Literatur:Wenn Begehren verboten ist

Lesezeit: 2 min

Sandra Hoffmann ist ein Kammerspiel zu einem brisanten Thema gelungen. (Foto: Julia Rotter)

Sandra Hoffmann erzählt in "Jetzt bist du da" von der fatalen Anziehungskraft, die ein Jugendlicher auf eine Frau ausübt - und von einer manches ausgleichenden Natur und Tierwelt. Die Münchner Schriftstellerin stellt ihren Roman nun im Literaturhaus vor.

Von Antje Weber

Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Aber Claire ruft gar nicht. Sie versucht eher, sich ganz leise unsichtbar zu machen. Denn da nähert sich jemand vom Wald her ihrem Haus, in dem sie sich nun mit ihrer Hündin versteckt. Sie ahnt schon, wer kommt. Und sie weiß, dass die Begegnung ihr nicht guttun wird.

Es ist ein Jugendlicher, der sich auf den Weg zu ihr in die Einöde gemacht hat. Ein 16-Jähriger namens Janis, den die 42-jährige Claire in einem Camp in der Wildnis kennengelernt hat. Bei diesem Camp hat Claire den Schülern beigebracht, die Natur bewusster wahrzunehmen als zuvor. Wahrzunehmen war im Laufe der Tage allerdings auch, dass zwischen ihr und Janis etwas keimte, das deutlich über die übliche Zuneigung zwischen einer Pädagogin und einem Schüler hinausging. Und jetzt sitzt sie da. Im Wald, ohne Ruh. In der Tinte.

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Die Münchner Schriftstellerin Sandra Hoffmann hat ein brisantes Thema für ihren neuen Roman "Jetzt bist du da" (Berlin Verlag) gewählt: Es ist die Geschichte eines verbotenen Begehrens. Ein psychologisches Kammerspiel im Innenraum eines Hauses und der Gedanken, das jedoch in enger Verbindung mit dem Außenraum und dem Nature Writing steht: Wenn Claire in ihrem Haus überlegt, wie sie mit dem Auftauchen von Janis umgehen soll, sind immer auch die Pflanzen- und Tierwelt präsent, rauscht die Esche, fliegen die Meisen, und Hund Nora liegt als ruhige Begleiterin auf dem Küchenboden.

Ganz ruhig auch lässt Sandra Hoffmann in diesem Roman Gedanken und Erinnerungen ihrer Protagonistin und meist Ich-Erzählerin kreisen, gibt den widerstreitenden Gefühlen Raum. In Rückblenden wird sich Claire bewusst, dass sie selbst immer wieder Übergriffe erfahren hat in ihrem Leben, vom Vater, vom Sportlehrer. Dass sie zunächst nur schwer einordnen konnte, was sie später mit Scham erfüllte. Nun ist sie selbst die Ältere, die Grenzen überschreiten könnte. Wie bloß soll sie sich verhalten? Schweigen im Walde.

Tiere als Projektionsflächen für Gefühle

Sandra Hoffmann hat sich mit solchen Grundsatz-Fragen schon früh beschäftigt; sie hat, bevor sie Literaturwissenschaften studierte und freie Schriftstellerin wurde, eine Ausbildung zur Jugend- und Heimerzieherin gemacht und war in der Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig. Und sie ist bis heute nah dran an jungen Menschen, unterrichtet in Schreibwerkstätten und Seminaren unter anderem an der Bayerischen Akademie des Schreibens.

Dass sie außerdem nah dran an der Natur und Tieren ist, wurde bereits in früheren Büchern wie "Paula" oder "Den Himmel zu Füßen" deutlich. Tiere seien für sie "Projektionsflächen für alle möglichen Gefühle", sagt Hoffmann. Da sie mit ihrem Mann nicht nur in München, sondern auch in einem Dorf in Niederbayern wohnt, führt sie insgesamt ein naturnahes Leben, was sich auch in ihrer Kolumne "Draussen-Drinnen" für das Literaturportal Bayern widerspiegelt.

Und so tauchen in ihrem neuen Roman auch Fragen wie diese auf: "Wie bemisst man den Wert von Bäumen und Bibern? Und wessen Bedürfnis und Leben hat mehr Gewicht?" Das sind Fragen, auf die es keine leichten Antworten gibt. Ebenso wenig wie auf die Frage, ob eine 42-Jährige der Anziehungskraft eines 16-Jährigen nachgeben darf. Wie sagte Claire doch beim Schulcamp zu den Jugendlichen: "Ihr müsst vor dem Wald weniger Angst haben als vor eurer Fantasie".

Sandra Hoffmann: Jetzt bist du da, Buchpremiere am Donnerstag, 13. Juli, 19 Uhr, Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, literaturhaus-muenchen.de

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