Unter Politprofis gilt die Regel: Auftritte in Wahlkampfzeiten beginnt man am besten mit einer Aussage, der jeder zustimmen kann. Christian Lindner, seines Zeichens FDP-Chef und obendrein auch noch Bundesfinanzminister, ist ein solcher Politprofi. Also erklimmt Lindner ein paar Stufen der Wiege von Starnberg, die passenderweise im FDP-Magenta in der Sonne vor sich hin brutzelt, und sagt: "Ja, es ist warm."
Bei einer solch zutreffenden Analyse der Situation ist Widerspruch zwecklos. Ja, es ist warm am Dienstagvormittag, knallheiß sogar. Trotzdem sind etwa 200 Menschen gekommen, um sich anzuhören, was Lindner abseits seiner meteorologischen Beobachtungen mitzuteilen hat. Darauf müssen sie zunächst aber erst einmal warten. Lindner kommt ein bisschen zu spät, und damit die Stimmung nicht kippt, scheppern aus den Boxen ein paar Sommerhits. Darunter ist auch der in den Jugendzimmern der Republik gerade angesagte Partyhit "Party Sahne". Darin heißt es: "Disco, Disco, Party Sahne, auf der Liste steht mein Name, muss nicht zahlen." Ein Finanzminister unter Sparzwang hört so etwas gerne.
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Nicht alle Zuhörer halten bis zum Ende durch, die Hitze ermattet dann doch einige. Nur Lindner selbst scheint die Sonne nichts anzuhaben. Knapp 45 Minuten spricht er über die aktuelle Weltlage und vergisst dabei natürlich nicht, die Erfolge der Ampelkoalition und insbesondere seiner FDP besonders hervorzuheben. Die Aktienrente oder die Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltung schreibt Lindner vor allem seiner Partei und damit auch sich selbst zu.
Die örtliche FDP hat für den Besuch ihres stärksten Zugpferdes groß aufgefahren. Die bayerische Landtagswahl steht vor der Tür, und die Liberalen wären zwar gerne Teil der nächsten Koalition in der Staatskanzlei, krebsen in den aktuellen Umfragen allerdings irgendwo zwischen vier und sechs Prozent herum und müssen deshalb um den Einzug ins Maximilianeum fürchten. Da will Lindners Auftritt gut inszeniert sein. Die Wiege von Starnberg ist deshalb mit Plakaten versehen, "Servus Zukunft" steht darauf in magentafarbenen Buchstaben auf gelbem Untergrund. Das Magenta der Wiege passt bestens in diese Szenerie, fast könnte man meinen, der Pforzheimer Künstler Andreas Sarow habe sein Kunstwerk speziell für diese Wahlkampfveranstaltung der FDP entworfen.
Klar, dass Lindner das gefällt. Magenta sei nun mal die "Trendfarbe des Sommers", stellt er fest, wobei das allerdings eher an einem aktuellen Kinofilm als an der FDP liegen dürfte. Dennoch, für Lindner handelt es sich bei der Wiege um eine "beachtliche Installation", und dass Magenta gerade so im Trend ist, sei ein "gutes Omen" für die anstehende Landtagswahl. Denn klar ist: In Bayern brauche man mal wieder starke Liberale. Dann kommt Lindner auf den Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf Deutschland zu sprechen. Als Erklärung für die neorealistische Devise, wonach der beste Sicherheitsgarant eines Staates ein hochgerüstetes Militär sei, hat sich Lindner einen besonders schönen Satz zurechtgelegt: "Kämpfen muss man können, um nicht kämpfen zu müssen", erklärt der FDP-Chef. Dann geht es um Wirtschaft und Finanzen: Die Wirtschaft sei mehr als zehn Jahre lang vernachlässigt worden. Doch immer neues Geld, ohne zu fragen, woher es komme, sei auch keine Lösung und belaste lediglich die Beschäftigten. "Die Belastungsgrenze ist erreicht", betont er. Dafür gibt es Beifall. Es müsse eine Zeitenwende in der Finanzpolitik geben.
Zudem kritisiert Lindner die Vermengung des geplanten Wachstumschancengesetztes mit der Kindergrundsicherung. Stattdessen brauche es mehr Betreuungsplätze, nur so bekämen alle Kinder die gleichen Chancen und Frauen, die arbeiten wollen, könnten auch arbeiten. Damit ließe sich der Fachkräftemangel wenigstens teilweise beheben. Auch über Steuersenkungen müsse man nachdenken, um qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland zu locken. Laut Lindner ist zudem ein Paradigmenwechsel wichtig, um eine fairere Verteilung von Einwanderern zu erreichen. Darüber hinaus muss seiner Meinung nach das Zuwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild geändert werden. Benötigte Arbeitskräfte sollen Vorrang bekommen. Alle anderen? Nun ja.
Ansonsten hat Lindner nicht viel Neues zu erzählen. Die meisten Themen, wie Ausbau von nachhaltigen Energien, Ausbau von Betreuungsplätzen, verstärkte Investitionen in die Bildungspolitik oder in die Ausbildung von Handwerkern, hat die FDP schon bei vergangenen Landtagswahlen gefordert. Nur: Damals schafften es die Liberalen in die Regierung, nun müssen sie um den Einzug in den Landtag fürchten. "Wir wollen wieder in den Landtag einziehen, aber nicht als Opposition", erklärt der Landesvorsitzende der Bayerischen Jungen Liberalen, Felix Meyer. Und der bayerische Spitzenkandidat Martin Hagen klärt seine Zuhörer über den erfreulichen Umstand auf, dass niemand "aus taktischen Gründen" die CSU wählen müsse, um einen grünen oder sozialdemokratischen Ministerpräsidenten zu verhindern. Denn wer stärkste Kraft werden würde, sei ja ohnehin schon klar. Auch ansonsten lässt Hagen kein gutes Haar an den beiden Parteien, die mit seiner Partei gerade die aktuelle Bundesregierung stellen. Die Grünen etwa nennt er eine "bevormundende Verbotspartei". Das Gegenangebot dazu kommt freilich in sommerlich-trendigen Magenta daher.
Die bayerischen Wähler könnten also lediglich über den Koalitionspartner der CSU abstimmten. Anders als den "Twitter-Troll" Hubert Aiwanger von den Freien Wählern sieht sich Hagen dabei bestens für das Amt des Wirtschaftsministers geeignet. Denn die FDP stehe für Bildung und Wirtschaftswachstum, während andere Parteien die anstehenden Herausforderungen entweder ignorieren oder eine Apokalypse heraufbeschwören.
Ebenso wie Lindner spricht sich Hagen für eine gesteuerte Migration aus und kritisiert, dass Deutschland den höchsten Steuersatz der Welt habe. Und ebenso wie Lindner nannte er die AFD nicht namentlich, kritisierte sie aber als "Partei mit menschenfeindlicher Geisteshaltung". Auch die Kreis-, Gemeinderätin und Landtagskandidatin aus dem Landkreis, Britta Hundesrügge, nutzt Lindners Auftritt für eine kurze Bewerbungsrede. Sie will sich ebenfalls für mehr Kita-Plätze, mehr Bildung und eine Unterstützung des Handwerks einsetzen. "Digitalisierung und Bildung dürfen keine Fremdwörter mehr sein", betont sie.
Als Lindner und alle anderen Redner durch sind, wartet eine kleine Gruppe von Zuhörern darauf, wie angekündigt noch Gespräche mit den Kandidaten führen zu dürfen. Das klappt aber nicht. Vielleicht ist es dafür dann auch Christian Lindner zu heiß.