Städtepartnerschaften:"Vive Bordeaux, vive Munich!"

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Der Bordeauxplatz im "Franzosenviertel" Haidhausen ist ein Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft. (Foto: Stephan Rumpf)

München hat Städtepartnerschaften mit drei Metropolen in der EU. Wie es zu den Freundschaften gekommen ist und was sie zur europäischen Einigung beitragen.

Von Wolfgang Görl

Wer einen gepflegten Gedenkabend für die Münchner EU-Partnerstädte zelebrieren möchte, könnte beispielsweise Folgendes tun: Bei einem Glas Scotch den Film "Maria Stuart, Königin von Schottland" mit Saoirse Ronan in der Titelrolle anschauen, dann, zur Stärkung, ein Schlemmerfilet à la Bordelaise, und schließlich Gounods Oper "Romeo und Julia" auf CD hören, dazu eine Flasche Bordeaux. Mit all dem hätte der Connaisseur einen ersten Zugang zu den Besonderheiten, die Edinburgh, Bordeaux und Verona auszeichnen. Mit diesen drei Städten ist München partnerschaftlich verbandelt, dazu noch mit Sapporo, Cincinnati, Kiew und Harare. Aber die japanische Olympiastadt liegt ebenso wenig auf dem Gebiet der Europäischen Union wie die Universitätsstadt im US-Bundesstaat Ohio, die ukrainische Hauptstadt und die Hauptstadt Simbabwes. Leider steht auch Edinburgh auf der Kippe. Schottland gehört zum Vereinigten Königreich, weshalb der Brexit auch für die Bravehearts im Norden Großbritanniens gilt. Zu Zeiten Mary Stuarts wäre dies noch anders gewesen, da war Schottland ein unabhängiges Königreich.

Wie aber kam es zu diesen Städtepartnerschaften? Den Anfang machte Edinburgh, die Stadt am Firth of Forth an der schottischen Ostküste. Folgt man den Dokumenten, die im Münchner Stadtarchiv lagern, dann war es die Kulturabteilung des Britischen Generalkonsulats, die in den Fünfzigerjahren eine Verbindung zwischen Edinburgh und der bayerischen Landeshauptstadt anregte. Im Frühjahr 1954 traf sich Stadtschulrat Anton Fingerle (CSU) erstmals mit seinem Edinburgher Kollegen. Die Bildungspolitiker kamen überein, regelmäßig Lehrer- und Schülergruppen auszutauschen. Noch im selben Jahr unterzeichneten Oberbürgermeister Thomas Wimmer (SPD) und Lord Provost John G. Banks - der Titel entspricht in etwa dem des deutschen Oberbürgermeisters - den Partnerschaftsvertrag.

Schottland: Edinburgh ist Münchens älteste Partnerstadt. Die Freundschaft zwischen der schottischen und bayerischen Hauptstadt bahnte sich im Frühjahr 1954 an und sollte nach dem Krieg vor allem der europäischen Einigung dienen. (Foto: Mauritius)

In der Folgezeit besuchten einige Münchner Schüler die Partnerstadt, so wie es auch Edinburgher Jugendliche nach München verschlug; richtig in Schwung kam der Austausch aber erst 1957. Damals gründeten die Schwesterstädte ein Edinburgh-München-Komitee, dem Vertreter des Britischen Generalkonsulats, des bayerischen Unterrichtsministeriums und der Stadt München angehörten. Das Komitee setzte sich zum Ziel, den Lehrer- und Schüleraustausch zu fördern. Als vier Jahre später Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) auf Einladung von Lord Provost J. Greig Dunbar in Edinburgh weilte, konnten die beiden Rathauschefs eine positive Bilanz des Austauschprogramms ziehen. Rund 210 Lehrer und Lehrerinnen waren seit der Gründung des Komitees zu Besuch in der schottischen Metropole, zudem 120 Schüler sowie mehr als 100 Berufsschüler, etwa Bäcker-, Buchdrucker- oder Metallarbeiterlehrlinge. Umgekehrt hatten rund 500 schottische Jugendliche und 130 Lehrer ihre Schwesterstadt München besucht.

