Die Bedrohung hängt seitlich am Sessel. Links und rechts zwei große Fäuste, Hände wie Boxhandschuhe. Die Bedrohung ist daheim, wenn der Junge mit seinem Flugzeug spielt, Schokolade isst oder ins Bett geht. Es ist immer möglich, dass der Vater mit seinen Händen in die Handschuhe hineinfährt und dann zu dem wird, was der Junge "Bösemann" nennt. Bösemann ist gewalttätig, vor ihm haben der Junge und seine Mutter Angst - und lieben gleichzeitig die ganz andere Seite dieses Mannes, der ihnen das antut. Doch dem elenden Wechselspiel von scheinbar heiler Welt, Wutausbruch und Versöhnung ist nicht leicht zu entkommen.
Es ist keine Frage: Regisseurin Marianne K. Klausen hat sich kein einfaches Thema für ihre Produktion ausgesucht, die im Schwere Reiter erst einmal bis zum 11. Februar zu sehen sein wird. "Bösemann" lautet deren Titel. Im Kern geht es um Gewalt in der Familie. Blickt man auf die Statistik, die das Bundesinnenministerium für das Jahr 2022 veröffentlicht hat, ist häusliche Gewalt kein Randthema. Mehr als 240 000 Opfer wurden gezählt, ein Anstieg von 8,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. "Häusliche Gewalt ist Alltag in Deutschland", schreibt Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu in einer Erklärung. Doch wie holt man das auf die Bühne?
Die Antwort ist: in einer abstrahierenden, dennoch emotional durchlässigen Form. "Bösemann" basiert auf dem gleichnamigen Bilderbuch von Gro Dahle und Svein Nyhus. Der isländisch-deutsche Komponist Steingrimur Rohloff und der Librettist Jesper B. Karlsen haben auf dieser Grundlage eine Kinderoper entwickelt, die in Dänemark gezeigt wurde. Dort, so erzählt die aus Dänemark stammende Regisseurin Klausen bei einer Probe, habe sie "Bösemann" entdeckt und nun für die deutsche Erstaufführung ans Schwere Reiter geholt. Die deutsche Übersetzung übernahm der Komponist Rohloff selbst.
Die Bühne, die Angela Loewen gebaut hat, ist schlicht gehalten, der Sessel mit den Fäusten an den Seiten, ein Tischchen, eine Schaukel. Hier spielt sich das Familienleben ab zwischen den drei Figuren, die einfach Vater, Mutter und Junge heißen. Schon das verrät, dass es nicht um eine realistische Darstellung gehen soll. Das ist gut so und soll auch so bleiben. Denn auch weitere Elemente machen das schwierige Thema abstrakter. Natürlich funktioniert dies über die Kunstform Oper, die verknappten Dialoge werden teils gesungen, dazu kommen Katerina Giannitsioty am Cello und Mathias Lachenmayr am Schlagwerk. Die beiden erzeugen Stimmungen, die vieles abrufen können, vom gefährlichen Knarzen der stillen Wohnung bis zum entfernten, freien Kreischen einer Möwe. Die Musik ist die emotionale Folie, eine konkrete Bebilderung ist nicht nötig, um die Gewalterfahrung, aber auch die Auswege spürbar zu machen.
Die Mezzosopranistin Annette Schönmüller übernimmt den Part der Mutter, der Bariton Ansgar Theis ist der Vater. Und: Theis ist zugleich der erwachsene Junge, eine Figur, die gleich zu Beginn eingeführt wird. Damit ist augenblicklich klar, dass hier in der Rückschau erzählt wird, der Junge hat es geschafft, aus der Situation zu entkommen, den Gewaltkreislauf zu durchbrechen. Wie ihm das gelingt, genau das erzählt "Bösemann". Nicht zuletzt ist der kleine Junge selbst eine Puppe, gebaut von Tine Hagemann, gespielt von Anniek Vetter. Ihr Spiel hat große emotionale Qualität, doch bleibt es jederzeit als ein Spiel erkennbar - eine bewusste Setzung dieser Kinderoper im Brecht'schen Sinn, über Verfremdung Handlung und Verstehen zu ermöglichen.
"Bösemann" ist eine große Produktion der freien Szene, die nicht leichtfertig mit dem verhandelten Thema umgeht. Klausen und ihr Team haben sich darauf vorbereitet, dass im Publikum Kinder sitzen können, die eine solche Situation kennen. Sie haben sich Informationen geholt, sagt die Regisseurin, durch Interviews mit der Frauenhilfe, Gesellschaft für soziale Arbeit sowie zwei Beratungsstellen für Mädchen und Jungen mit häuslicher und sexueller Gewalterfahrung. Die ersten beiden Beratungsstellen sind bei den Aufführungen anwesend und als Ansprechpartner verfügbar.
Trotzdem ist "Bösemann" natürlich kein Sozialprojekt, sondern eine zarte, schwebende Inszenierung, wie es auf der Probe erkennbar wird. Mit den Mitteln der Bühne wird hier etwas Ernstes angesprochen, das auch Kinderwelten berührt. Es ist eben nicht immer alles fröhlich und leicht, vor schweren Themen zurückzuschrecken, ergibt also kaum Sinn. Oder, wie es Regisseurin Klausen sagt: "Wenn wir immer Angst haben, wird es nichts mit dem Tabu-Brechen".
Bösemann, Kinderoper von Steingrimur Rohloff, für alle ab 7, Deutsche Erstaufführung, 8. und 9. Februar: Schulvorstellungen, Familienvorstellungen: Samstag, 10., Februar, 18 Uhr, und Sonntag, 11. Februar, 15 Uhr Schwere Reiter , Dachauer Straße 114, 80636 München