Demokratische Teilhabe:Jetzt red' i

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Wo der Bürger ans Mikro tritt, muss der Rathaus-Chef Frage und Antwort stehen. Aber reichen Bürgerversammlungen dafür nicht? (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Auch Tutzing bekommt jetzt eine monatliche Bürgerfragestunde. Doch braucht's das überhaupt? Über quietschende Trampoline, laute Gschaftlhuberei und müde Rathaus-Chefs.

Von Peter Haacke, Madeleine Rieger und Viktoria Spinrad, Starnberg/Tutzing

Dienstagabend, Sitzungssaal des Starnberger Rathauses, die letzte Stadtratssitzung vor der Sommerpause. Tagesordnungspunkt 1, Bürgerfragen. Eine Frau geht zum Mikrofonständer, sie ist hier als Künstlerin und Grünen-Kreisrätin bekannt. Sie beobachte die Wasservögel schon seit zwei Jahren, sagt sie, zuletzt seien aber kaum noch Schwäne und nur noch sechs Entlein in der Starnberger Bucht zu sehen gewesen. "Bin ich die einzige Person, die das unangenehm beunruhigend findet?", fragt sie in die Runde. Einige Stadträte verdrehen die Augen.

Die Bürgerfragestunde gehört in Starnberg seit jeher zum kommunalpolitischen Werkzeugkasten der Bürgerbeteiligung. Warum ist der Bahnhof so dreckig? Die Radwege rum um Mamhofen versperrt? Das trinkwütige Volk entlang der Seepromenade so laut? Ein handreichendes Drama, das monatlich aufgeführt wird, um die Kluft zwischen dem paragrafengetriebenen Bürokratismus im Rathaus und den Menschen da draußen zu überbrücken.

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In elf der 14 Gemeinden im Landkreis Starnberg konnten Bürger bisher vor Gemeinderatssitzungen ins Rathaus spazieren und die Klaviatur des Unmuts bedienen. Meist geht es hier eher um kleine Problemchen als um große Fragen. Warum waren die Mülltonnen am Wochenende wieder so voll? Könnte an dieser und jener Ecke nicht ein Tütenspender für Hundekot aufgestellt werden? Und muss das Trampolin im Bewegungspark so quietschen?

Auch Tutzing wagt sich nun an das Experiment Bürgerfragestunde. Nach dem Sommer sollen Bürger vor dem Gemeinderat 15 Minuten lang Fragen stellen dürfen - so hat das das Gremium jüngst beschlossen. Aber braucht's das überhaupt, neben Plattformen wie der Bürgerversammlung? Und was sagen die Fragen über den Zustand der Bürgerseele?

Früher war es ja ganz einfach. Da ist man einfach schnurstracks ins Rathaus marschiert oder hat den Bürgermeister auf dem 150-Jahres-Jubiläum der Feuerwehr gefragt, warum denn nichts vorangeht beim Schulneubau. Wobei das mit dem kurzen Dienstweg zumindest in den kleineren Gemeinden nach wie vor ein altbewährtes Rezept ist. Bei Michael Kuch muss man deshalb erstmal auf den Rückruf warten. Ein Tourist aus dem Münsterland ist beim Geschäftsführer im Andechser Rathaus aufgeschlagen. Warum die Wanderwege so schlecht ausgeschildert seien?

Der Seefelder Bürgermeister Klaus Kögel bekommt etwa 45 Bürgermails am Tag, "mit allem möglichen Zeugs". (Foto: Georgine Treybal)
Der Herrschinger Bürgermeister Christian Schiller wird regelmäßig von einem Aktivisten zu den Radwegen befragt. "Einen der treuesten Besucher", nennt er diesen. (Foto: Georgine Treybal)
Die Gautinger Bürgermeisterin Brigitte Kössinger hat es auch schon erlebt, dass ein Bürger ins Ohr eines Gemeinderats flüstert, was dieser sagen solle. (Foto: Nila Thiel)

Andechs ist eine der letzten beiden Bastionen, in denen man auf eine Bürgerfragestunde vor der Gemeinderatssitzung verzichtet. Kuch klingt damit nicht unglücklich. Die Fragen könnten ja ohnehin nicht gleich beantwortet werden, sagt er. Und wenn man nichts zur Tagesordnung fragen dürfe - so wird es fast überall gehandhabt, um nichts vorwegzunehmen - dann könnte ja auch das, was den Leuten womöglich grad unter den Nägel brennt, nicht beantwortet werden. Ansonsten könne man ja einen Termin beim Bürgermeister machen.