Was Kultur und Geschichte betrifft, spielen München und Edinburgh in derselben Liga. Das alljährlich im Sommer stattfindende Edinburgh-Festival, das Theater, Musik, Filme und vieles mehr bietet, wird von mehr als zwei Millionen Menschen besucht. Und wahrscheinlich gibt es keinen besseren Ort, ein Gefühl für die schottische Geschichte zu entwickeln, als die Royal Mile, ein Straßenzug, der das Edinburgh Castle mit dem Holyrood-Palast verbindet, in dem Mary Stuart einige Jahre lebte und wo ihr Privatsekretär David Rizzio mit 56 Messerstichen ermordet wurde.

Eines muss man den Schotten lassen: Eine Königin von derart tragischem Format wie Mary Stuart, die auf dem Schafott starb und sogar Friedrich Schiller zu einem Drama inspirierte, hat München nicht zu bieten. Allenfalls Agnes Bernauer kann da ein wenig mithalten, aber diese schöne Dame stammte aus Augsburg und war lediglich die Tochter eines Baders, ehe sie die Geliebte und Ehefrau des bayerischen Herzogs Albrecht III. wurde. Ihr tragisches Leben, das gewaltsam in der Donau endete, hat viele Künstler angeregt, darunter den Dramatiker Friedrich Hebbel und den Komponisten Carl Orff. Nicht übel, aber halt doch nicht Mary Stuart. Und auch nicht so berühmt wie jene Frau, mit der Münchens zweite Partnerstadt aufwarten kann und die als Opfer einer unmöglichen Liebe in die Weltliteratur einging.

Mitten in München, neben dem Alten Rathaus, steht seit den Siebzigerjahren die Bronzestatue einer jungen Dame, häufig dekoriert mit frischen Blumen. Sie heißt Julia. Nein, man muss es anders sagen: Dies ist Julia Capulet, die Geliebte Romeos, die Shakespeare unsterblich gemacht hat. Bekanntlich spielt die verhängnisvolle Affäre in Verona, und die Stadt Verona war es auch, welche die Bronzefigur ihrer Partnerstadt München geschenkt hat. Angeblich bringt es Glück, die Brust der Münchner Julia zu tätscheln, weshalb diese - es handelt sich um die rechte - mittlerweile blank poliert ist. Ein Ritual, das nach der entsprechenden Intervention einer Studentin unter Sexismus-Verdacht steht.

Italien: Verona ist für viele Münchner das Tor zum Süden, dort ist man endlich im richtigen Italien angelangt. Im Sommer reisen Tausende zu den Vorstellungen in der Arena. Seit 1960 darf Verona sich zudem Münchens Partnerstadt nennen. (Foto: Mauritius)

Die bislang nicht halb so verhängnisvolle Affäre zwischen München und Verona begann offiziell im März 1960. Mitte des Monats besiegelten Oberbürgermeister Wimmer und der Veroneser Bürgermeister Giorgio Zanotto in dessen Amtssitz die Partnerschaft. Es war eine der letzten Amtshandlungen Wimmers, denn wenig später trat Hans-Jochen Vogel die Nachfolge an. Was die Verbindung München-Verona betrifft, spielten amouröse Leidenschaften à la Romeo und Julia eine geringe Rolle. Vielmehr ging es ums Geschäft. Dies ist auch der damaligen Beschlussvorlage des Stadtrats zu entnehmen, in der von der formidablen Unterstützung Veronas bei der Entwicklung der Münchner Großmarkthalle die Rede ist: "Nur durch die außerordentlich freundliche Einstellung der Stadtverwaltung Verona war es möglich geworden, die vielfältigen Handelsbeziehungen wieder aufzunehmen und in dem heutigen Umfang auszubauen. Das stete Ansteigen der Waggoneinläufe aus Italien kann dies nur bekräftigen."

Im September 1960 traf Bürgermeister Zanotto zum Gegenbesuch im Münchner Rathaus ein. In seiner Festrede erinnerte Hans-Jochen Vogel ebenfalls an die Handelsbeziehungen, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreichten. Auch auf eine hochrangige eheliche Verbindung wies Vogel hin: Elisabeth von Bayern, eine Tochter Kaiser Ludwigs des Bayern, hatte im Jahr 1350 Cangrande II. della Scala, den Herrscher Veronas, geheiratet. Besonders lange dauerte das Eheglück nicht, denn 1359 wurde der Cangrande von seinem Bruder umgebracht. Dabei hatten die Münchner ihre Hände gewiss nicht im Spiel, weshalb Vogel mühelos den Blick auf die Gegenwart richten konnte: "Nichts könnte aber die Lebendigkeit dieser Verbindung besser unterstreichen als die Tatsache, dass einer der Großen des Münchner Geisteslebens, der Träger unserer Goldenen Bürgermedaille, Professor Romano Guardini, ein gebürtiger Veroneser ist." Bürgermeister Zanotto machte München in seiner Ansprache ein Kompliment, das die Münchner bis heute wie eine Monstranz vor sich hertragen. München, sagte Zanotto, ist die "italienischste Stadt Deutschlands".

