Prozess in München:Vom Wiesn-Flirt zum Albtraum

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2019 fand auf der Theresienwiese, anders als in Pandemie-Zeiten, noch das Oktoberfest statt. (Foto: Claus Schunk)

Auf dem Oktoberfest 2019 lernten sie sich kennen. Dann soll der Angeklagte zunehmend besitzergreifender geworden sein und seine Freundin geschlagen und vergewaltigt haben.

Von Andreas Salch

Alles begann mit einem Flirt auf der Wiesn. Es ist der letzte Tag des Oktoberfestes 2019. Die Studentin Vanessa A. ( Name geändert) steht neben einem jungen Mann. Er stellt sich ihr vor, sagt, er sei aus Dubai. Die beiden kommen ins Gespräch. Während sie ihre Telefonnummern tauschen, klingelt plötzlich das Handy des 26-Jährigen. Vanessa A. hört die Stimme einer Frau. Sie fragt Ali O.-F.: "Hallo Schatz, wann kommst du nach Hause?" So berichtete es Vanessa A. im Juli vergangenen Jahres einer Richterin am Amtsgericht München im Rahmen einer von der Staatsanwaltschaft beantragten Videovernehmung, die an diesem Montag vor der 10. Strafkammer am Landgericht München I gezeigt wird. Ali O.-F. saß, als das Video aufgenommen wurde, seit fast einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Nun ist er angeklagt. In den Wochen und Monaten nach dem harmlosen Flirt auf der Wiesn soll er Vanessa A. brutal geschlagen und viermal vergewaltigt haben.

Ali O.-F. lässt zum Prozessauftakt über seinen Verteidiger, Rechtsanwalt Marco Noli, erklären, dass er vorerst keine Angaben zu seiner Person und auch nicht zu den Vorwürfen aus der Anklage machen werde. Damit beginnt die Beweisaufnahme mit dem Video, in dem Vanessa A. vor einer Ermittlungsrichterin aussagte. Nach dem Oktoberfest habe sie den 26-Jährigen zunächst in einem Waschsalon getroffen. Es habe dann "immer mehr Kontakte" gegeben. Nach einem Streit zwischen Ali O.-F. und seiner Frau, nahm sie ihn in ihrer Wohnung in Giesing auf und überließ ihm einen ihrer Wohnungsschlüssel. Bald kam es zu Konflikten. Als Vanessa A. an einem Wochenende mit Freundinnen nach Hamburg fahren wollte, habe sie der 26-Jährige nicht fahren lassen wollen. Vanessa A. ließ sich jedoch nicht abhalten und fuhr. Ali O.-F. sei mit der Zeit "zunehmend besitzergreifender, eifersüchtiger und in der Folge auch gewalttätig" geworden, heißt es in der Anklage der Staatsanwaltschaft. Nach der Rückkehr von Vanessa A. nach München eskalierte die Situation. In der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 2019 - der "schlimmsten Nacht", wie die 29-Jährige in dem Video sagt - , habe sie der Angeklagte zweimal vergewaltigt.

Vanessa A. spricht von einer "emotionalen Abhängigkeit" vom Angeklagten. Nach den beiden mutmaßlichen Vergewaltigungen brach sie die Beziehung aber nicht ab. Außerdem habe Ali O.-F. nach wie vor den Schlüssel zu ihrer Wohnung gehabt. "Er konnte immer kommen, wann er wollte. Ich war in meiner eigenen Wohnung nicht mehr sicher", so die 29-Jährige. Immer wenn sie ihre Wohnungsschlüssel zurück haben wollte, sei der Angeklagte aggressiv geworden und habe gesagt, es seien "seine Schlüssel". Im Januar 2020 soll der 26-Jährige die Studentin zwei weitere Male vergewaltigt haben. Ali O.-F. starrt am Montag, während das Video im Sitzungssaal B 175 im Strafjustizzentrums an der Nymphenburger Straße abgespielt wird, vor sich hin. Sein Gesicht bleibt regungslos.

Ali O.-F.s Anwalt stellte, noch bevor sich sämtliche Verfahrensbeteiligte das Video ansahen, einen "Beweisantrag zur Beweisaufnahme". Es gebe "Anhaltspunkte", die "möglicherweise" auf eine "Persönlichkeitsstörung" bei Vanessa A. hindeuteten, "eine Borderline-Störung oder etwas ähnliches", so der Verteidiger. Diese könne sich auf "die Glaubhaftigkeit der Angaben" der Studentin auswirken. Es könne deshalb sein, dass sie Erlebnisse, die sie gehabt habe, "umdeutet". Das Gericht, so der Verteidiger, solle aus diesem Grund einen Sachverständigen hinzuziehen, der zur "Aussagetüchtigkeit" von Vanessa A. Stellung nimmt. Zuvor wollen sich die Richter der Kammer jedoch einen persönlichen Eindruck von Vanessa A. bei ihrer Aussage machen. Ein Urteil in dem Prozess wird für Ende April erwartet.

© SZ vom 09.03.2021 / sal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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