Sieben Kilometer nördlich in Seefeld kommt mal keiner, mal kommen drei. Zu den Aufregerthemen zählen der Parkscheinautomat, parkende Campingmobile und Geschwindigkeitsbeschränkungen. Themen, die auch gerne direkt bei Bürgermeister Klaus Kögel (CSU) abgeladen werden. 80 Prozent der Themen würden direkt hineingetragen, sagt er. Mit dem Zuständigkeitsbereich im Rathaus hat das oft wenig zu tun. Wieso ist auf der Staatsstraße immer noch kein Radstreifen aufgezeichnet? Warum steht die Mülltonne nach der Entleerung nun woanders? Und warum schneidet der Nachbar seine Hecke nicht? "Wir sind die omnipotenten Kümmerer und Problemlöser", sagt Kögel ironisch. Aus dem Telefon erklingt ein Seufzer.

Im Wahlkampf wird die Bürgerfragestunde zur Bühne

Ganz leicht ist es ja auch nicht im Landkreis Starnberg. Mit jedem Euro pro Quadratmeter steigt die Erwartungshaltung an das Servicecenter Rathaus. In den langsamen Mühlen zwischen Aufstellungs- und Satzungsbeschluss eines Bauprojekts beispielsweise kann sich längst nicht jeder abfinden. "Die Besucher denken: Alles wird gleich beschlossen", sagt Herrschings Bürgermeister Christian Schiller. Dann seien sie oft ernüchtert. Oft seien es auch eher Vorträge als Fragen, "so nach dem Motto, Herr Lehrer, ich weiß was". In Wahlkampfzeiten mutiert die Bürgerfragestunde dann zur strategischen Bühne. "Viele Gruppierungen nutzen es aus, einfach nur, um in der Zeitung zu stehen", sagt Schiller.

17 Kilometer nordöstlich macht Schillers Amtskollegin gar keinen Hehl draus, dass sie keinen Mehrwert in dem Ganzen sieht. "Die Bürger freuen sich, wenn über ihr Problem geschrieben wird", sagt Brigitte Kössinger (CSU). Vor sechs Jahren hatte man die Formalia in Gauting extra so angepasst, dass Bürger auch zur Tagesordnung fragen dürfen. Jeder hat drei Minuten Fragerecht, Statements sind verboten. In der Breite scheint das Konzept wie vielerorts nicht eingeschlagen zu sein, oft sind es hier dieselben zwei Bürger, die Fragen stellen, einer davon ein Radaktivist. Abschaffen wolle sie dieses Konzept trotzdem nicht, sagt Kössinger. Es sei immer noch eine "niedrigschwellige Mitwirkung".

In Tutzing gehört Transparenzkritik an der Verwaltung längst zum guten Ton. Hier sind sie nun gespannt, wie sich der ÖDP-Vorstoß nach dem Sommer niederschlägt. "Der Bürger ist unser Souverän - er soll gehört werden", sagt Gemeinderätin Caroline Krug (ÖDP). Nüchterner klingt da Stefan Feldhütter (FW), er hat als einziger dagegen gestimmt. Das Format sei ineffizient, zumal es ja auch die Bürgersprechstunde gebe, sagt er. Er befürchtet eine "Plattform für Gschaftlhuber".

Im Starnberger Stadtrat tritt ein Anwohner aus der Wiesengrund-Neubausiedlung ans Mikro. Ob er einen Grünstreifen, der per Flurnummer der Stadt gehört, bepflanzen dürfe? Bürgermeister Patrick Janik gibt sich pragmatisch: Er habe kein Problem damit, "wenn uns Arbeit abgenommen wird". Und die Enten? Ein Schwund sei ihm nicht aufgefallen, beteuert Janik. Mürrisch wiegelt ein Stadtrat die Diskussion ab. Man müsse schon auf den See rausfahren, sagt er. Dann sehe man auch die Enten.

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