Straßenbäume im Landkreis Starnberg:Bedrohte Lebensretter

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Wenn das erste Herbstlaub fällt, erscheinen sie besonders attraktiv: Die stattlichen Silberweiden an Herrschings Uferpromenade prägen das Ortsbild. Sie sind rund 70 Jahre alt, ihr Erhalt in Zeiten der Klimaerwärmung bereitet der Gemeinde Sorgen. (Foto: Arlet Ulfers)

Bäume senken das Risiko von Hitzetoten in Siedlungen, leiden aber selbst unter der Klimaerwärmung. In den Kommunen wird nun zunehmend auf Schattenspender aus südlichen Gefilden gesetzt, die den widrigen Bedingungen an deutschen Straßen trotzen.

Von Armin Greune, Starnberg

Vom japanischen Schnurbaum, der Kobushi-Magnolie, der Gleditschie oder der Gummiulme haben bisher wohl nur Gärtner und Landschaftsplaner ein Bild vor Augen. Das könnte sich rasch ändern: Während heimische Ahorne, Linden oder Rosskastanien mit der Klimakrise aus Siedlungs- und Verkehrsräumen verschwinden, gelten eine Reihe von südländischen Arten als "Zukunftsbäume". Grünplaner und öffentliche Verwaltungen im Fünfseenland sind daher auf der Suche nach klimaresilienten Gehölzen, um ihre Bürger vor den immer häufigeren Hitzewellen zu schützen.

Bäume tragen erheblich dazu bei, das Mikroklima in bebauten Gebieten erträglicher zu gestalten: Sie spenden Schatten, filtern mit ihrem Laub Staub aus der Luft, setzen Sauerstoff frei und verdunsten über die Blätter täglich bis zu 400 Liter Wasser, das die Umgebungsluft abkühlt. Ein ausgewachsener Baum leistet dabei so viel wie zehn Klimaanlagen, haben Forscher der niederländischen Uni Wageningen festgestellt. Zugespitzt formuliert: Je mehr Bäume in Siedlungen leben und je größer ihre Kronen sind, desto weniger Hitzetote sind künftig zu befürchten.

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Doch leider sind Gehölze gerade im urbanen Raum auch vermehrtem Stress ausgesetzt: Sie werden dort selten älter als 60 Jahre, während Artgenossen in Parks und Wäldern oft 200 Jahre lang gedeihen. Fachleute gehen davon aus, dass Stadtbäume im Mittel nur die Hälfte ihrer potenziellen Lebenserwartung erreichen - in erster Linie wegen der geringeren Verfügbarkeit von Wasser. Bei Straßenbäumen ist die Vitalität sogar auf ein Viertel der natürlichen Altersgrenze reduziert: Ihnen machen neben Platz- und Nährstoffmangel die Bodenverdichtung, Abgase und Streusalz zu schaffen - von direkten Verletzungen durch den Verkehr oder Bauarbeiten ganz abgesehen. Gestresste Alleebäume sind wiederum anfällig für Parasiten oder Komplexkrankheiten; sie reagieren zudem empfindlicher auf verstärkte Sonneneinstrahlung und längere Dürreperioden, die sich mit der Klimaerwärmung häufen.

Der nordamerikanische Amberbaum scheint im Herbst in Flammen zu stehen. Wegen seiner Stressresistenz gewinnt er auch bei uns zunehmend an Bedeutung als Stadtbaum. (Foto: Gottfried Czepluch/imago/Gottfried Czepluch)

Immer öfter treten auch Hitzesommer mit längeren Perioden von Tagestemperaturen von mehr als 30 Grad auf: In Südbayern war das in fünf der sieben vergangenen Jahre der Fall. Die Folge: Klassische Alleebäume wie Sommerlinde, Rosskastanie, Berg- und Spitzahorn reagierten darauf mit stark verfrühtem Blattfall. "Die Trockenheitsschäden sind den Bürgern und unseren Gärtnern heuer wieder extrem aufgefallen", sagt Christine Hammel, die im Gilchinger Rathaus für Energie, Umwelt und Klima zuständig ist. Abgesehen von 50 Hektar Kommunalwald betreut die Gemeinde Gilching etwa 3300 Straßenbäume. Deshalb referierte in der jüngsten Umweltausschusssitzung Susanne Böll über das Thema "Stresstolerante Stadtbäume für die Zukunft"; sie leitet das Forschungsprojekt "Stadtgrün 2021".

