Fünfseen-Filmfestival:Von Nieren und vom Frieren

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Kurz vor Einbruch der Dunkelheit startet das Fünfseen-Filmfestival mit der Tragikomödie "Risiken und Nebenwirkungen" des Wiener Regisseurs Michael Kreihsl. (Foto: Arlet Ulfers)

Bei frischen Temperaturen startet das cineastische Großereignis im Starnberger Seebad. Von den anfangs etwa 500 Zuschauern halten nur die dick vermummten bis zum Schluss aus. Doch die dürfen ein wunderbares Gespräch mit Regisseur und Schauspielern erleben.

Von Gerhard Summer, Starnberg

Für solche Momente würde wohl keiner eine seiner Nieren hergeben, aber wunderbar sind sie trotzdem. Matthias Helwig, der Chef des Fünfseen-Filmfestivals, hat den Regisseur und zwei Hauptdarsteller der Tragikomödie "Risiken und Nebenwirkungen" auf die Bühne geholt, und dieses Gespräch mit dem Wiener Michael Kreihsl, Inka Friedrich und Thomas Mraz gehört zu den witzigsten und charmantesten seit langem.

Auch im Filmgespräch sehr witzig: Regisseur Michael Kreihsl (Foto: Arlet Ulfers)

Die Drei spielen sich so locker die Bälle zu, als hätten sie für den Auftritt geprobt. Als Kreihsl den Hauptdrehort seines Vier-Personen-Stücks als "ein Haus von jemandem" beschreibt, "der mit Gefühl nicht umgehen kann", kontert Mraz: "Hast du das deinem Freund", dem die Villa gehört, "auch gesagt?" Vorher erzählt Friedrich, sie habe mal bei Samuel Finzi in Berlin gewohnt, weil der ein Zimmer untervermietete, bei dem Schauspieler also, der seiner Ehefrau in "Risiken und Nebenwirkungen" keine Niere spenden will. Kreihsl sagt mit gespielter Enttäuschung: "Das weiß ich gar nicht, das mit der WG." Und am Ende, als sich Helwig nach Fragen aus dem Publikum erkundigt, fällt Mraz ein: "Ob's Glühwein gibt, hat jemand gefragt."

Charmante Plauderer: Die beiden Hauptdarsteller beim Eröffnungsfilm, Thomas Mraz und Inka Friedrich, hier mit Schauspielerin Aglaia Szyszkowitz. (Foto: Arlet Ulfers)

Klar, der Einwand ist berechtigt. Gegen 23 Uhr ist es längst empfindlich kalt geworden im Seebad Starnberg, von den grob geschätzt 500 Gästen ist vielleicht noch ein Drittel übrig, die meisten sind dick vermummt. Und bei all der Fortune, die Helwig und sein Team bei der Eröffnung des 15. Fünfseen-Filmfestivals wieder mit dem launischen Wetter haben: Der schöne Sommerabend "ohne Anorak und ohne Decken", wie ihn Helwig anfangs beschworen hat, ist in Wahrheit in weiter Ferne. Aber wahrscheinlich gehört das bei dem Großereignis einfach dazu, so wie bei Kreihsls Eröffnungsfilm die Tragödie Hand in Hand mit der Komödie geht: dass die Kinofans bei allem Glück immer auch ein klein wenig leiden müssen.

Trotzdem ist die Liegewiese mit Blick auf Alpen, Segelboote, das silbergraue Wasser und später auf den zwischen den Ästen hervorleuchtenden Mond das ideale Festgelände. Ausgerechnet zur Jubiläumsausgabe ist die Szenerie allerdings kleinformatiger geworden. Das Gelände ist enger abgezirkelt, was dem Platz die Weite nimmt. Das Flying Buffet fällt karger aus, sogar die Schwäne drehen ab. Von der Band, dem Kilian-Sladek-Jazztrio, ist auf Entfernung fast nichts zu hören, weil die Lautsprecher auf den See gerichtet sind. Und die Stelzengänger, die dem Platz im Vorjahr einen Hauch von Kunstpark gegeben hatten, fehlen diesmal. Auch der Glamourfaktor ist klein. Wer außer Moderatorin Marieke Oeffinger will schon beim Open-Air im Abendkleidchen frieren?

