Kinderbücher:Trüffelschwein im Bücherwald

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Lisa Hammerl nutzt ihr Malatelier in der Freien Kunstanstalt Dießen auch als Büro für ihren neuen Kinderbuchverlag "Limbion". (Foto: Arlet Ulfers)

Die Leidenschaft für Kinder- und Jugendliteratur hat Lisa Hammerl zur Unternehmerin werden lassen. Nun sind die ersten drei Titel auf dem Markt - und die Verlegerin aus Dießen ist selbst mit dem Radl unterwegs, um sie zu vermarkten.

Von Armin Greune, Dießen

Mutig oder übermütig? Lisa Hammerl ist sich da nicht so sicher. Auf jeden Fall steckt weit weniger Geschäftssinn als Liebhaberei dahinter, dass sie jetzt im Alter von 60 Jahren einen unabhängigen Verlag gegründet hat. Die Dießenerin, die digitale Bildungsproramme entwickelt und auch als Malerin wirkt, war schon immer ein Fan von ansprechend gestalteten und inhaltsstarken Kinderbüchern: Seit vielen Jahren besucht sie regelmäßig internationale Fachmessen und Internetplattformen zum Thema. Die drei ersten von acht Perlen, die sie dabei aufgespürt und in Lizenz genommen hat, sind nun auf dem Markt. Es sind Übersetzungen finnischer, japanischer und französischer Zeichner und Autoren. Der "Limbion"-Verlag hat aber auch Welt-Premieren im Visier.

Zur Leidenschaft fürs handfeste Buch kommt auch pädagogisches Sendungsbewusstsein, was sich schon in der Namenswahl des Verlags ausdrückt. Limbion nimmt Bezug auf das limbische System: Das sind die Regionen des menschlichen Hirns, die Lernprozesse, Gedächtnis, Motivation und Triebverhalten steuern. Emotionales Erleben sei Voraussetzung für die Verarbeitung von Informationen, sagt Hammerl: "Wissen wird nicht einfach übertragen, sondern ist ein aktiver Prozess, der durch Gefühle wie Neugier, Fantasie und Spaß angetrieben wird."

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Deshalb hat sie etwa die französische "Miss Kat"-Serie ins Deutsche übertragen lassen und gerade mit "Der entführte Kanari" den ersten Fall der jungen Detektivin veröffentlicht. Die spannende Graphic Novel richtet sich an Kinder ab sechs Jahren, soll deren Neugier reizen und die Lust am Selberlesen wecken. Hinter der sehr erfolgreichen Comic-Buchreihe steckt das auch in Deutschland mit Preisen ausgezeichnete Zweierteam Jean-Luc Fromental (Autor) und Joëlle Jolivet (Illustratorin). Die Übersetzungsrechte für sechs Sprachen sind bereits vergeben. Limbion ist es gelungen, sich den deutschsprachigen Markt zu sichern und die renommierte Übersetzerin Annette von der Weppen für die Transformation zu gewinnen. "Miss Kat", wie die Ermittlerin mit der Katzenohren-Kapuze auf Deutsch heißt, könnte sich für den Verlag durchaus als kommerzieller Erfolg erweisen; deshalb entfällt auch die Hälfte der gesamten Startauflage von 8000 Büchern allein auf diesen Titel.

Die ersten drei im Juli vom Limbion-Verlag veröffentlichten Bücher - "Miss Kat", "Mein Leben als einsamer Axolotl" und "Mieko tanzt" - sind Übersetzungen fremdsprachiger Titel. (Foto: Arlet Ulfers)

Der Berufsweg der Verlagsgründerin war nie weit vom Kinderbuch entfernt: Er führte Hammerl von der Erzieherin über ein Pädagogik- und Literaturwissenschaftsstudium zunächst zur Tageszeitung und dann zum Online-Journalismus. Auf dieser Basis begann sie, digitale Programme für Lehrbuchverlage zu erstellen. Vor gut drei Jahren gründete sie unter dem Namen "Limbion Learning" ein internationales Beratungsbüro für Firmen, die im Bereich Bildungsprogramme und Lernplattformen tätig sind. Sie unterstützte Start-ups von Oslo und Dießen aus bei der Konzeption und Produktentwicklung digitaler Medien. Hammerl sieht sich "an der Schnittstelle zwischen Entwicklern und Anwendern, Autoren und Programmierern".

