Szene München:Nichts passt so gut zum Winter wie Kellerbars

Szene München: Noch so eine Bar ohne Blick nach draußen: das Flex.

Noch so eine Bar ohne Blick nach draußen: das Flex.

(Foto: Stephan Rumpf)

Denn kein anderer Ort tröstet so über die Außenwelt hinweg. Und dabei kann man sich auch noch wie Goethe fühlen.

Kolumne von Elisa Britzelmeier

Die bei Netflix dürften sich freuen. Herbst und Winter verbringen viele Menschen nun mal am liebsten mit Serien und Filmen auf dem Sofa, Tee in der Hand, Wollsocken an den Füßen. Auch solche Menschen, die sonst lieber in Bars gehen oder jeden Sommerabend am Flaucher hocken. Jetzt bringt man sie kaum mehr vor die Tür: zu kalt, zu nass, zu neblig. Die trinkfreudigen Freunde freuen sich also eher weniger.

Dabei könnte alles so einfach sein: Man muss sich nur auf Kellerbars spezialisieren. Oder zumindest auf solche, die keinen Blick nach draußen zulassen. Madam Bar, Girls, Polka, Kiste, Unter Deck, sowas. Sogar im Schumanns schaut man nicht raus, im Rennsalon auch nicht, es ist also für jeden Geschmack etwas dabei. Wer es einmal reingeschafft hat, bleibt einfach da, sieht abwechselnd Bier und Gesprächspartner an und vergisst die Welt drumherum. Nur die Raucher zwingen sich mal kurz nach draußen. Bald werden sie auf E-Zigaretten umgestiegen sein.

Der Barbesucher kann sich fühlen, als schüfe er ein Stück Kultur

Man könnte den Rückzug ins Kellerloch nun für eine Art erweiterten Winterschlaf mit Alkohol halten. Man könnte aber auch an Goethe oder Boccaccio denken, und damit ist man nicht nur bildungsbürgerlicher unterwegs, man kommt der Wahrheit auch näher. Denn während Winterschläfer und Netflix-Gucker sich allein verkriechen, halten es die Kellerbarbesucher wie die Männer und Frauen in den "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" und im "Decamerone": Sie entfliehen gemeinsam der schrecklichen Gegenwart - und trösten sich mit ihren Erzählungen über die Außenwelt hinweg.

Gut, was bei Goethe die Französische Revolution ist und bei Boccaccio die Pest, ist beim Barbesucher nur der Winter. Aber wer dann da so sitzt und über seinem Drink vor sich hin erzählt, kann sich fast so fühlen, als schüfe er ein Stück Kultur.

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