Bodendenkmäler:"Viele sehen die Archäologie als Störfaktor an"

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Annette Reindel mit dem Fragment einer unscheinbaren Scherbe und der Nachbildung eines Moretariums, einer Reibschale aus einem römischen Gutshof, einer sogenannten Villa Rustica. (Foto: Nila Thiel)

Der Verein "Zeitreise Gilching" hat kürzlich die Denkmalschutzmedaille verliehen bekommen. Durch die Geschichtsforschung kann man Dinge erfahren, die Tausende Jahre zurückliegen. Doch mit Häuslebauern kommt es immer wieder zu Konflikten: ein Gespräch mit der Vereinsvorsitzenden Annette Reindel.

Interview von Patrizia Steipe, Gilching

Das Karlstadter Museum, Schloss Sommerhausen, die Burganlage Falkenberg, der Felsenkeller in Wunsiedel - das sind nur einige von 18 Gebäuden, für deren Renovierung, Einrichtung oder Erhalt die Denkmalschutzmedaille verliehen wurde. Jedes Jahr zeichnet das Staatsministerium für Kunst und Wissenschaft in Bayern Denkmalschutzprojekte aus. In diesem Jahr gab es eine kleine Sensation: Der Gilchinger Verein "Zeitreise" wurde für sein Engagement für Bodendenkmäler geehrt. "Gemeinsam mit dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz, das in diesem Jahr sein goldenes Jubiläum feiert, sind Sie die Hüter unseres kulturellen Erbes", lobte Staatsminister Markus Blume bei der Verleihung in der "Alten Münze" in München. Annette Reindel, Vorsitzende des Zeitreise-Vereins, über Konflikte zwischen Häuslebauern und Archäologen - und über die Frage, warum Geschichtsforschung auch für unsere heutige Identität so wichtig ist.

SZ: Warum stehen Projekte, die sich für Bodendenkmäler einsetzen, so selten auf der Liste für die Denkmalschutzmedaille?

Annette Reindel: Die öffentliche Wahrnehmung von Bodendenkmälern hat ein Problem: Sie sind nicht sichtbar. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht da sind. Wir haben genauso viele Bodendenkmäler wie es Steinruinen gibt, die wir in den Urlaubsländern Italien oder Griechenland bewundern. Nördlich der Alpen sind alte Gebäude und Gräber jedoch so gut wie gar nicht sichtbar. Bei uns wurden sie meist aus Holz gebaut, das verrottet ist, oder die Steine wurden später für andere Bauten wiederverwendet.

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Was sind eigentlich Bodendenkmäler?

Als Bodendenkmäler oder archäologische Denkmäler werden Zeugnisse aus vergangenen Zeiten bezeichnet, die sich im Boden oder in einem Gewässer befinden. Das sind beispielsweise Reste alter Befestigungsanlagen, Grabstätten oder Siedlungen. Sie bestehen oft sowohl aus einem Fund, also einem Objekt, als auch aus einem Befund. Funde ziehen meist großes Interesse auf sich, während die Befunde eine Einordnung in einen größeren Zusammenhang mit diesen Funden herstellen können.

Wenn die Bodendenkmäler unsichtbar unter der Erdoberfläche sind, warum soll man sie dann schützen und bewahren?

Römer, Kelten und Bajuwaren haben die Grundlagen für unsere Orte gelegt. Ihre Relikte sind Zeugnisse unserer Geschichte in unterschiedlichen Epochen. Schriftliche Quellen reichen bis auf einige Ausnahmen lediglich bis ins Mittelalter zurück. Deswegen dienen die Untersuchungen der Bodendenkmäler dazu, unsere Ortsgeschichte zu verstehen, denn in der bayerischen Geschichte der Frühzeit gibt es noch viele Lücken.

Mit dem Fund dieser Münze an der Römerstraße war eine Datierung des Baus des ursprünglichen römischen Straßendammes möglich. (Foto: Nila Thiel)
Münze in der Nahaufnahme. (Foto: Nila Thiel)

Sollen dann möglichst viele Bodendenkmäler geborgen werden?