Böll zufolge leiden Sommerlinde, Rosskastanie, Berg- und Spitzahorn besonders unter Trockenstress; bei Buchen, Eschen und Platanen treten temperaturbedingte Risse oder Schlitze im Stamm und an den Ästen auf. Für ihre Pflanzempfehlungen greift sie auf eine Liste der Gartenamtsleiterkonferenz zurück, für die Experten deutschlandweit seit 1975 Erfahrungen sammeln. Als klimaresiliente Stadtbaumarten haben sich bislang etwa die südchinesische Gummiulme sowie Amberbaum und Gleditschie aus Nordamerika bewährt. Vom Mittelmeerraum und Balkan eignen sich an passenden Standorten Hopfenbuche, Blumenesche und Silberlinde auch nördlich der Alpen.

Im Gilchinger Gewerbegebiet ist an der Nicolaus-Otto-Straße eine artenreiche Allee gepflanzt worden. Bodenverbesserungen und Gießringe erleichtern den Bäumen das Aufwachsen. (Foto: Nila Thiel/Starnberger SZ)

"Mindestens genauso wichtig wie die Artenwahl aber ist es, den Bäumen mehr Platz zur Infiltration zu gönnen", hat Christine Hammel erkannt, "Versiegelung ist ein großes Problem." Man müsse daher "ins Pflanzloch investieren": Etwa Pflanzenkohle einarbeiten oder gar die Erde austauschen, denn gerade in den Gilchinger Kies- und Schotterböden versickert das Wasser rasch. Entsprechend großzügig wurden die Baumgruben jüngst im Gewerbegebiet Ost angelegt. Dort kamen neben besonders widerstandsfähigen Erlen-, Ahorn- und Ulmenzüchtungen die wärmeliebenden Silberlinden und Zerreichen zum Einsatz. Eine Mischung möglichst vieler Baumarten sei in Gilching mittelfristig auch für die Brucker Straße angedacht: "Dort sind die Linden vom Streusalz stark angegriffen", sagt Christine Hammel.

Auch ihre Starnberger Kollegin Dorothea Burger verzichtet inzwischen ganz auf heimische Sommer- und Winterlinden, sondern greift nur noch auf die aus dem Balkan stammenden Silberlinden zurück. Die haben eine besondere Art des Hitzeschutzes entwickelt und können notfalls ihre Blattunterseite der Sonne entgegen wenden: Dort ist das Laub mit einem silbrigen Flaum bedeckt, der einen hohen Anteil des Sonnenlichtes reflektiert. Zudem sind Silberlinden relativ unempfindlich gegenüber Staub und Abgasen und eine sehr begehrte Nektarquelle für Insekten.

Wesentlich hitzetoleranter als heimische Linden: Silberlinden setzen den silbrigen Flaum auf der Blattunterseite aktiv ein, um Sonnenstrahlen zu reflektieren. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Burger, die in der Stadtverwaltung für Grünplanung und Naturschutz zuständig ist, muss bei Pflanzungen die unterschiedlichen Standorte in der Kreisstadt berücksichtigen. In seenahen Bereichen wie etwa im Industriegebiet Moosstraße steht das Grundwasser schon in eineinhalb Meter Tiefe an: Dort eignen sich etwa Rot-Ahorn und Sumpf-Eiche, die beide aus dem östlichen Nordamerika stammen oder die aus Kreuzungszucht hervorgegangene Purpur-Erle. Die gleichermaßen feuchteliebenden Silberweiden hingegen zeigten etwa an der Uferpromenade Spannungsrisse, wie sie auch an der glatten Rinde von Buchen und Linden immer häufiger auftreten.

Ein Grund mehr für Burger, "diese Arten im öffentlichen Verkehrsraum nicht mehr zu pflanzen". Für die höheren Lagen in Starnberg eigne sich dagegen etwa die Baumhasel, die in Südosteuropa und der Türkei natürlich vorkommt, sowie die mediterrane Zerreiche "am besten in Mischung mit anderen Eichenarten". Burger sammelt auch Erfahrungen mit dem Südlichen Zürgelbaum aus dem Mittelmeerraum, seit sie vor vier Jahren 16 Exemplare an der Hanfelder Straße anstelle von dahinsiechenden Linden gepflanzt hat.

