SZ-Adventskalender:Der Lohn geht weg wie warme Semmeln

Lesezeit: 4 min

Eine neue Heimat: Hashem S. in seinem Wohnzimmer. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Hashem S. ist aus Afghanistan geflohen. Jetzt arbeitet er als Bäckereiverkäufer - und poliert sein Deutsch im Gespräch mit den Kunden.

Von Berthold Neff

Ist einem etwas wirklich wichtig, gibt man ihm den passenden Rahmen. In einer Ramschkiste auf der Straße, bei den Sachen zum Mitnehmen, hat Hashem S. einen gefunden, der zu der Urkunde passte, für die er so hart gearbeitet hat. Nun hängt sie, von ihm säuberlich gerahmt, an der Wand im karg möblierten, kleinen Wohnzimmer, und ein Wort sticht auf dem Büttenpapier neben dem roten Siegel groß heraus: Bäckereifachverkäufer. Die Hofpfisterei spricht ihm ihren "herzlichen Glückwunsch zur bestandenen Abschlussprüfung" aus und hofft, dass sich seine "beruflichen und privaten Ziele und Wünsche erfüllen werden".

Aber was wünscht sich ein Mensch vom Leben, vor allem einer, der 1999 in Kabul geboren wurde, mitten im afghanischen Bürgerkrieg, der als Kind die erste Schreckensherrschaft der Taliban erlebt hat und dann den Einsatz der von den USA angeführten Nato-Allianz? Der kaum vier Jahre lang zur Schule gehen durfte und schon mit acht Jahren mitten in der Nacht in einer Bäckerei putzen musste, für wenig Essen und einen Hungerlohn? Dessen Mutter starb, als er noch zu klein war, um sich heute an sie zu erinnern, und der später seinen Vater an den Krebs verlor? Ein solcher Mensch wünscht sich nichts Besonderes vom Leben, außer vielleicht, dass es eine Zukunft hat, eine halbwegs gute.

Hashem S. war 16 Jahre alt, als er zusammen mit einem seiner Brüder die Flucht aus der Heimat wagte, in der sie, als Angehörige der Hazara, einer großen Minderheit, immer wieder verfolgt wurden. Zum ersten Genozid an den Hazara, die wohl turko-mongolischen Ursprungs sind, kam es schon am Ende des 19. Jahrhunderts. Als die Taliban 1997 Masar-i-Scharif zurückeroberten, ermordeten sie mindestens 2000 Angehörige der Hazara. 2021, als die Taliban Afghanistan erneut überrollten und die Macht ergriffen, setzte sich dieser Terror fort, die Vertreibung der Hazara geht bis heute weiter.

Ihr Schicksal wurde in dem 2003 erschienenen Roman "Drachenläufer" von Khaled Hosseini beeindruckend geschildert. Darin geht es um die Freundschaft zwischen Amir, der einer reichen Paschtunenfamilie angehört, und Hassan aus der verfolgten Ethnie der Hazara, der als Dienstbote im Hause von Amirs Vater aufwächst. Er ist Amir treu ergeben, wird von diesem aber im Stich gelassen, als sich Nachbarsjungen über ihn hermachen. Es entwickelt sich daraus eine tragische Geschichte, und als Hashem S. das Buch seiner Lehrerin in der Berufsschule schenkt, sagt auch sie, es sei sehr schön gewesen, aber zum Schluss habe sie weinen müssen.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Hashem S. hat sicher nicht so viel erdulden müssen wie Amir, der Hazara aus dem Roman. Und es reichte auch nicht, um in Deutschland als Verfolgter Asyl zu bekommen. Nur dadurch, dass er bei der Ankunft minderjährig war, einen Deutschkurs besuchte, die Hauptschule beendete und eine Lehre abschloss, bekam Hashem S. einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland. Wenn man bedenkt, dass er erst seit acht Jahren hier lebt, kann man nicht umhin, als ihn für sein vorzügliches Deutsch zu bewundern. Das Kompliment nimmt er gerne an, gibt es aber sofort an seine Kunden weiter, mit denen er als Verkäufer in einer Hofpfisterei-Filiale täglich zu tun hat. "Von ihnen lerne ich jeden Tag", sagt Hashem S., und fügt hinzu: "Ich bin sehr dankbar, dass ich hierbleiben durfte und mir in meiner zweiten Heimat ein neues Leben aufbauen kann".

Tee auf dem Teppich - eine Couch wäre schön

Dazu gehört, seit dem 28. Februar, auch eine kleine Wohnung in Laim. Sie ist vorläufig nur spärlich eingerichtet, den Besucher bittet er auf den weichen Teppich im Wohnzimmer und serviert Tee in Gläsern, reicht dazu iranisches Gebäck. Und wenn man eine gute Stunde im Schneidersitz verbringt und ihn von seiner ersten Heimat erzählen hört, merkt man erst, wie kalt es hier ist. Die elektrischen Nachtspeicheröfen in der etwas in die Jahre gekommenen Wohnanlage sind mit der Kälte des Winters offensichtlich überfordert.

Oder, und das ist auch wahrscheinlich, will Hashem S. wegen der hohen Strompreise an den Nebenkosten sparen, die Miete beträgt 600 Euro kalt, dazu kommt die Miete für die Tiefgarage (obwohl er weder einen Führerschein noch ein Auto hat). Er verdient, in zwei Schichten, recht ordentlich, aber die 1600 Euro netto gehen in München weg wie die warmen Semmeln aus der Backstube. Wenn er Frühschicht hat, steht er um vier Uhr auf, um halb sechs beginnt der Dienst.

Das ist die Uhrzeit, zu der auch sein ältester Bruder in Kabul mit der Arbeit beginnt. Er verkauft heiße Milch, Backwaren und Früchte auf der Straße, noch dulden es die Taliban. Aber er muss von dem kargen Verdienst Abgaben zahlen und hat schon um neun Uhr wieder von der Straße zu verschwinden, sonst setzt es Strafen. Hashem S. blickt mit großer Sorge auf Afghanistan, er befürchtet, dass die Herrschaft der Taliban noch viele Jahre dauern wird. Und fügt hinzu: "Ich habe aber auch eine große Sehnsucht nach meiner alten Heimat."

Als Erinnerung daran, wie hart er dort schon als Kind arbeiten musste, hat er ein Foto auf der Kommode stehen, es zeigt ihn in der Bäckerei. Die Familie hat es für ihn aufbewahrt, abfotografiert und per Whatsapp geschickt. Es ist deshalb etwas unscharf, aber gerahmt. "Wenn ich es anschaue, weiß ich, wie hart das alles war, und dass es heute nicht besser wäre."

Nun aber gilt es, hier etwas aufzubauen. Er wird weiter sparsam sein, um sich das Nötigste anzuschaffen, damit die Wohnung wohnlicher wird. "Eine Couch und ein Bett, das wäre wichtig." Und wichtig ist auch ein Termin im nächsten Jahr, im Dezember 2024. "Dann werde ich den Antrag auf Einbürgerung stellen."

So können Sie spenden

"Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V."

Stadtsparkasse München

IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00

BIC: SSKMDEMMXXX

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Adventskalender
:Wenn die Seele aus dem Gleichgewicht gerät

Das Schicksal hat das Leben von Alfons F. einige Male getroffen. Bei einem Überfall wurde sein Jochbein zertrümmert, doch die Verletzungen waren nicht nur physisch.

Von Berthold Neff

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: