Simon Rattle:"Musik kann uns helfen, bessere Menschen zu werden"

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Der Dirigent Sir Simon Rattle ist ein Meister seines Fachs und ein stets zugewandter Zuhörer. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Dirigent Sir Simon Rattle und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unterstützen das Hilfswerk der SZ. Ein Gespräch über den Charakter von Benefizkonzerten und den höheren Sinn von Orchestern für die Welt.

Interview von Susanne Hermanski

Sir Simon Rattle ist einer der größten Dirigenten dieser Zeit. Und er ist ein Menschenfreund. Das zeigt sich nicht nur in der Art, wie der Brite das Publikum bei seinen Konzerten in den Philharmonie-Sälen dieser Welt förmlich umarmt mit der Musik. Auch im Gespräch, sei es mit Jugendlichen, die mit ihm proben, oder beim Interview wirkt er stets ganz und gar präsent und zugewandt.

SZ: Mariss Jansons hinterließ Ihnen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) auch das traditionelle SZ-Adventskalender-Konzert. Die SZ freut sich sehr darüber, dass Sie diese Tradition fortzusetzen. Wie geht es Ihnen damit?

Simon Rattle: Das Konzert ist ein Schatz. Es ist ein typisches Mariss-Jansons-Projekt. Mariss war ein Mensch, der diesen Namen verdient. Zwei der größten Institutionen der Stadt schließen sich für dieses Konzert zusammen, um zu helfen. Nichts läge mehr am Herzen.

Fühlt sich ein Benefizkonzert anders als andere Konzerte an für die Musiker?

Oft tut es das. Das hat mehr mit der Atmosphäre zu tun, die vom Publikum ausgeht, als mit der Art wie wir musizieren. Es gibt bei diesen Konzerten einen Hauch des Größeren, das hebt sie vom Normalbetrieb ab.

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Von Sven Loerzer

Hängen Musikalität und die Fähigkeit, mit anderen zu fühlen, irgendwie zusammen?

Man möchte es gern glauben. Aber natürlich sind Musiker wie der Rest der Menschheit, wir können großzügige Leute sein oder fürchterlich selbstsüchtige. Aber ich bin trotzdem hoffnungsvoll: Musik kann uns helfen, bessere Menschen zu werden. Musik ist eine Kunst mit Heilkraft.

Musik kann auch das Unaussprechliche ausdrücken, sagt man. Stimmt das?

Ich bin sicher, Musik und Rhythmus waren längst Teil der menschlichen Existenz, bevor es die Sprache gab. Sie geht direkt in Herz und Bauch. Vielleicht kann sie wirklich Dinge ausdrücken, an denen Worte scheitern. Aber meine Antwort zeigt wahrscheinlich auch nur, dass ich besser darin bin, mit Musik als mit Worten umzugehen.

Musikalische Kinder treten oft schon jung in Altersheimen oder bei anderen Charity-Abenden auf. Wie war das bei Ihnen?

Als Kind habe ich im Mercyside Jugendorchester der Liverpool Philharmonics gespielt, das gerade seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Wir haben damals viele Charity-Konzerte gegeben. Und als Teenager habe ich an einer Blindenschule unterrichtet. Ich weiß nicht, wie viel die Kinder von mir gelernt haben. Aber ich habe fürs Leben dabei mehr gelernt, als ich es hier sagen kann. Ich glaube, jeder von uns verspürt den Wunsch in sich, etwas zurückzugeben von dem Glück, das er erfahren hat.

Sir Simon Rattle mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal. (Foto: Robert Haas)

Sie sind früh ausgezogen in die Welt, über die Grenzen Englands hinaus.

In meinen frühen Zwanzigern habe ich bei den Rotterdamer Philharmonikern gearbeitet. Zeit meines Berufslebens wurden die Orchester immer internationaler, was ihre Zusammensetzung anbelangt, aber die Rotterdamer waren schon damals ein außergewöhnlicher Schmelztiegel, besonders von Musikern aus dem Osten. Ich saß mit ihnen am Tisch und hörte mit großen Ohren ihre Geschichten. Aber auch jedes Orchester hat seine eigene Persönlichkeit. Wer ein Teil davon wird, neigt dazu, im Laufe der Jahre ebendiesen Charakter anzunehmen.

Wie zeigt sich das?

Das habe ich immer wieder beobachten können. Es ist kaum zu glauben, wie unterschiedlich ein Individuum spielen kann, je nachdem in welchem Ensemble es sich befindet. Das ist eines der Mysterien der Musik. Was daran ist die Historie, was ist der Spirit eines Orchesters? Welchen Zeichen an der Wand kann da keines seiner Mitglieder widerstehen?

Beinahe jedes moderne Spitzenorchester ist ein großer Melting Pot der Nationen und Charaktere. Wie wirkt sich das aus?

Es schenkt uns immer noch mehr Variationsmöglichkeiten und Vitamine fürs Musizieren! Und klar, es ist ein Klischee, dass Musik eine internationale Sprache ist. Aber ich bin überzeugt davon: Je mehr wir als Mixtur aus verschiedenen Nationen zusammen spielen, umso besser werden wir uns künftig verstehen. Und in diesen finsteren Zeiten, die unsere Welt gerade durchlebt, brauchen wir das verzweifelter denn je.

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