Der letzte Schwanzlurch erlebt die Apokalypse aus der Froschperspektive

Hinter der Firmenregistrierung steckte freilich von Beginn an auch der Gedanke, analog zu publizieren: "Das hab' ich mir ganz lang, wenn nicht schon immer gewünscht", sagt Hammerl. Sie bekennt sich zur Bibliophilie, die das Vergnügen an ansprechender Gestaltung und die haptische Qualität bedruckter und gebundener Werke einschließt. Und die Malerin in ihr erkennt den künstlerischen Wert von Bildern und Illustrationen, mit denen Kinderbücher gestaltet sind.

Mal- und Büchertisch: Limbion hat sich die deutschen Rechte für acht Titel gesichert, deren Originale in Finnland, Schweden, Norwegen, Frankreich und Japan erschienen sind. (Foto: Arlet Ulfers)

Als Beleg für die gehobenen Ambitionen kann "Mein Leben als einsamer Axolotl" der finnischen Illustratorin und Autorin Linda Bondestam dienen, das gerade bei Limbion erschienen ist: Aus der Sicht des letzten Schwanzlurchs "unten am Grund" wird die Apokalypse quasi aus der Froschperspektive erlebt. Aber ist es angemessen, schon Dreijährige mit der drohenden Klimakatastrophe zu konfrontieren? Hammerls Antwort dazu ist eindeutig: "Kinder nehmen wahr, was mit unserer Umwelt geschieht - wenn auch oft nur unbewusst. Geschichten helfen ihnen, die Herausforderungen unserer Zeit zu verstehen und gleichzeitig auf das Leben auf unserer Erde zu vertrauen." Auch ernste Themen könnten positiv und befreiend wirken, wenn sie mit starken Identifikationsfiguren und subtilem Humor vermittelt würden.

Im Buch wächst dem liebenswerten Axolotl aus einem abgetrennten Arm ein Partner nach, mit dem er den Grundstein für eine neue Generation im See legt. Da fällt es kaum mehr ins Gewicht, dass die "großen Plumpiane" inzwischen von der Oberfläche des Planeten verschwunden sind. Am Rande der Geschichte erfährt man, dass die sehr eigenartigen Amphibien mehrere Gliedmaßen und Organteile regenerieren können - und dass Axolotl wohl nur noch als Aquarientiere vorkommen, weil sie wegen der zunehmenden Umweltverschmutzung in ihrer mexikanischen Heimat wohl ausgestorben sind.

"Ich hatte ja keine Ahnung, wie man Bücher macht, und bin da ganz demütig", sagt Hammerl. Unterstützung erfährt sie von Stefan Vogt: Der Kommunikationsdesigner wirkt bei der Produktion mit und bringt das Print-Knowhow ein. Limbion verwendet umweltfreundliches Papier und wollte ursprünglich in Deutschland produzieren. Doch aus Kostengründen fiel die Wahl dann auf eine polnische Druckerei und Buchbinderei. Papiermangel und der allgemeine Preisanstieg verursachen allerdings weiter Probleme, sagt Vogt.

"Wir hatten großes Glück, zehn engagierte Vertreter zu finden"

Eine besondere Herausforderung stelle auch der Aufbau des Vertriebs dar, berichtet Hammerl. Zwischenhändler, Auslieferer und Verlagsvertreter, die Buchhändler aufsuchen, seien schwierig zu finden: "Wir hatten großes Glück, zehn engagierte Vertreter zu finden, die an unser Programm glauben und den gesamten deutschsprachigen Raum bereisen", sagt Hammerl. Mit Vogt verbindet sie die niederbayerische Herkunft, eine langjährige Freundschaft und der Wohnort: Vogt zog vor drei Jahren an den Ammersee nach Dießen und hatte sein Studio bis zum Frühjahr direkt neben der vormaligen Schreinerei Graf und jetzigen " Freien Kunstanstalt".

Lisa Hammerl und Stefan Vogt arbeiten bei der Produktion der Bücher eng zusammen. (Foto: Arlet Ulfers)

Hammerl startete vor einem Jahr in der Kunstanstalt als Co-Workerin und mietete ein Atelier unterm Dach. Inzwischen engagiert sie sich in der Vereinsarbeit und ist für die "Kultur Offensive" mitverantwortlich, die ein umfangreiches Kultur- und Kursprogramm für die Region anbietet. Seit 1996 lebt sie in Dießen, dort hat sie zwei Kinder großgezogen. Inzwischen ist Hammerl zweifache Großmutter.