Zu den Gästen gehören auch das Künstlerpaar Johanna Bittenbinder und Heinz Josef Braun. (Foto: Arlet Ulfers)

Immerhin, ein paar Herren sind in kühnen Sakkos erschienen. Die Roseninsel-Zille "Marie" mit blauem Baldachin startet wieder zur romantischen Überfahrt und bringt Kreihsl, Friedrich und Mraz um 18.58 Uhr zur Halbinsel im Seebad, wo schon sechs Fotografen warten. Und etliche bekannte Schauspieler, Regisseure, Publizisten oder Kabarettisten flanieren über den nachgiebigen Teppich, der nicht rot, sondern blau ist. Mit dabei sind Johanna Bittenbinder und Heinz-Josef Braun, Ursula Buschhorn, Felicitas Darschin und Oliver Rihs. Die Stammgäste Johano Strasser, Franziska Sperr und Martina Neubauer (Grüne) sind da, ferner Otto Göttler, Josef Brustmann und die Erfinder der neuen Festivalreihe "Kino & Klima", Anne und Alexander Eichberger. Landrat Stefan Frey kommt mit dem erschlankten Bundestagskandidaten Michael Kießling im Schlepptau, Altlandrat Karl Roth mischt sich sehr entspannt unter die Gäste. Wer nicht weiß, dass gleich ein zweiwöchiges Kinofest anfängt, könnte denken, an den weißen Stehtischen habe sich eine weit verstreute Großfamilie versammelt, so vertraut plaudern die Besucher in Gruppen miteinander.

Als Stammgäste bei der Eröffnung gelten Franziska Speer, Johano Strasser, Otto Göttler und Imke Peters. (Foto: Arlet Ulfers)

Sparsamkeit diktiert die Festrede. Helwig tritt gegen 20.30 Uhr nicht zum großen Rückblick aufs Festival an und schenkt sich Anmerkungen zu Kultur und Pandemie. Er spricht lieber über eine Filmreihe, die ihm besonders wichtig ist, den "Perspektivwechsel" mit Klassikern wie "Der Mann, der Liberty Valance erschoss", "Die 12 Geschworenen" und "Rashomon", die sich allesamt darum drehen, dass es nicht nur eine Wahrheit oder nur eine Meinung gibt. Und er sagt, dass dieses Filmfest natürlich schöne Bilder zeigen und aufregende Geschichten erzählen wolle, aber auch den Anspruch habe, "die Welt ein kleines bisschen zu verbessern" und zu drängenden Themen wie der Flüchtlingskrise oder dem Klimawandel Stellung zu beziehen.

Vor diesen Ansprachen könnte sogar hartnäckigen Filmfans ein wenig bange sein. Denn zwischendrin spulen Moderatorin Mareike Oeffinger und Helwig meist das Programm im Schnelldurchgang ab, das jeder auch nachlesen könnte, und neigen zur Überhöhung. Da ist dann von "tollen" Jurys die Rede, der "herrlichen" Musik des Jazz-Trios und den "Perlen", also Filmen, die Helwig und sein Team ausgesucht haben. Andererseits: Ein bisschen Klappern und Show gehören wohl einfach mit dazu. Und als Oeffinger vom "wunderbaren" Austausch zwischen Filmemachern und Kinoliebhabern spricht, setzen heftiger Applaus und Johlen ein.

Mit dem Eröffnungsfilm ist Helwig tatsächlich ein Coup gelungen. "Risiken und Nebenwirkungen" zeigt zwei Ehen, die nur noch schöner Schein sind. Kreihsl spielt clever mit Klischees. Er entwickelt Witz, Tempo, herrlich überdrehte bis absurde Pointen und setzt auf feine Dialoge mit "Pingpong-Sätzen", wie Inka Friedrich später sagt. Dafür kann man schon mal frieren.

© SZ vom 20.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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