Demonstrationen zur Siko in München:"Leid ist Leid, Unrecht ist Unrecht"

Lesezeit: 5 Min.

Die Liste mit den Namen der getöteten Palästinenser war nach Angaben der Organisatoren 45 Meter lang. (Foto: Robert Haas)

Rund um die Sicherheitskonferenz gehen Tausende Menschen in München auf die Straße. Sie machen ihrem Ärger über die Veranstaltung, die Bundesregierung und die aktuellen Kriege Luft.

Von Bernd Kastner, Tom Soyer und Stefanie Witterauf

Es braucht viele Menschen, um dieses sehr lange Band zu tragen. Auf 45 Metern stehen sehr viele Namen. Dajana Sadikovic hat das scheinbar endlose Transparent geschaffen, zusammen mit drei Freunden. 5000 Namen haben sie notiert, Namen von Frauen und Männern und Kindern, die in den vergangenen Wochen im Gazastreifen durch das israelische Bombardement umgekommen sind. "Wir haben das gemacht, weil über sie keiner spricht", sagt Dajana Sadikovic, sie hat serbische Wurzeln. Nur ein kleiner Teil der Toten ist es, die es seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel gibt. "Nicht falsch verstehen, wir trauern um alle Opfer", sagt sie. "Leid ist Leid, Unrecht ist Unrecht."

Das Band der Toten wird entrollt bei der Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz. Rund 2500 Menschen versammeln sich laut Polizei am Stachus und ziehen auf zwei Routen zum Marienplatz. "Kriegstreiber unerwünscht", lautet das Motto.

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Der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen steht im Mittelpunkt der Demonstration. Man sieht viele palästinensische Flaggen, der pro-palästinensische Block ist der größte. Von der Bühne herunter und auf vielen Transparenten wird Israel als Apartheidsystem bezeichnet; immer wieder wird der dortigen Regierung vorgeworfen, in Gaza einen "Genozid" zu begehen. Rihm Hamdan, eine junge Frau mit palästinensischen Wurzeln, betont, dass die Repression des palästinensischen Volkes durch die israelische Regierung seit 75 Jahren andauere, seither würden Palästinenser von Israel unterdrückt und entrechtet. Der Konflikt habe nicht mit dem 7. Oktober begonnen, als die Hamas Israel überfiel und Hunderte Menschen tötete und entführte.

Rund 2500 Menschen demonstrierten gegen die Sicherheitskonferenz. (Foto: Robert Haas)
Auch gegen die Bundesregierung richteten sich die Plakate der Demonstranten. (Foto: Robert Haas)

Shelly Steinberg - sie hat die deutsche und israelische Staatsangehörigkeit - kritisiert die Bundesregierung für ihre zu israel-freundliche Politik. Es sei absurd, in Deutschland gegen rechts auf die Straße zu gehen, während Berlin sich solidarisch zeige mit "der rechtsradikalen Regierung Israels". Während des Demozuges zum Marienplatz tragen pro-palästinensische Demonstrantinnen, die blaue, medizinische Kittel übergezogen haben, auf ihren Armen kleine Bündel in teils rot verfärbten Tüchern. Sie sollen in Gaza getötete Babys symbolisieren.

Die Kritik auf den Bühnen richtet sich fast ausschließlich gegen den Westen. Vom Terror der Hamas gegen Israel ist praktisch nichts zu hören, auch nicht von der Verantwortung Russlands für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis macht die Politik des Westens verantwortlich für viele Kriege, auch für den in der Ukraine. Er stellt die Nato auf eine Stufe mit der Mafia, die Drohungen ausspreche, um dann "Schutz" zu verkaufen. Europa sei Vasall der Nato und Kolonie der USA. Immer wieder bekommt Varoufakis Szenenapplaus.

Diese Demonstration in der Münchner Innenstadt, zu der das "Aktionsbündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz" aufgerufen hatte, ist allerdings nicht die einzige an diesem Samstag. Während im Hotel Bayerischer Hof bei der 60. Münchner Sicherheitskonferenz rund 180 Regierungsvertreter aus aller Welt abgeschottet tagen, sind insgesamt etwa 20 Demonstrationen angekündigt.

