SZ-Serie: Urlaub in München:Im Dunkel des Urwalds

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Martin Hänsel vom Bund Naturschutz kümmert sich gemeinsam mit vielen Helfern darum, dass die Natur hier noch gedeiht. (Foto: Stephan Rumpf)

In der Angerlohe und im Allacher Forst ist die Natur einzigartig - und besonders schwer zu schützen. Ein Besuch.

Von Thomas Anlauf

Das Moos leuchtet. Ein Sonnenstrahl fällt auf die gefallene Buche, die neben dem Weg liegt. Irgendwo dort oben zwischen den Zweigen flötet eine Singdrossel. Die Wege verzweigen sich in diesem Wald, dem Dschungel in der Großstadt. Es ist egal, welchen Pfad man nimmt. Er führt mit jedem Schritt fort von der Welt dort draußen, hinein in ein Land, das außer den Menschen hier im Münchner Nordwesten kaum einer kennt. Die Angerlohe und der Allacher Forst sind die letzten Urwaldrelikte in München.

Es ist eine echte Entdeckungsreise in eine urwüchsige Natur, die am spröden Allacher Bahnhof beginnt und in Karlsfeld endet. Umweltschützer wie Martin Hänsel vom Bund Naturschutz laufen hier regelmäßig durch die dunklen Wälder und über die Heidewiesen, auf denen sich gerade der himmelblaue Lein im Wind wiegt. Für Pflanzen und Tiere sei hier "ein Übermaß an Nahrung da", sagt Hänsel. Der feine Lössboden bietet viele Nährstoffe, hier wachsen Pflanzen, die sonst nirgends in München vorkommen. Und auch seltene Insekten wie Hirschkäfer fühlen sich münchenweit nur in der Allacher Lohe wohl.

Grünes Meer: Im Nordosten Münchens liegt, umgeben und zerschnitten von Autobahn, Industriegebiet und Rangierbahnhof, eine für viele Münchner unbekannte Naturlandschaft. Die Angerlohe mit Tümpeln, Wiesen und Laubwäldern sowie die Allacher Lohe nördlich davon bieten vielen Tieren und Pflanzen Schutz. (Foto: Stephan Rumpf)

"Wir konnten mit einem Gutachten nachweisen, dass es hier noch Urwaldreliktarten gibt", erzählt der stellvertretende Geschäftsführer des Bund Naturschutz. Mit dem Gutachten vom vergangenen Jahr haben die Umweltschützer sogar die Autobahndirektion in die Bredouille gebracht. Denn das Naturschutzgebiet im Nordwesten Münchens wird von der Autobahn A 99, dem riesigen Rangierbahnhof, dem Maschinenbau-Unternehmen Krauss-Maffei und der Siedlung im Süden eingeschnürt. Die Autobahndirektion will nun aber die bestehende Schneise südlich des riesigen Gewerbegebiets von MAN und MTU vergrößern. Die Käfer könnten das Projekt allerdings verhindern.

Nicht nur die Käfer, die das urbane Paradies zum Überleben brauchen, schätzen diese eigentümliche Landschaft. Am Südende der Angerlohe führen Waldwege kreuz und quer durch den sattgrünen Laubwald. Auf 37 Hektar wachsen Hainbuchen, Eichen, Linden, Ahornbäume und auch noch die vom Aussterben bedrohten Eschen und Ulmen. Nördlich der kleinen Angerlohstraße beginnt das Reich der Amphibien. Vor allem Erdkröten wandern derzeit über die Straße, um in den kleinen Tümpeln mit Grasfröschen und Molchen ihren Laich abzulegen.

Die Pfützen sind jetzt im Frühsommer auch Lebensraum für Schmetterlinge, Wildbienen und Libellen. Ein paar Schritte weiter beginnt eine große Wiese mit Magerrasen. Ein Ehepaar, das mit Fahrrädern durch die Wiese fährt, hält neben hohen blauen Blumenstauden und kniet daneben für ein Foto nieder. "Ein Wiesenstorchenschnabel", ruft er. Seine Pflanzen-App hat ihn gerade zum kundigen Botaniker gemacht. Auf den Wiesen können über das Jahr verteilt aber auch Kartäusernelken, Graslilien und Bienen-Ragwurz entdeckt werden.

Die Ludwigsfelder Straße und der dahinter liegende Rangierbahnhof trennen die Angerlohe von der "großen Schwester im Norden", der Allacher Lohe, wie Naturschützer Hänsel es nennt. Er läuft gerne hinauf über die Brücken, die sich über die Gleise spannen und auf denen seit 1991 täglich Tausende Eisenbahnwaggons abgefertigt werden. Es ist ein eigenartiger Kontrast: Links und rechts erstrecken sich die dichten Lohwälder, in denen auch Rehe leben, unter der Brücke rattern gemütlich Güterzüge und regelmäßig rauscht ein ICE durch. Doch jenseits der Gleise liegt der Hundesee mit seinem teils türkisgrünen Wasser. Dahinter geht es in die dunkle Allacher Lohe. Sie sollte ursprünglich für den Bau der Autobahntrasse geopfert werden. Doch dank des Protestes von Bund Naturschutz und vielen Umweltschützern wurde die Trasse an den Nordrand des Waldes verlegt und der Allacher Tunnel unter den wertvollen Baumbestand gegraben. In den Natur Notizen des Bund Naturschutz vom Juli 1982 heißt es über den bedrohten Allacher Forst: "Am Schicksal des Allacher Forstes muß sich grundsätzlich erweisen, ob Naturschutz in München noch eine Chance hat." Denn beim Bau der Firmen MAN und MTU habe man bereits große Teile des Waldes gerodet. "Und nun will man diesen letzten Rest durch zwei so ehrgeizige Projekte wie Rangierbahnhof und Autobahnverbindung A 99 auch noch zerstören". Beide Projekte wurden zwar durchgesetzt, doch der Wind hat sich mittlerweile gedreht. Seit zwei Jahrzehnten steht das Gebiet unter strengem Naturschutz und hier lebt nun "die Crème de la Crème" an Tier- und Pflanzenarten, sagt Naturschützer Hänsel.

Um diese so einzigartige Natur zwischen Allach und Karlsfeld zu erhalten, müssen Umweltschützer allerdings tatsächlich hart arbeiten. Die Magerrasenwiesen werden auch gemäht, damit das wertvolle Biotop nicht früher oder später verwaldet. Denn fleißige Waldbewohner wie Eichelhäher fliegen mit Eicheln im Schnabel gerne hinüber zu den Wiesen und vergräbt sie dort als Wintervorrat. Wenn die Vögel ihre Verstecke nicht finden, beginnen im nächsten Frühjahr die Eicheln auszutreiben und könnten so langsam einen Eichenwald aus den Wiesen machen.

Oben in der Allacher Heide pflegt der Landesbund für Vogelschutz in München die Wiesen, auf denen unter anderem Mädesüß, das Sumpf-Kreuzblümchen und Kratzdistel wachsen. Für die Naturschützer ist es besonders wichtig, dass die Spaziergänger nicht die Wege verlassen. "Jeder Besucher trägt die Verantwortung für die Artenvielfalt", sagt Martin Hänsel. Und viel zu entdecken gibt es in der Angerlohe und der Allacher Lohe: einen Dschungel in der Großstadt.

© SZ vom 06.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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