München kaum jemand ein Haus hat, geschweige denn eines, in das Zuschauer plus Band passen, spielen sich die Hauskonzerte meist in Räumen ab, die irgendetwas zwischen Haus und halböffentlichem Ort sind.

Diesmal in einem Künstleratelier nahe der Theresienwiese. Bei gedimmtem Licht und Lebkuchen saßen also rund hundert Menschen auf Teppichen und lauschten der Musik einer leisen Band. Pärchen hielten einander im Arm. Plötzlich riss jemand die Tür zum Atelier auf und schrie: "Ihr seid alle langweilig und eure Kunst ist beschissen!" - mitten hinein in den schönsten Kuschelsong.

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Der Stimme nach zu urteilen war es ein junger Mann, der sich entrüstete. Genau lässt sich das allerdings nicht feststellen, denn er verschwand sofort wieder, grußlos. Kurze Irritation im Publikum, keine sichtbare Irritation bei der Band. Sie machten einfach weiter. Sie machten einfach weiter!

Was aber, wenn der Typ recht hat? Was, wenn ein Konzert, erlebt mit Gleichgesinnten auf dem Boden eines Ateliers sitzend, nicht total schön, sondern total langweilig ist? Vielleicht war dieser Entrüstete ein vorweihnachtlicher Bote des Exzesses, der sagen wollte: "Erlebet wieder mehr nächtliche Abenteuer, anstatt zu sanfter Musik und Lebkuchen mit sowieso Gleichgesinnten zu einem großen Wohlfühlhaufen zu verschmelzen, Halleluja!"

Ausgehen soll ja ein gewisses Risiko bergen, eine Abweichung vom Alltag darstellen. Nur so entwickelt man sich doch weiter. Man könnte zum Beispiel mal wieder in die Nachtgalerie gehen, wo Leute fummeln statt sich verliebt im arm zu halten und wo man Bier für einen Euro kaufen kann. Motto: "Es gibt nur ein Gas ... VOLLGAS!"

Das klingt nach allem Möglichen, nur nicht nach Langeweile. Alternativ hätte man dem Rüpel, der das Konzert störte, natürlich einfach auch einen verdienten Tritt in den Allerwertesten verpassen und ihn beschimpfen können. Das hätte den Exzess elegant mit der Gemütlichkeit verbunden.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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