Nein, nein. Ein Bodendenkmal ist am besten im Boden aufgehoben, wo es auf Zeiten mit besseren Forschungsmethoden warten kann. Bei Baumaßnahmen wird es unwiederbringlich zerstört. Deswegen ist es so wichtig, dass es zuvor von Archäologen dokumentiert wird. Auch eine Ausgrabung ist eine komplette Zerstörung, dadurch geht ein Bodendenkmal unwiederbringlich verloren, die Quelle versiegt und wir können keine Erkenntnisse mehr daraus ziehen. Dabei wollen wir aus der Geschichte lernen, unsere Wurzeln kennen, die Heimat verstehen. Nur dadurch entwickeln sich Identität und Traditionen. Deswegen wird versucht, die unter der Erde liegenden Denkmäler möglichst zu schützen. Zum Beispiel wurde beim Radweg im Gewerbegebiet-Nord in Gilching eine Schutzschicht über das Denkmal und darüber erst der Weg gelegt.

Wo sehen Sie die Aufgaben des Zeitreise-Vereins in Bezug auf Bodendenkmäler?

Wir graben nicht selbst aus, sondern sehen unsere Aufgabe darin, zu vermitteln und aufzuklären. Dabei wollen wir alle Sinne ansprechen - und das mit verschiedenen Formaten. Von Radtouren auf den Spuren der Kelten, über den Zeitreise-Kalender bis zu den Mitmachstationen im Museum Schichtwerk oder den Zeitreise-Tunnel quasi als Außenstation des Museums. Zugleich setzt der Verein Impulse für die wissenschaftliche Auswertung der archäologischen Ergebnisse. Wenn man weiß, aus welchem Material Grabbeigaben sind, kann man daraus schließen, woher sie stammen und was es für Handelsbeziehungen gab. Man kann sehr viele Dinge erfahren, die Tausende Jahre zurückliegen.

So kann man dann die Vergangenheit greifbar machen?

Genau. Man kann die Leute mit Fundstücken begeistern, die Geschichten erzählen. Objekte "lebendig" zu machen, ist eines der Ziele des Zeitreise-Vereins. Und diese Objekte kommen von den Fundstellen im Boden oder von Baustellen. Fund und Befund, also der Zusammenhang in der Fläche oder der Fundschicht, liefern dann die Basis für die guten Geschichten.

Wie die drei "Kiltis", die 2012 in der Römerstraße gefundenen Bajuwarenskelette, die zu Identifikationsfiguren des Zeitreise-Vereins und der Grund für die Museumsgründung geworden sind.

Die Kiltis sind immens wichtig für Gilching. Heute noch werden die drei Skelette wissenschaftlich untersucht. Zum Beispiel wurde herausgefunden, dass der Kilti einen Wurzelspitzenabszess hatte, an dem er vielleicht gestorben ist. Uns ist es wichtig, dass die Skelette nicht nur in der anthropologischen Staatssammlung liegen. Deswegen organisieren wir Gelder für weitere Untersuchungen, damit wir ein Lebensbild von ihnen bekommen. Heute wissen wir neben Alter und Geschlecht dank Gesichtsrekonstruktionen sogar, wie sie vermutlich aussahen und wo sie herkamen. Die Erkenntnisse werden wir am 18. November im Rathaus Gilching der Öffentlichkeit präsentiert.

Was wünschen Sie sich, um Bodendenkmäler besser schützen zu können?

Viele sehen die Archäologie heute als Störfaktor an, der viel kostet und Bauvorhaben behindert. Das sind Vorurteile, weil die Leute sich nicht auskennen. Wir brauchen deswegen eine Stelle für Kreisarchäologie als ein Bindeglied zwischen Archäologie, Häuslebauer und Kommunen im Landkreis. Es gibt zwar im Landratsamt die Untere Denkmalschutzbehörde, aber dort wird eher verfahrenstechnisch gearbeitet. So eine Stelle könnte Kosten sparen helfen, weil dadurch eine bessere Planungssicherheit ermöglicht wird und Lösungen für das Bauvorhaben gefunden werden können. Man könnte die archäologischen Untersuchungen dann weit im Vorfeld einplanen, so dass sie bei Baubeginn schon längst beendet sind. Ein Landkreis wie Starnberg, der ein archäologisches Unesco-Welterbe hat (die Pfahlbauten bei der Roseninsel, Anm. d. Red.) hat, könnte sich dann auch endlich sachgemäß um dessen Schutz kümmern.

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