Frauen in der Wissenschaft:Die Erbinnen von Fräulein Dr. Hartmann

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Ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit: Medizinprofessorin Adele Hartmann folgt allen Widerständen zum Trotz ihrer Überzeugung. (Foto: LMU)

Vor 100 Jahren hielt die erste habilitierte Frau in Deutschland ihre Antrittsvorlesung in München. Bis heute gibt es wenig Medizin-Professorinnen, dabei sind die Studentinnen in der Überzahl.

Von Sabine Buchwald

Jeder an ihrer Stelle, ob Mann oder Frau, wäre wohl bei dieser Gelegenheit mit erhöhtem Puls im Hörsaal der Poliklinik an der Münchner Pettenkoferstraße gestanden. Man weiß es nicht, doch es ist anzunehmen, dass Adele Hartmann, sich ihrer herausragenden Position in jenem Augenblick bewusst, am 20. Dezember 1918 mit Lampenfieber vor das versammelte Fachpublikum trat, um "über die bisherigen Erklärungsversuche der Zellteilung" zu sprechen.

Denn das "Fräulein Dr. med.", so wurde sie auf der Einladung des Dekanats angekündigt, hielt an diesem Tag vor 100 Jahren an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ihre Antrittsvorlesung. Sie war die erste Frau in Deutschland, die sich habilitierte, noch bevor dies 1920 vom Preußischen Wissenschaftsministerium erlaubt war. Eine ordentliche Professur aber bekam Adele Hartmann nie.

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Heute, 100 Jahre später, sagt die Frauenbeauftragte der LMU, Margit Weber, Sätze, die zu Hartmanns Zeiten wohl genauso gültig waren: "Frauen wird weniger zugetraut. Die Krux sind die Berufungskommissionen. Die Männer wollen ihre Macht nicht abgeben." An der LMU gibt es zwar aktuell 168 Professorinnen, aber im Vergleich zu 594 männlichen Kollegen ist das weniger als ein Viertel. Bei den Humanmedizinern sind von 179 Professoren 43 weiblich (Stand April 2018). Interessanterweise haben bei den Studierenden in diesem Fach die Frauen die Nase vorn. Von 2332 Studenten in der Vorklinik waren dieses Wintersemester 1501 Frauen, im klinischen Abschnitt waren 1602 von 2617 Studierenden weiblich. Das Medizinstudium an der LMU neu begonnen haben in diesem Herbst 593 Frauen und 291 Männer, also etwas weniger als die Hälfte.

Adele Hartmann brauchte damals von ihrer Immatrikulation im Jahr 1906 zwölf Jahre bis zur Habilitation. Wenn man ambitionierten Erstsemestern 15 Jahre bis zu diesem Ziel zugesteht, müsste sich eigentlich ab 2033 das Verhältnis von Professoren zu Professorinnen umdrehen. Der "Unterbau" - ein paritätischer Anteil von männlichen und weiblichen Studierenden - wäre jetzt schon da, sagt die Frauenbeauftragte Weber. Bis zur Promotion sei der Anteil von Männern und Frauen auch noch relativ ausgeglichen. Danach aber verliere die Wissenschaft viel zu viele Frauen, sagt Weber. Gerade in Bayern sei das bemerkenswert häufig der Fall.

Heute ist Margit Weber Frauenbeauftragte an der Universität. (Foto: Margit Weber/oh)

Lediglich 19,2 Prozent der Professuren an den bayerischen Hochschulen sind mit Frauen besetzt (die Daten beziehen sich auf die Jahre 2016/2017). Dem aktuellen Bericht der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) vom September 2018 zufolge belegt der Freistaat damit erneut den letzten Platz im Ranking der Bundesländer. Im GWK-Bericht von 2017 war Bayern mit 18,7 Prozent ebenfalls Schlusslicht. Bundesweit beträgt der Anteil der Frauen aktuell 23,4 Prozent.

Immerhin ist erkennbar, dass der Frauenanteil bei den Professuren kontinuierlich steigt. "Es tut sich etwas, aber es geht viel zu langsam", sagt Weber. Hinzu komme, dass es immer noch große Unterschiede bei der Bezahlung gebe. Je höher die Besoldungsgruppe, desto geringer wird der Frauenanteil. Einen Anteil von mindestens 30 Prozent Professorinnen hält Weber für geboten. Sie glaubt, dass diese Zielmarke nur über eine Quotenregelung erreichbar ist.

Die Kirchenrechtlerin Weber ist seit 2006 Frauenbeauftragte der LMU. Ein Amt, das es dort seit 30 Jahren gibt. Die Uni bietet auch Frauenförderprogramme an. Aber, so Weber, bei den Begriffen Frauenförderung und Quote werde oft die Frau mit Leistungsmängeln verbunden und darauf hingewiesen, dass es bei Stellenbesetzungen doch um Leistung und nicht um das Geschlecht gehe. Letztendlich hänge viel von der jeweiligen Hochschulleitung und der Wissenschaftspolitik ab. "Der Top-down-Wille fehlt."

Sehr wahrscheinlich wäre auch den Männern in Wissenschaft und Lehre mit einer Veränderung gedient, weil sich daraus neue Chancen und Lebensentwürfe ergäben. Dass Frauen meist anders führen und kommunizieren, ist nicht neu. Dass sich ein weniger männlich dominiertes Klima positiv auf kreative Gedanken auswirkt, weiß man aus der freien Wirtschaft. Wollen Universitäten international mithalten, sollten sie dies wohl in Betracht ziehen. Exzellente Wissenschaftlerinnen aus dem Ausland entscheiden sich womöglich eher für München, wenn das Kollegium gemischt ist.

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Andernorts ist das Verhältnis der Geschlechter unter den Professoren ausgeglichener. Europaweit liegt Deutschland nur im letzten Drittel. Immerhin steht in Artikel 4 des Bayerischen Hochschulgesetzes geschrieben, dass die "tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern" ein "Leitprinzip"sei und dass man auf "die Beseitigung bestehender Nachteile" hinwirken müsse. Diesbezüglich gibt es offensichtlich noch viel zu tun.

Die Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen (LaKoF), deren Sprecherin Margit Weber ist, hat im Sommer einen Zehn-Punkte-Katalog für die kommenden fünf Jahre herausgebracht. Darin wird gefordert, die Haushaltsmittel für die Hochschulen an die Erfüllung des Gleichstellungsauftrages zu koppeln. Zudem wird verlangt, dass die Frauenbeauftragte per Gesetz Mitglied der Hochschulleitung sein muss und ein Vetorecht in Berufungsverfahren bekommt, das gegebenenfalls "die Überprüfung eines Verfahrens durch das Ministerium zur Folge" hat. Zwingend sind solche Forderungen aber nicht.

Zurück zu Adele Hartmann. Sie kam 1881 zur Welt, in einer Zeit, als junge Frauen sich dem Willen des Vaters zu beugen hatten. Hartmann wurde Lehrerin und holte das Abitur nach. 1906 bestand sie die Prüfung am Ludwigsgymnasium und begann noch im selben Jahr, an der LMU Medizin zu studieren. 1913 promovierte sie mit "summa cum laude". Während des Ersten Weltkriegs half Hartmann aus, wo männliche Kollegen fehlten. Doch trotz ihrer Habilitation machte sie keine "besondere" Hochschulkarriere. Hartmann blieb in München, forschte und lehrte an der Anatomischen Anstalt der LMU, bis sie am 15. Dezember 1937 an Krebs starb.

© SZ vom 20.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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