Tierheim Starnberg:Zu süß für die Wildnis?

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Wildtierpfleger Johannes Stroedel kümmert sich um das erst wenige Wochen alte Fuchsmädchen "Sissi". Alle paar Stunden muss das Jungtier gefüttert werden. (Foto: Georgine Treybal)

Immer mehr Menschen bringen vermeintlich kranke und schwache Tiere ins Heim. Die Versorgung ist teuer - und hilft Fuchs und Feldhase nicht unbedingt.

Von Carolin Fries

Das Fuchsbaby lag am Montag vor einer Woche auf der Terrasse eines Wohnhauses mitten in Hechendorf. "Es schnaufte noch, war aber mehr tot als lebendig", wie Tierpfleger Johannes Stroedel sagt, der den Winzling ein paar Stunden später im Starnberger Tierheim von der Polizei in Empfang nahm. Der 33-Jährige hält das etwa dreieinhalb Wochen alte Fuchsmädchen im Arm. "Sie hat noch viel Angst", sagt der 33-Jährige und küsst die Füchsin liebevoll auf den Kopf. Kollegen haben ihr den Namen "Sissi" gegeben.

Alle vier Stunden füttert der Wildtierpfleger das Raubtier mit Hundeaufzuchtmilch. Er wird es in den kommenden Monaten mit Fleisch päppeln, dafür sorgen, dass es auch Fellreste frisst, ihm die nötige Nestwärme geben, ohne den Fuchs zu sehr an den Menschen zu gewöhnen. Sissi soll schließlich in wenigen Monaten selbständig in der Natur zurechtkommen. Ohne Johannes Stroedel wäre Sissi wohl gestorben. Und auch die anderen vier Füchse, die derzeit im Tierheim großgezogen werden.

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Im Starnberger Tierheim müssen sich die Pfleger zunehmend um Wildtiere kümmern.

Vor einigen Jahren hätte das kaum jemanden interessiert. Inzwischen bringen die Leute immer mehr Wildtiere ins Tierheim - sogar Marder, die sonst keiner mag, weil sie des Menschen liebsten Freund anknabbern. In Starnberg sind seit März 22 Eichhörnchen, acht Igel, eine Wildmaus, fünf Füchse, vier Marder, vier Feldhasen, elf Singvögel, vier Gänse, 29 Enten, fünf Tauben, ein Greifvogel, zwei Krähen, eine Teichralle und ein Schwan versorgt worden. "Wir platzen aus allen Nähten", sagt Tierheimleiterin Christine Hermann. Und das geht auch anderen Häusern so.

"Der Lebensraum der Wildtiere schwindet", sagt Sabine Gallenberger vom Verein Eichhörnchen-Schutz, der im vergangenen Jahr 894 Nager in privaten Pflegestellen in München und Umgebung aufgepäppelt hat. "Wo bitte gibt es noch einen Baum mit Höhle?", fragt sie. Der Mensch baut einerseits Siedlungen, Straßen und Firmengebäude in Wald und Wiese. Andererseits haben Raubtiere die Vorzüge der Zivilisation zu schätzen gelernt: Da gibt es keine Jagd und immer Futter.

Vor allem aber herrsche ein "neues Bewusstsein" für die Natur, wie Wildtierpfleger Martin Stutte aus dem Münchner Tierheim sagt. Jedes Vögelchen, jeder Igel würde "gerettet", auch wenn die Tiere das gar nicht nötig hätten. "Es ist schon eine Doppelmoral zu erkennen", sagt Stutte. "Da weinen die Leute, weil es das gefundene Entenküken nicht schafft. Und zu Weihnachten gibt es die Mastgans."

Vor allem fehlt das Geld, um die Tiere im Heim versorgen zu können. Allein die Enten in Starnberg fressen am Tag Wasserinsekten im Wert von 30 Euro, ein Eichhörnchen kostet etwa 60 Euro an Futter, bis es nach etwa drei Monaten wieder ausgewildert wird. Ein Feldhase schlägt laut Sabine Gallenberger mit 100 Euro zu Buche, ein Rehkitz kostet 500 Euro bis zur Auswilderung. Für Haustiere gibt es Zuschüsse der Kommunen und meist einen Obolus, wenn das Tier an einen neuen Besitzer vermittelt wird. Sollte es Johannes Stroedel gelingen, die kleine Füchsin auszuwildern, honoriert das niemand.

Tierschützerin Gallenberger hat vor einem halben Jahr den Verein Wildwaisen-Schutz gegründet, um private Pflegestellen finanziell zu unterstützen, die bei Aufzucht und Auswilderung helfen. "Ohne die wären wir aufgeschmissen", sagt Tierheimleiterin Hermann. Dorthin würden Tiere weitergereicht, die keine medizinische Versorgung mehr benötigen und allein fressen.

In der Münchner Wildtierstation liegt der Schwerpunkt auf Igeln und Singvögeln. Ein Nestling, der dort großgezogen wird, kostet laut Pfleger Stutte 30 bis 40 Euro. Ob sich der Aufwand lohnt? Stutte weiß, dass Wildtiere, die in Gefangenschaft aufwachsen, eine schlechte Ausgangsposition in freier Wildbahn haben. Sie sind es nicht gewohnt, dass immer und überall der Feind lauert, reagieren langsamer. Andererseits: "Es gibt immer weniger Wildtiere", jedes einzelne zählt - auch wenn die Aufzucht eine "Symptombehandlung" sei. Eigentlich müsste der Mensch den Lebensraum der Tiere schützen, statt sie ins Heim zu bringen.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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