Die Strahlungshitze der Hanfelder Straße hat die Stämme der jungen Winterlinden förmlich gespalten. Ähnliche Stammrisse zeigen auch die Artgenossen am Starnberger Kirchplatz. (Foto: Stadt Starnberg)
An der Hanfelder Straße in Starnberg sind anstelle der schwer geschädigten Linden vor vier Jahren 16 Zürgelbäume gepflanzt worden. (Foto: Nila Thiel/Nila Thiel)

Der Landschaftsarchitektin ist natürlich bewusst, dass die Alleebäume mit der Klimaerwärmung größere Wurzelräume benötigen. Doch der steht im engen Straßenraum selten zur Verfügung. Deshalb ist jetzt für Baumpflanzungen in der Wittelsbacher Straße geplant, eher in die Tiefe zu gehen: Die Pflanzgruben messen an der Oberfläche nur zwei mal zwei Meter, erweitern sich aber unterirdisch auf zweieinhalb mal zehn Meter. "Aber der Wurzelschutz bleibt ein immerwährender Kampf", sagt Burger: Ihr Ressort werde nicht immer informiert, wenn im Boden an Leitungen gearbeitet wird und die Gefahr besteht, dass dabei Baumwurzeln verletzt werden.

Den Bäumen auf öffentlichen Grund komme auch deswegen entscheidende Bedeutung zu, weil in den immer stärker parzellierten Hausgärten keine großen Gehölze mehr Platz finden. Auf der anderen Seite werden private Grundeigentümer weiterhin dazu angehalten, heimische Bäume und Sträucher zu pflanzen - weil das im Straßenraum wegen der widrigen Wuchsbedingungen und der Verkehrssicherungspflicht nur noch selten möglich ist.

In Herrsching bereiten die ortsbildprägende Silberweiden an der Uferpromenade Sorgen.

In Herrsching, wo demnächst ein Bürgerentscheid zu einer Baumschutzverordnung für Privatgärten ansteht, wurzeln etwa 2300 Bäume auf Gemeindegrund. Franziska Kalz, die im Rathaus Natur- und Umweltbelange vertritt, bereiten im Altbestand besonders die ortsbildprägende Silberweiden an der Uferpromenade Sorgen; ebenso wie die mächtigen Eschen in Seenähe, deren Bestand durch das europaweite Triebsterben bedroht ist. "Bei Neupflanzungen mischen wir so gut es geht", sagt Kalz, "doch das Artenspektrum verschiebt sich ständig." Birken etwa reagierten innerhalb von einem Jahr auf veränderte Klimabedingungen und in Herrsching fielen auch eigentlich widerstandsfähigere Französische Ahorne oder Rotblühende Kastanien immer wieder aus. Vor etwa zehn Jahren wurden im Herrschinger Gewerbegebiet Baumhaseln gepflanzt, "aber das ist noch kein Alter, um zu beurteilen, ob die Baumart durchhält", findet Kalz.

Neues Leben aus altem Stamm: Gefällte Silberweide am Herrschinger Seeufer (Foto: Arlet Ulfers)

Auch Susanne Böll empfiehlt dringend, bei Neupflanzungen auf möglichst viele verschiedene Arten zu setzen: "Der Klimawandel erfordert eine breitere Risikostreuung der Baumarten". Zudem wirkten gemischte Alleen den zunehmend häufiger auftretenden neuen Pflanzenkrankheiten und Schädlingen entgegen. Dort stelle sich auch im Vergleich zu Baumreihen, die nur aus einer Art bestehen eine höhere Vielfalt an Insekten und anderen Gliederfüßern ein.

Besonders wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, auf Baumscheiben zu verzichten und statt einzelner Pflanzlöcher verbindende Grünstreifen mit reichhaltiger Bodenvegetation anzulegen. Das dient auch der besseren Verankerung und Wasserversorgung der Bäume und somit dem Klimaschutz im urbanen Raum, der letztlich auch die Folgen der Erderwärmung für die Bewohner abmildert.

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