Viel Blau und Gelb auf dem Odeonsplatz

Auf dem Odeonsplatz überwiegen am Samstag zwei Farben: Blau und Gelb. Gekommen sind nach Polizeiangaben bis zu 2000 Menschen zu der Kundgebung gegen den Krieg in der Ukraine, die meisten mit ukrainischen Fahnen. "Wir wollen Frieden. Nicht nur in der Ukraine, sondern überall", sagt die Moderatorin und Organisatorin Valentyna De Maar.

Daria Onyshchenko Gold startet den ersten "Stop Russia, Stop Putin"-Sprechchor. Sie sagt: "Es ist nicht einfach, die Aufmerksamkeit von denen zu halten, die in Frieden in Europa leben." Seit zwei Jahren demonstrierten sie und andere Aktivistinnen und Aktivisten deswegen. Doch der Krieg sei noch nicht vorbei. Deswegen sei sie hier, seien alle hier. "Wir brauchen schwere Waffen für die Ukraine", ruft Onyshchenko Gold.

Bis zu 2000 Menschen kamen nach Polizeiangaben am Samstag auf den Odeonsplatz. (Foto: Robert Haas)
Die Teilnehmer der Pro-Ukraine-Kundgebung hatten eine klare Forderung. (Foto: Robert Haas)
Bürgermeister Dominik Krause war einer der Redner auf dem Odeonsplatz. (Foto: Robert Haas)

Münchens zweiter Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) ist einer der Redner. Er könne sagen, "dass unsere Gedanken und unsere Solidarität bei allen Menschen in unserer Partnerstadt Kiew, aber auch der ganzen Ukraine sind, die gerade für diese Werte und ihre Freiheit kämpfen. Und meine Gedanken sind ganz besonders bei denjenigen, die dafür von Putin und seinen Schergen getötet oder verletzt wurden oder Angehörige verloren haben". Nicht als Bürgermeister, aber als Bürger dieses Landes müsse er sagen: "Gerade nach den Solidaritätsbekundungen auch der Bundespolitik kann ich nicht verstehen, wieso es bei konkreter Hilfe, bei militärischer Hilfe, immer wieder ein solches Zaudern und einen solchen Wankelmut gibt."

Krause ist nicht der einzige Politiker auf der kleinen Bühne vor der Feldherrnhalle. Dort haben sich auch Abgeordnete aus dem Landtag, Bundestag und dem Europäischen Parlament versammelt. Einer von ihnen ist Reinhard Bütikofer von den Grünen, der seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments ist. "Wir müssen der Ukraine alles zur Verfügung stellen, um den russischen Aggressor aufzuhalten - auch die Taurus", betont er.

Zahlreiche Spitzenpolitiker sind zu der Kundgebung am Odeonsplatz gekommen. (Foto: Robert Haas)

Die FDP-Spitzenkandidatin zur Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, warnt: "Freiheit kann ganz schnell zerstört werden." Sie appelliert: "Lassen Sie es nicht zu." Renata Alt, FDP-Abgeordnete im Bundestag und dort Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, weist auf das Leid der Menschen hin und sagt: "Russland hat alle Genfer Konventionen verletzt". Ausdrücklich warnt sie noch davor, "was im Netz passiert". Denn Fake News, russische Propaganda und Hetze seien genauso gefährlich wie Waffen.

"Wir stehen hier überparteilich. Vertreter sind da aus dem Münchner Rathaus, vom Landtag, Bundestag und vom Europäischen Parlament", sagt der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Auch er spricht von Verantwortung. "Putin ist niemand, mit den man verhandeln kann", sagt Eisenreich. Wie die anderen Abgeordneten, Politikerinnen und Politiker auf der Bühne kommt er gerade von der Sicherheitskonferenz. Ein Satz sei dort gefallen, an den er nun denken müsse. "Wenn der Westen stark ist, schrecken wir Russland ab."

