Artenvielfalt:Das Rathaus summt und brummt

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Bienen finden nicht in jeder Blume Nektar. (Foto: dpa)

Am Rathausbalkon gibt es neuerdings keine Geranien mehr, sondern Mehlsalbei, Zweizahn, Wolfsmilch und Leberbalsam. Damit ist OB Reiter ein Coup in Sachen Bienenschutz gelungen.

Von Wolfgang Görl

Kürzlich hat der aus der Weltmetropole Nürnberg stammende Ministerpräsident Söder die Stadt München ermahnt, ein bisserl mehr "open minded" zu sein und sich zu trauen, als Metropole aufzutreten. Man glaubt es kaum, aber in dieser Sache war Söder ausnahmsweise mal nicht auf dem Laufenden, denn den wichtigsten Schritt auf dem Weg Münchens vom Bauerndorf zur coolen Megacity hatte Oberbürgermeister Reiter da schon eingeleitet. Die Geranien auf den Rathaus-Balkonen, die dem neugotischen Palast die Aura eines oberbayerischen Landhauses im Jodlerstil verliehen, wird es in diesem Jahr nicht mehr geben.

Das ist natürlich ein Schock, denn die Geranien gehörten zum Rathaus wie Glockenspiel und Amtsschimmel, und besonders fernöstliche Besucher haben München ja nur wegen des Geranienschmucks in ihr Reiseprogramm aufgenommen. Es war stets eine Freude, chinesischen und japanischen Gästen zu erzählen, das Rathaus sei vor gut 100 Jahren eigens für die Blumen errichtet worden, weil das alte Ratsgebäude viel zu mickrig gewesen sei, um alle Geranien auszustellen, die der Bürgermeister während der arbeitsarmen Wintertage gezüchtet hat.

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Auf ein repräsentatives Blütendekor müssen die Münchner dennoch nicht verzichten, denn Reiter hat verfügt, dass fortan bienenfreundliche Pflanzen wie Mehlsalbei, Zweizahn, Wolfsmilch und Leberbalsam seinen Amtssitz schmücken sollen. München, das einst als Hauptstadt der Bewegung und später als Radlhauptstadt Furore gemacht hat, soll der Welt künftig als Bienenhauptstadt ein summendes Beispiel geben. Reiter tut sich da leicht, denn für einen Sozi sind Bienen praktisch natürliche Verbündete, da so ein Bienenvolk ungefähr wie der Sozialstaat nach sozialdemokratischem Muster organisiert ist.

Aber auch andere Parteien fühlen sich den Bienen ideologisch verbunden: Liberale loben ihr marktwirtschaftliches Verantwortungsbewusstsein, weil die Brummer ohne Lohn und Tarifvertrag arbeiten, Grüne bewundern ihre vegetarische Lebensweise unter matriarchalischer Herrschaft, und vielen Christsozialen sind sie sympathisch, weil sie Fremdbienen bereits an ihrer Staatsgrenze abweisen, notfalls mit Gewalt. Folglich freuen sich alle, wenn das Rathaus künftig brummt. Die Meisterfeiern des FC Bayern, sofern es solche noch gibt, dürfen allerdings nicht mehr auf dem Rathaus-Balkon stattfinden. Bienenschutzzone! Einzig Hummels hat dort Zutritt.

Nun mag der Weltmann Söder einwenden, dass es typisch münchnerischer Provinzialismus sei, das Rathaus in ein Insektenbiotop zu verwandeln - aber damit wäre er auf dem Holzweg. Wer Bienen, Mücken, Vögel, Fischotter, Würmer und Bären retten will, muss ihnen die Tore der Stadt öffnen. Auf dem Land werden sie vertrieben, vergiftet oder erschossen, da ist keine Bleibe mehr für ein anständiges Tier. Wäre der unglückliche Problembär Bruno statt auf die Kümpflalm damals nach München geflohen, würde er heute noch fröhlich in den Rathauskatakomben hausen. Demnächst hätte er sogar frischen Honig. Ja, open minded betrachtet, sind die Städte das letzte Refugium bedrohter Arten. Sozialdemokraten wie Reiter wissen das nur zu gut.

© SZ vom 06.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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