Den Vertrieb ihrer Bücher kurbelt die Verlegerin auch persönlich an. Mit dem Fahrrad und einer wasserfesten Tasche aus Recyclingmaterial mit Verlagslogo besucht sie Buchhändler in der näheren und weiteren Umgebung: "Der persönliche Kontakt ist oft entscheidend", hat sie erfahren. So liegen ihre Titel etwa im Dießener "Colibri" oder in Pürgen bei Landsberg aus, wo sich seit 50 Jahren ein auf Kinderbücher spezialisierter, mehrfach mit Preisen ausgezeichneter Laden befindet: Dort konnte Limbion gleich 16 Exemplare absetzen - was genau einem Prozent des bisherigen Buchverkaufs entspricht. Dass im ersten Monat der Marktpräsenz bereits mehr als ein Fünftel der Produktion verkauft werden konnte, werten Hammerl und Vogt als ermutigendes Signal.

Arbeitsplatz mit Aussicht: Hammerl engagiert sich in Dießen auch in der "Kultur Offensive" der Freien Kunstanstalt. (Foto: Arlet Ulfers)

Die Ermutigung von Kindern und die Förderung von Empathie sind ebenfalls zentrale Anliegen, die sich im Verlagsprogramm widerspiegeln: "Wir greifen universelle Themen auf, die Menschen auf der ganzen Welt bewegen und die zur interkulturellen Verständigung, Inklusion und Diversität beitragen", sagt Hammerl. Beispielhaft dafür steht die dritte Neuerscheinung "Mieko tanzt": Das aus dem Norwegischen übersetzte Bilderbuch stellt spielerisch Geschlechterrollen in Frage und bestärkt Kinder darin, eine eigene Persönlichkeit frei von Konventionen zu entwickeln.

Es sei kein Zufall, dass ihre ersten Titel allesamt Übersetzungen sind, erklärt Hammerl, denn Kulturinstitutionen der drei Länder vergeben für die Lizenzausgaben Fördermittel im vier- bis fünfstelligen Euro-Bereich. Einen Verlag zu gründen bedeutet nicht nur ein finanzielles Wagnis, sondern erfordert viel persönlichen Einsatz. Hammerl hat sich nicht kopfüber in das Projekt gestürzt: Drei Jahre Vorbereitung waren notwendig, um in eine selten gewinnverheißende Branche einzusteigen. Schon viel länger ist sie regelmäßig Gast bei der weltgrößten Kinderbuchmesse "Fiera del Libro per Ragazzi" in Bologna: "Da fühle ich mich immer happy wie ein Trüffelschwein", sagt Hammerl.

Aber auch auf der Internetplattform "D-Pictus", auf der Zeichner, Autoren und Verlage von Kinderbüchern vernetzt sind, fänden sich "Schätze, die irgendwo im Verborgenen lagern". So ist sie auch auf einen Rohentwurf der belgischen Illustratorin Clara Thomasset gestoßen: Der Erstling der 23-jährigen Frau soll unter dem Titel "Traumtage" das erste Buch werden, dem Limbion zur weltweiten Erstveröffentlichung verhilft. Der Dießener Verlag ist bereits mit der Entwicklung des Stoffes betreut. Künftig sollen je zwei der sechs Titel des jährlichen Programms Eigenproduktionen sein.

Umkämpfte Branche

Eine Verlagsgründung bedeutet nicht nur viel Arbeit, sondern auch ein erhebliches finanzielles Risiko. Eine Studie der Bundesregierung aus dem Jahr 2021 verzeichnet rund 3000 unabhängige Verlage in Deutschland, lediglich 358 davon erzielen einen Jahresumsatz von mehr als einer Million Euro. Kleinunternehmen machen mehr als ein Drittel der Branche aus, die allerdings weniger als jeweils 17 500 Euro jährlich umsetzen, schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Während sich zwei Prozent aller deutschen Verlage fast vier Fünftel des Buchmarkts aufteilen, entfallen auf die große Mehrheit von 87 Prozent lediglich sechs Prozent des Gesamtumsatzes.

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