Zwischen München und der Weinstadt Bordeaux an der Garonne im Südwesten Frankreichs gab es bereits in den Fünfzigerjahren erste Kontakte. Dies war keinesfalls selbstverständlich, denn die Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht lag gerade mal ein Jahrzehnt zurück. Noch herrschte zwischen Franzosen und Deutschen großes Misstrauen, was erst allmählich abgebaut wurde, nicht zuletzt durch die Annäherungspolitik von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle. Aussöhnung stand auch im Zentrum der Kontakte zwischen Bordeaux und München. Nach diversen gegenseitigen Visiten besiegelten OB Hans-Jochen Vogel und sein Amtskollege Jacques Chaban-Delmas - er wurde 1969 französischer Premierminister - am 30. Mai 1964 offiziell die Städtepartnerschaft. Bei seiner Rede, die Vogel während der Feierstunde im Rathaus von Bordeaux hielt, sagte der Münchner OB: "Wenn es solcher Zeichen bedarf, dann ist dieser Empfang ein Beweis für den tief greifenden Wandel, der sich in dem Verhältnis zwischen Ihrem Volke und dem unsrigen in den letzten beiden Jahrzehnten Zeit vollzogen hat."

Frankreich: Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Bordeaux für München als Partnerstadt besonders wichtig gewesen, um die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich voranzutreiben. Besiegelt wurde die Freundschaft 1964. (Foto: Mauritius)

Vogel wies darauf hin, dass München bereits einiges getan habe, um die deutsch-französischen Beziehungen zu verbessern. So habe die Stadt bereits 1959 eine französische Kulturwoche veranstaltet, auch entwickle sich der Jugend- und Lehreraustausch mit Bordeaux und anderen Städten in Frankreich erfreulich. Zudem machte Vogel auf die kulturellen Gemeinsamkeiten von Bordeaux und München aufmerksam, etwa die Universitäten, die wissenschaftlichen Sammlungen oder die Theater. Und er schloss seine Ansprache mit dem Ausruf: "Vive la France, vive Bordeaux, vive Munich, vive Allemagne."

Die Münchner Delegation, der etliche Stadträte und Honoratioren angehörten, war in Bordeaux mit größter Herzlichkeit empfangen worden, und beim Lesen der damaligen Zeitungsberichte hat man den Eindruck, die Verschwisterung der beiden Städte sei mit einem ausufernden zweitägigen Gelage zelebriert worden. Im Münchner Stadtanzeiger schrieb Chefredakteur Erich Hartstein: "Die Bordelesen boten alles, aber auch wirklich das Äußerste auf, was in dieser Stadt gut, teuer und schön ist, um die Münchner würdig und angenehm zu empfangen. Weine, die zu den besten und teuersten der Welt zählen, wurden aufgetischt, die Speisenfolge bei den Empfängen war einzigartig." Darüber hinaus bot man der Münchner Delegation ein Kammerkonzert, ein Ballett im Grand Théâtre sowie ein Stadtrundfahrt, in deren Verlauf Vogel zum Großmeister der Weinbruderschaft ernannt wurde.

Bei der Besiegelung der Freundschaft deklarierten die beiden Stadtoberhäupter, wie Hartstein berichtet, mit erhobener Schwurhand "mit allen unseren Kräften zum Gelingen des so notwendigen Werkes des Friedens und des Wohlstandes beizutragen: der Einigung Europas".

Wem es zu aufwendig ist, mit teuren Weinen, Scotch und einer tragischen Oper der Münchner EU-Partnerstädte zu gedenken, kann es sich leicht machen: Erst ein Besuch der Julia am Alten Rathaus (Finger weg!), dann ein lockerer Spaziergang zum schönen Bordeauxplatz in Haidhausen und schließlich raus nach Riem zum Edinburghplatz. Vernünftiger wäre es allerdings, in Riem zu starten und sich über Haidhausen in die Altstadt vorzukämpfen. Dort dürfte dann auch ein Tropfen Bordeaux zu finden sein.

© SZ vom 16.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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