Scharfe Worte gegen Siko und "Kriegstreiber" am Königsplatz

Ebenfalls an die 2000 Menschen versammeln sich nach Angaben der Polizei am Mittag unter dem Motto "Macht Frieden!" vor den Propyläen auf dem Königsplatz. Auf der Bühne wird gegen Bundesregierung, USA und Nato gewettert - und gegen die Münchner Sicherheitskonferenz, die als Hort der Kriegstreiberei zu bekämpfen sei. Das Motto der Siko, "Frieden durch Dialog", sei der blanke Hohn aus dem Mund von "Profiteuren des Kriegs", sagt Redner und Friedensaktivist Rainer Braun. Das Siko-Motto sei so, "wie wenn man Krokodile zu Kuscheltieren macht".

Stattdessen fordern die Redner "Friedenstüchtigkeit statt Kriegstüchtigkeit". Das den Querdenkern nahestehende Bündnis "München steht auf" organisiert die Kundgebung nebst Zug durch Maxvorstadt und Bahnhofsviertel. Gemeinsamer Tenor der Redebeiträge, die nicht zufällig auch von einem russischen TV-Team gefilmt werden: "Russland ist nicht unser Feind", sondern "ein großes europäisches Land, mit dem wir Frieden brauchen", meint Braun. Nur mit Russland sei "eine neue europäische Friedensordnung" zu gründen, "und ohne die Nato", die "auf den Müllhaufen der Geschichte" gehöre.

Dazwischen gibt es auch bayerische Töne von Landwirtin Gertrud Angerpointner. Sie hält es für "erstaunlich, dass oiwei de vom Krieg redn, die net selber hinmüssen", und baut auch noch einen Schlenker zu den aktuellen Bauern-Demonstrationen ein, indem sie rät, lieber Geld für deutsche Bauern auszugeben als für Rüstung oder gar für peruanische Radwege.

Die den Querdenkern nahestehende Organisation "München steht auf" hat zu einem Zug unter dem Motto "Macht Frieden" mit Start und Ziel am Königsplatz aufgerufen. (Foto: Tom Soyer)
Ein russisches Fernsehteam filmte bei der Demonstration. (Foto: Tom Soyer)
Die Teilnehmer liefen durch die Maxvorstadt und das Bahnhofsviertel. (Foto: Tom Soyer)

Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer, der inzwischen ein überschaubar erfolgreiches eigenes Politik-"Team" leitet, formuliert das stets von der Menge beklatschte Russland-Verständnis dieser Demo am deutlichsten. "Ich kritisiere diesen Krieg Russlands; aber Russland ist nicht alleine schuld an diesem Krieg." Todenhöfer hält USA und Nato für die wahren Treiber des Kriegs, deutet Richtung Sicherheitskonferenz und ereifert sich, dass "dort die Kriegstreiber diskutieren, wie sie den Ukrainekrieg verlängern". Dabei habe ihm, was deutsche Medien natürlich verschweigen müssten, ein deutscher Militär bestätigt, "dass die Ukraine den Krieg schon verloren" habe, sie werde "sinnlos verheizt von den Amerikanern".

Applaus erhält er auf dem Königsplatz auch für seine Worte zum Nahostkrieg. Seiner Meinung nach unterstütze die Bundesregierung "die Kriegsverbrechen Israels gegen die Palästinenser". Das sei "Beihilfe zu Kriegsverbrechen", er habe deshalb "heute Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gegen die Bundesregierung gestellt". "Da werden Kinder zu Tausenden ermordet, und unsere Regierung leistet uneingeschränkte Unterstützung! Das ist Massenmord!" Sein Fazit daher: "Wir müssen unser Land von dieser Regierung befreien, der Teufel soll diese Bundesregierung holen - und Herrn Netanjahu kann er dabei gleich mitnehmen!" Und die Palästinenser? Denen seien Gazastreifen, Westjordanland und Ostjerusalem zurückzugeben, da 1967 widerrechtlich von Israel besetzt, so Todenhöfer.

Seine letzte Forderung hat bei den Querdenker-nahen Kundgebungen von "München steht auf"-Tradition: "Gebt dem deutschen Volk endlich die Meinungsfreiheit zurück! Eure Zensur ist verfassungswidrig!" Dass Todenhöfer all das öffentlich sagen kann, beschützt von einer großen Zahl von Polizistinnen und Polizisten, bleibt dabei in der jubelnden Menge unbemerkt.

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