SZ-Serie: Urlaub in München:Höchstens Huhnhöhe

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Der Hachinger Bach auf Höhe des Neubiberger Fliegerhorstes. Ein Auwald mit wunderbaren Brotzeitplätzen. (Foto: Florian Peljak)

Der Hachinger Bach ist ein angenehmes Ausflugs- und Spazierziel. Man kann ihn etappenweise erkunden und an vielen Stellen einkehren. Und: Er ist kindertauglich seicht.

Von Philipp Crone, Unterhaching

Manchmal stehen die Schilder mit der Aufschrift "Benutzung auf eigene Gefahr" ja ein wenig unmotiviert herum. An Stellen, die so gar nicht gefährlich wirken. Auch das Schild neben der wunderschönen kleinen Kirche St. Georg in Unterbiberg scheint auf den ersten Blick deplatziert zu sein. Ist es aber nicht.

Sich trotzdem auf den so verwarnten Weg zu machen, lohnt aber. Denn am Ende dieses Weges am Wasser entlang wartet Gertraud Schubert, 71, mit ihrem Mann Peter, 76, in neongrünem Bund-Naturschutz-Parka und so viel Wissen über dieses Bächlein, dass man wahrscheinlich die zwölf Kilometer, die er lang ist, mehrfach abgehen könnte, ohne dass den beiden der biologische, geschichtliche oder wirtschaftliche Gesprächsstoff ausgeht.

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Der Hachinger Bach ist ein zum Teil sehr zutraulicher Wasserlauf, manchmal aber auch scheu. Meist rauscht er direkt am Weg entlang, manchmal verzieht er sich aber auch in Gärten oder gar ins Bundeswehrgelände, wohin ihm selbst der zäheste Aquarianer wohl lieber nicht folgen sollte.

Wenn man zu Beginn am Pfanzeltplatz in Perlach auf einer der Minibrücken steht und auf den Bach schaut, stellt sich sofort die Frage: Wer wird hier eigentlich vor wem geschützt? Da sind Geländer auf beiden Seiten, dabei ist der Bach an manchen Stellen lediglich kleinhühnerfausttief, allerhöchstens erreicht er ganze Huhnhöhe. Und auch die vielen Brücken wundern, denn selbst ein ausgereiftes Masthuhn könnte mit etwas Anlauf und einem Satz das Ufer wechseln.

Das Bachlexikon Schubert wartet in Unterhaching, aber zunächst ist der Bachlauf auch so gut historisch ausgeleuchtet. Vom Dorfkern mit der Boazn "Zum Fiaker", dem Sedlmeir-Metzger oder der Sattlerei und einem obligatorischen Gasthaus Zur Post geht es an dem von beiden Seiten eingezäunten Bach zunächst gegen den Strom nach Süden. Beim Sedlmeir steht schon auf einem Historienschild, dass zwei Vorgänger-Sedlmeirs hier im Dienst waren. Und gegenüber der Kirche St. Paulus, die am Sonntagmorgen den Bach mit Orgelspiel betört, steht das frühere Haus "Müllertoni" von 1827, wo jetzt "Diwan Foods" authentische pakistanische Küche und Pizza bietet. Der Bach blubbert im Betonbett, Vorbeiradelnde sprechen im wunderbaren hiesigen Umständlichkeitsdialekt. Eine Frau sagt zu ihrem Mann zum Beispiel: "An Pulli vatragt ma scho drunter."

Das Ehepaar Gertraud und Peter Schubert haben ein Buch über das zwölf Kilometer lange Gewässer geschrieben. Die dazugehörige App mit Tourentipps und Audio-Guide soll demnächst fertig werden. (Foto: Florian Peljak)

Der Bach fließt an verfallenen und frisch geschlüpften Häusern entlang, dann wird er hinter St. Georg freigelassen, man kann auf eigene Gefahr folgen, auf einem derart zugewucherten Feldweg, dass selbiger eigentlich mal von einem ordentlichen Masthuhn freigeräumt gehört. Andernfalls droht dem Wanderer der Absturz ins Wasser, was wiederum eher nass als gefährlich wäre. Bis zur Autobahn. Hier hat man als Radler eindeutig Nachteile. Die Miniunterführung ist unbefahrbar, dafür ist man dahinter dann gleich bei Frau Schubert.

Die nimmt einem sofort die Illusion des Geheimtipps: "Hier ist schon einiges los normalerweise." Das bedeutet, wenn es nicht gerade so grau und früh ist wie an diesem Sonntagmorgen. Im Hachinger Tal würden ja 50 000 Menschen leben, die gerade in Corona-Zeiten viel am Wasser unterwegs seien. Aber der Bach ist auch lang genug für alle. Und hat ausreichend faszinierende Stellen. Man kann ihn laut Schubert, die mit ihrem Mann zusammen ein Buch über das Gewässer geschrieben hat, zudem auch wunderbar häppchenweise erkunden. "Es gibt ausreichend S-Bahn-Haltestellen in der Nähe." Sie empfiehlt, an der Haltestelle Fasanenpark nahe der Unterhachinger-Fußballarena auszusteigen und dann wahlweise mit dem Rad oder zu Fuß nach Süden zu gehen. Gerne auch bis zur Quelle in Taufkirchen. Da finde man viele Einkehrmöglichkeiten. Schubert hat extra eine Kindertour konzipiert, zweieinhalb Kilometer lang, bis Taufkirchen. Wer will, kann aber auch bis zur Quelle in Deisenhofen marschieren. Man kommt dann zum Beispiel an einer 300 Jahre alten Eiche vorbei, wenn man durch diesen Auwald geht.

"Meine Vorfahren waren schon seit dem neunten Jahrhundert Müller", sagt Schubert, auch deshalb fasziniere sie dieser Bach, an dem bis zu sieben Müller die Wasserkraft genutzt hätten. In früheren Zeiten eine Wirtschaftskraft.

"Seit 1999 verfolge ich den Bach." Der ist schon drei Mal umgeleitet worden. Als die Landebahn vom Fliegerhorst Neubiberg ausgebaut wurde, hat man den Bach verlegt, und zuletzt zwischen 2002 und 2004, da entstand der besagte Auenwald, von Landschaftsarchitekten entworfen. Ein sich selbst überlassener Dschungel, "mit zum Beispiel irre vielen Vogelarten", sagt Schubert. Letztes Jahr sei hier sogar ein Wendehals gesichtet worden.

Überwucherte Wege, kleine Holzstufen am Wasser für eine Rast, langsam und schnell fließende Stellen. Schubert und ihr Mann Peter stoppen an einem dunklen Platz. "Hier stand eine Fichtenhecke, die irgendwann nicht mehr gestutzt wurde." Heute stehen hier wild verwachsene Fichten. "Das Faszinierende finde ich, dass das hier eine uralte Lebensader der Menschen ist", sagt Schubert, ihr Mann nickt. Man habe ein Kupferbeil gefunden, das 5500 Jahre alt ist, "aus der Zeit von Ötzi also". Wann immer ein Haus gebaut werde hier, rückten zunächst die Archäologen an. Ihr Mann und sie haben eine zehn Meter lange Karte erstellt, mit 60 archäologischen Fundstellen. Abends geht Schubert mit dem Fledermausdetektor an den Bach.

Es begegnen Schubert Familien, Radler, Spaziergänger, manche schauen von der riesigen Freifläche der Fliegerhorst-Landebahn rüber. Das Wasser blubbert vor sich hin, Schubert schaut auf das Wasser, dann wieder auf ihr Handy. Die Bach-App ist fast fertig, das einzige, was diesem Wasserlauf noch gefehlt hat.

© SZ vom 08.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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