Stammstrecke:Diese Menschen sollen die Münchner S-Bahn pünktlicher machen

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Optimiertes Einsteigen: Al-Fathi Omar Ahmed (Mitte) lenkt mit seinen Durchsagen die Passagiere zügig in die S-Bahn. (Foto: Florian Peljak)
  • Die Deutsche Bahn startet am S-Bahn-Gleis 1 des Münchner Hauptbahnhofs ein Pilotprojekt, das S-Bahnen pünklicher machen soll.
  • Insgesamt sieben sogenannte "Reisendenstromlenker" sorgen dafür, dass sich während der Hauptverkehrszeit morgens und abends Menschenansammlungen an den Zugenden auflösen.
  • Um den Lärm am Bahnsteig zu verringern, wird außerdem neue Digitaltechnik für Ansagen getestet.

Von Thomas Jordan

Es ist laut an diesem Vormittag auf Gleis 1 der S-Bahn am Münchner Hauptbahnhof. Ziemlich laut. "Über 80 Dezibel" sagt Roman Sick, und er muss es wissen, schließlich ist der 29-Jährige Berliner Unternehmer nicht ganz unschuldig an der Geräuschkulisse. Seit Mittwoch dieser Woche mischen sich nämlich in den Klangteppich aus zischenden Zugbremsen, piependen Türen und Fahrgastgemurmel zwei weitere Stimmen - je nachdem in welcher Hälfte des Bahnsteigs man gerade steht. "Bitte an allen Türen einsteigen" sagen sie, oder "S7 Richtung Kreuzstraße" und klingen dabei ein wenig metallisch, beinahe hohl.

Die Stimmen gehören Gerd Grahl und Al-Fathi Omar Ahmed, die sich an den Enden von Gleis 1 postiert haben. Sobald eine S-Bahn einfährt, nähern sie sich mit ihren Headsets und den orangen Warnwesten über der blauen DB-Sicherheitskleidung der Stelle, an der sie vermuten, dass die Bahn hält. Dort warten sie, bis der letzte Fahrgast eingestiegen ist. Ein wenig zögerlich sieht das aus, so als ob sie noch nicht genau wüssten, ob sie sich eher als Ordnungsstifter oder Einstiegshelfer verstehen.

Für die Deutsche Bahn ist die Sache klar: Das Pilotprojekt "Reisendenstromlenker", wie der Job von Grahl, Omar Ahmed und ihren fünf Kollegen offiziell heißt, soll dafür sorgen, dass sich während der Rush-Hour morgens und abends Menschenansammlungen an den Zugenden auflösen und die Fahrgäste gleichmäßig an allen Türen zusteigen. Damit, so hofft Heiko Büttner, seit Januar Chef der Münchner S-Bahn, kann die vorgesehene Haltezeit von 30 Sekunden pro S-Bahn am Bahnsteig eingehalten werden und die Züge werden pünktlicher. "Momentan hängen wir normalerweise pro Zug drei bis vier Minuten zurück" sagt er. Im Laufe des Tages summiert sich das. In den kommenden vier Wochen wird nun die Haltezeit der S-Bahnen auf Gleis 1 der Stammstrecke am Hauptbahnhof gemessen und dann werde man sehen, ob es durch das neue Konzept Verbesserungen gebe.

Wenn die Züge pünktlicher sind, dann sind auch die Kunden zufriedener, schlussfolgert Karl-Heinz Ferstl, der Leiter des Bereichs Betrieb der bayerischen Bahnhöfe, der mit seinen Leuten für die Umsetzung des Pilotprojekts zuständig ist. Ihm liegt neben der Pünktlichkeit vor allem das Thema "Lärmbelästigung" am Bahnsteig am Herzen. Eine regelrechte "akustische Revolution" habe man dazu angestoßen, sagt er.

Und hier kommt Roman Sick ins Spiel. Der 29-Jährige ist CEO eines Startups, das sich mit digitaler Schallsteuerung beschäftigt. Für die deutsche Bahn hat er in der Mitte des Bahnsteigs von Gleis 1 ein Panel an die Decke gehängt, das nur wenig größer ist als die Bildschirme, die die Zugverbindungen anzeigen. Es sieht aus wie ein riesiger schwarzer Emmentaler.

Hinter den vielen runden, stoffüberzogenen Öffnungen des Panels verbergen sich auf jeder Seite 250 Lautsprecher. Anders als bei den Durchsagen der Stationssprecher, bei denen der ganze Bahnsteig beschallt wird, soll es mit der neuen Digitaltechnik, mit der die Live-Ansagen von Gerd Grahl und seinen Kollegen übertragen werden, möglich sein, gezielt einzelne Bereiche des Bahnsteigs anzusprechen.

Sick vergleicht die Genauigkeit, mit der seine Software die Schallwellen lenkt, mit einem Lichtstrahl: "Ähnlich wie bei einer Taschenlampe kann man bestimmen, wo etwas zu hören sein soll und wo nicht." Bis zu sechzehn Standorte am Bahnsteig könnten auf diese Weise mit unterschiedlichen Informationen beschallt werden, aktuell ist der Bahnsteig allerdings nur in zwei Hälften aufgeteilt, in denen Grahl und sein Kollegen Omar Ahmed unterschiedliche Ansagen machen können. "Der Kunde hört jetzt künftig das, was er braucht, dort, wo er es braucht" sagt Karl-Heinz Ferstl und hofft dadurch auf zufriedenere Reisende.

Die Fahrgäste selbst sind da an Tag zwei des Pilotprojekts deutlich skeptischer: "Würde ich den Typen nicht sehen, würde ich es nicht bemerken", sagt etwa Nadja Böck, die mit einem Rucksack bepackt auf Gleis 1 auf ihre S-Bahn wartet, vielleicht drei Meter von dem Reisendenstromlenker Gerd Grahl entfernt.

"Ich verstehe ganz wenig" sagt auch der Auszubildende Kilian Beck, der auf einer der Wartebänke unterhalb des neuen Lautsprecherpanels sitzt, fügt aber hinzu: "Vom Einfall her ist das bestimmt nicht schlecht, aber an der Umsetzung muss noch gearbeitet werden." Und wie sieht es mit dem anderen Thema, der Pünktlichkeit aus, zeigen sich da schon erste Erfolge des Pilotprojekts. Zwischen zwei Headset-Ansagen erklärt Gerd Grahl am Bahnsteigende: "Wir haben bei der S2 gerade zwei Minuten." Immerhin, keine vier Minuten Verspätung.

© SZ vom 18.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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