Vor Michael Schmidl steht ein Designradio der Marke Tivoli. In der Theorie hat das Gerät einen guten Klang - wenn denn einer zu hören wäre. Doch das Radio macht keinen Mucks mehr. Weshalb Besitzerin Christine Hauser das gute Stück am Samstagmorgen kurzerhand eingepackt hat und damit zum Repair-Café nach Pasing gefahren ist. Schon nach wenigen Minuten weiß Reparateur Schmidl: Am Lautstärkeregler liegt es nicht. Wohl eher am Netzteil, das verdächtig knackst. "Sind vermutlich die Kondensatoren", sagt der Mann, der als Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik solche Apparaturen entwickelt und baut.
Er schreibt Hauser die genaue Bezeichnung der Teile auf, die sie im Internet für wenig Geld bestellen soll. Beim nächsten Öffnungstag des Repair-Cafés wird er die neuen Kondensatoren dann verlöten. "In der Hoffnung, dass das Radio anschließend wieder Töne von sich gibt", sagt er und lacht. Schmidl ist einer von sechs Tüftlern, die an diesem Tag in der Halle 2, dem Münchner Gebrauchtwarenkaufhaus an der Peter-Anders-Straße 15, vier Stunden lang ehrenamtlich versuchen, Defektes wieder zum Laufen zu bringen.
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Der Andrang ist überschaubar, denn die Pasinger Dependance ist neu: Das Hei-Reparatur-Café war bisher nur im Haus der Eigenarbeit in Haidhausen und im Verkehrszentrum des Deutschen Museums zu finden. Und bei diesen etablierten Terminen ist tatsächlich jede Menge los: An die 60 Gegenstände schauen sich die meist zehn technikaffinen Helfer pro Termin an, darunter Lampen, Staubsauger, Akkuladegeräte, Föns, Toaster, Flachbildschirme und Unterhaltungselektronik. Mit guter Erfolgsquote. 50 bis 60 Prozent der Sachen funktionieren anschließend wieder einwandfrei.
Für Uhren und Modeschmuck gibt es sogar Spezialisten. Elisabeth Redler ist überzeugt, dass dieses rege Interesse bald auch in Pasing Alltag sein wird. Die heute 73-Jährie hat vor zehn Jahren als damalige Geschäftsführerin des Hauses für Eigenarbeit die Idee des Reparatur-Cafés nach München geholt - als zweites seiner Art in Deutschland. "Beim ersten Mal kamen sechs Reparateure auf zwei Gäste", erinnert sie sich schmunzelnd. Aber das änderte sich schnell, kurze Zeit später waren es schon hundert Besucher. Man expandierte, andere Gruppierungen übernahmen die Idee. Inzwischen gibt es allein in München mehr als 30 Reparatur-Initiativen. Und mindestens ebenso viele im Umland.
Den neuen Standort im Gebrauchtwarenkaufhaus schlug der städtische Abfallwirtschaftsbetrieb vor, der im Zuge der Zero-Waste-Strategie den Fokus künftig mehr aufs Reparieren legen will. Das Kaufhaus soll im kommenden Jahr auch Zweigstellen in anderen Vierteln bekommen. Wo, ist noch offen. Für Michael Schmidl, der seit vier Jahren einmal pro Monat das Hei-Repair-Café unterstützt, ist der Anti-Konsum-Gedanke der Motor für den Siegeszug des Repair-Konzepts. "Ich glaube, dass es nicht nur die Kosten sind, die die Leute zu uns führen, sondern vor allem die Wertschätzung ihrer Geräte, die ihnen lieb und teuer geworden sind und die sie deshalb weiterverwenden möchten."
Zuletzt, sagt Elisabeth Redler, seien in die Hei-Repair-Cafés zwar vermehrt Kunden mit Heizlüftern gekommen. Die immer teurer werdenden Lebenshaltungskosten hätten die Anfragen jedoch bisher nicht erkennbar anschwellen lassen, "aber wir bemerken die gesellschaftliche Entwicklung an den Objekten". Die Kollegen hätten natürlich versucht, die Heizlüfter wieder in Gang zu setzen. "Zugleich haben wir den Leuten aber gesagt, dass das nicht die günstigste Art des Heizens ist."
Michael Schmidl erinnert sich an eine Frau, deren 30 Jahre alter Mixer nichts mehr verrühren konnte. Die das Gerät aber unbedingt behalten wollte, weil das Schneidewerkzeug so gut war. Schmidl fand heraus, dass die Ursache, warum das Küchenutensil nicht mehr funktionierte, ein gebrochener Ring war. "Ich habe das Ding dann mit nach Hause genommen und mit meinem 3D-Drucker den Ring, den es nicht mehr zu kaufen gab, nachkonstruiert. Hat super funktioniert." Ein anderes Mal kam ein zehnjähriger Junge zu ihm, dessen Lichtschwert, ein Plastikspielzeug, kaputt war. Ein Draht war gebrochen und musste gelötet werden. "Der Blick von dem Kleinen, als das Ding wieder leuchtete, war der Hammer."
Während er erzählt, sitzt am Nebentisch Jörg Lockenwitz. Der Senior hat seinen alten Plattenspieler mitgebracht, ein 1970 hergestelltes Modell. "Ich hänge an dem Gerät", erzählt er, "habe das Gehäuse und die Lautsprecher dazu selbst gebaut". Reparateur Ulrich Scharmer, ein Mediziner, der mal ein paar Semester Elektrotechnik studiert hat und "zeitlebens ein Bastler war", hat es geschafft, die rein mechanisch funktionierende Anlage wieder so herzurichten, dass sie Platten abspielen kann. Auch ein Deutschlehrer, Joachim Scheibe, ist unter den Technikern. Er kümmert sich um eine rosarote Polaroid-Kamera, deren Schiebemechanismus defekt ist.
Unter den Gästen waren in den vergangenen Monaten auch viele Ukrainer und Ukrainerinnen, "mit Geräten von elektrischen Zahnbürsten über Fahrradleuchten bis hin zu einer Playstation". Einer der Ukrainer, ein Ingenieur, der sehr gut Deutsch sprach, half zweimal beim Reparieren aus. "So", lächelt Elisabeth Redler, "kommt die Welt zu uns".
2023 wird das Hei-Repair-Team sechsmal im Haus der Eigenarbeit, fünfmal im Verkehrszentrum und viermal in der Halle 2 zu finden sein. Repariert wird auf Spendenbasis, eine Vorab-Anmeldung ist nicht erforderlich. Eine Stunde vor Schluss endet die Annahme der defekten Gegenstände, pro Person darf nur ein Gerät gebracht werden. Ausgeschlossen sind Großgeräte wie Kühlschrank oder Waschmaschine, Mikrowelle, Röhren‐Fernseher und Tintendrucker.