Erdfunkstelle Radom:Good Morning, Raisting

Lesezeit: 3 min

Fünf Millionen Euro teuer: Die fahrbare Neun-Meter-Antenne hat die Deutsche Bundespost dem US-amerikanischen Unternehmen ITT abgekauft. (Foto: Förderverein Industriedenkmal Radom Raisting e. V./oh)

Vor 60 Jahren wird am südlichen Ende des Ammersees das erste über Satellit geleitete Übersee-Telefonat geführt. Ein technischer Erfolg mit weitreichenden Folgen.

Gastbeitrag von Hermann Martin, Raisting

Am 24. August 1963 rollt durch das bäuerlich geprägte Raisting eine Kolonne aus vier schwer beladenen Lastwagen, Mit der auffallenden Aufschrift "Universal Transportable Space Communication Terminal" können wohl die wenigsten Dorfbewohner etwas anfangen. Etwas misstrauisch wird der ungewöhnliche Transport mit den seltsamen Gebilden beäugt. Zwei Tage zuvor wurde die Fracht im Hamburger Hafen entladen und muss noch auf den letzten Kilometern einen Umweg über den Staatsforst westlich von Dießen nehmen, da die Brücke über das Flüsschen Rott zu klein und die nachfolgende Bahnunterführung zu niedrig ist.

Der Aufbau der Neun-Meter-Versuchsantenne fand in Sichtweite der Baustelle zum Radom statt, wo noch bis Ende vergangenen Jahres die Firma Talia Satellitenübertragungen anbot. Für die notwendige, zwei Tonnen schwere Elektronik wurde anfangs ein Zelt aufgebaut, das später einer Holzbaracke wich. Im Übertragungswagen der International Telephone and Telegraph Federal Laboratories (ITT) befanden sich Nachführempfänger und Übertragungstechnik. Als provisorisches Büro diente ein ausgedienter Omnibus.

Der Diplom-Ingenieur Hermann Martin bietet für Technikinteressierte und Touristen Führungen durch das Radom an. Vergangenes Jahr ist sein Buch "Erdfunkstelle Raisting - Der weite Weg ins All" erschienen. (Foto: privat/)

Aufgrund von US-Wiederaufbauhilfen und Handelskooperationen nach dem Zweiten Weltkrieg konnten in vielen Ländern umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt werden. Diese führten zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung. In den 1950er-Jahren wurde in Europa das Wirtschaftswunder gefeiert. Wenige Jahre später verzeichnete auch die Weltwirtschaft einen breiten Boom. Die damit einhergehenden verstärkten internationalen Handelsbeziehungen führten bald zu Überlastungen der bestehenden Übersee-Fernmeldeleitungen. Der steigende Kommunikationsverkehr von und nach Amerika konnte kaum mehr abgedeckt werden. Für Deutschland waren über das erste transatlantische Telefonkabelsystem, das 1956 verlegt wurde, nur 17 Kanäle vorgesehen.

Ende 1960 informiert sich deshalb die Deutsche Bundespost in den USA über die Möglichkeiten von Satellitenübertragungen. Und ein Jahr später wird bereits die Firma Siemens beauftragt, die Entwicklung und den Bau einer Erdfunkstelle zu übernehmen.

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Doch kaum jemand in Deutschland hat Erfahrungen mit Relaisstationen im All und den damit einhergehenden Problemen. Um praktische Erkenntnisse zu gewinnen, erwirbt die Deutsche Bundespost die mobile Satellitenempfangsanlage für fünf Millionen Deutsche Mark von der US-amerikanischen Firma ITT.

Zum Einmessen der Antenne behelfen sich die Ingenieure mit einem Quasi-Satelliten, der den Vorteil hat, dauernd an gleicher Position auffindbar zu sein. Dazu wird am sechs Kilometer entfernten Hartschimmelhof oberhalb des Ammersees ein 50 Meter hoher Antennenmast mit fernbedienbarem Sender errichtet.

Der damalige Raistinger Bürgermeister Tafertshofer (3. v. li.) und Postminister Richard Stücklen (rechts) erwarten vor 60 Jahren den Anruf aus den USA. (Foto: Förderverein Industriedenkmal Radom Raisting e.V./oh)
Als provisorisches Büro diente ein ausgedienter Omnibus. (Foto: Förderverein Industriedenkmal Radom Raising e.V.)

Damals zogen die beiden Kommunikationssatelliten Relay und Telstar in einer Höhe von zirka 1000 bis 7500 Kilometern ihre Kreise über der Erde. Aufgrund der geringen Höhe und ihrer hohen Geschwindigkeit waren sie nur etwa 20 Minuten "sicht-" und damit nutzbar. Nach ihrem Untergang tauchten sie erst zweieinhalb Stunden später wieder am westlichen Horizont auf. Nur diese kurze Zeit konnte für Übertragungen von und in die USA genutzt werden.

So fand am 23. Oktober 1963 zum ersten Mal eine Fernseh-Versuchssendung aus der Raistinger Wanne zur Gegenstation in Nutley, New Jersey (USA), statt. Wenn man bedenkt, dass die Ausstrahlung von Fernsehberichten aus Übersee damals nur mit eingeflogenen Videoaufzeichnungen auf Zwei-Zoll-Bändern frühestens nach ein bis zwei Tagen möglich war, dann wird man den enormen technischen Fortschritt nachvollziehen können. Einen Tag später konnte das Richtfest dieser mobilen Antenne gefeiert werden. Fachleute nannten sie Schmalbandantenne, da sie nur für maximal 24 Fernsprechkanäle ausgelegt war.

Der Chef der Nasa begrüßte den Postminister mit einem "Good Morning"

Zur Einweihung und dem ersten Telefongespräch über den Nachrichtensatelliten Relay 1 von deutschem Boden in die USA kamen am frühen Nachmittag des 8. November 1963, also vor nun 60 Jahren, an die 100 Journalisten von Presse, Rundfunk und Fernsehen nach Raisting. Für sie standen extra aufgestellte, tragbare Telefonzellen für die schnelle Weitergabe dieses Ereignisses an ihre Redaktionen bereit.

Der damalige Bundespostminister Richard Stücklen erwartete gegen 15 Uhr einen Anruf aus den USA. Als das Telefon klingelte und James E. Webb, der Chef der Nasa, ihn mit einem "Good Morning" begrüßte, ging ein Raunen durch die gespannt Wartenden. Dieser Wunsch, der über die aufgestellten Lautsprecher und klar aus den atmosphärischen Störungen heraus zu hören war, machte den umstehenden Zuhörern die Bedeutung dieser Stunde erst richtig bewusst.

Bis zum Betrieb der ersten Großantenne unter dem Radom und darüber hinaus wurde diese Versuchsantenne für eine ganze Reihe von Testsendungen, aber auch für reguläre Übertragungen genutzt. Die Anbindung an das Fernsprechnetz erfolgte per Richtfunk über die Zugspitze nach München, da es in dem Ort am Ammersee noch keinen Richtfunkturm gab. Nicht nur die guten Raistinger Versuchsergebnisse, sondern auch die der anderen wenigen bereits bestehenden Erdfunkstellen, führten ein Jahr später zu einem Übereinkommen zur vorläufigen Regelung für ein weltweites kommerzielles Satelliten-Fernmeldesystem zwischen 20 Staaten.

Übrigens, wem der Name "James Webb" bekannt vorkommt: Das Ende 2021 gestartete Weltraumteleskop wurde nach diesem ehemaligen Nasa-Chef benannt. Es soll als Nachfolger des Hubble-Teleskops die ältesten Galaxien der Welt erkunden.

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