SZ-Serie: Olympisches Erbe:Mahnmale gegen das Vergessen

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Die Gedenkstätte in Fürstenfeldbruck erinnert an die Opfer des Olympia-Attentats. (Foto: Johannes Simon)

München tut sich schwer mit der Erinnerung an das Olympia-Attentat. In Fürstenfeldbruck ist man da engagierter. Eine Geschichte des Gedenkens und der Gedenkorte.

Von Joachim Mölter und Erich C. Setzwein

Kaum hatte sich das Olympiastadion in aller Stille geleert an diesem Vormittag, kaum waren die 80 000 Teilnehmer der Trauerfeier für die elf ermordeten Israelis in gedrückter Stimmung gegangen, da rückten Helferkolonnen an und schafften die Stühle vom Rasen weg, auf denen gerade noch Sportler und Sportlerinnen gesessen waren. Es sollte, es musste ja weitergehen, "the games must go on", hatte der IOC-Präsident Avery Brundage selbst gesagt in seiner Rede. Und schon am Abend dieses 6. September gingen sie tatsächlich weiter, da rollte bereits wieder der Ball über den Rasen beim Fußballspiel zwischen der Auswahl der Bundesrepublik Deutschland und Ungarn. Zum Glück verloren die Deutschen 1:4, so gab es wenigstens nicht auch noch einen Grund zum Jubeln für die 75 000 Zuschauer.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat sich nicht lange aufgehalten mit Trauer und Gedenken an den Terrorakt des 5. September 1972. Es ist weitergezogen in die nächsten Ausrichterstädte und hat München alleingelassen mit der Bewältigung. Die Stadt hat die schrecklichen Ereignisse dann verdrängt, so gut es ging, und die Erinnerung ein wenig zur Seite geschoben. Drei Monate nach dem Geschehen, am 10. Dezember 1972, wurde neben dem Eingang der Connollystraße 31 eine Gedenktafel eingeweiht, mit den Namen der getöteten Israelis in deutscher und hebräischer Schrift.

Lange Zeit blieb das der einzige Ort in München, an dem sich ein Hinweis auf den Anschlag fand - sofern man nicht achtlos daran vorbeilief. Und obwohl Willi Daume, der Organisationschef der Münchner Spiele, während einer Gedenkstunde am ersten Jahrestag ankündigte, "mit bedeutenden Künstlern" über den Bau einer Gedenkstätte zu sprechen, möglicherweise sogar im Olympiapark.

Die Tafel an der Connollystraße 31 im Olympiadorf blieb lange Zeit der einzige Erinnerungsort. (Foto: Florian Peljak)

Es waren die Vertreter Israels und der Israelitischen Kultusgemeinde, welche die Erinnerung wach hielten, in der breiten Münchner Öffentlichkeit geriet das Gedenken an den 5. September zunehmend in den Hintergrund. An den meisten Jahrestagen wurden nur noch Kränze niedergelegt, an den runden wohnten immerhin Lokal- und Landespolitiker den Trauerfeiern bei. Es dauerte fast ein Vierteljahrhundert, ehe der Gedenk- und Erinnerungskultur Leben eingehaucht wurde. Der Impuls dazu kam allerdings nicht aus München, sondern aus Fürstenfeldbruck, dem Ort, an dem die meisten Opfer der Geiselnahme ums Leben kamen, der aber im Grunde nichts dafür konnte, dass er als Schauplatz eines Blutbads ausgewählt worden war.

Auf Initiative eines jungen Landrats etabliert Fürstenfeldbruck eine jährliche Veranstaltung

Im Landkreis Fürstenfeldbruck war 1996 ein neuer Landrat gewählt worden, Thomas Karmasin (CSU), mit 33 Jahren der jüngste in ganz Bayern. Als Schüler hatte er in den Sommerferien die schreckliche Nacht in seiner Heimatstadt Fürstenfeldbruck erlebt. Als Politiker sah er es als Verpflichtung, die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten und dem Gedenken einen Ort zu geben. Und er machte sich unverzüglich an die Arbeit, auch gegen diverse Widerstände. In Fürstenfeldbruck hatten sich in den Tagen, Jahren und Jahrzehnten nach dem Anschlag ja auch nur wenige mit den Opfern beschäftigt - doch auf Initiative von Karmasin wurde 27 Jahre nach dem Massaker vor dem Haupttor des Fliegerhorsts eine Gedenkstätte eingeweiht und seitdem jährlich eine Gedenkveranstaltung organisiert. Charlotte Knobloch war an jenem 5. September 1999 ebenso dabei wie in all den Jahren danach.

Das Memorial vor dem Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck entstand 1999. (Foto: Johannes Simon)

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde war 39 Jahre alt an jenem 5. September 1972 und, wie sie einmal erzählte, in großer Sorge um ihre Tochter, weil sie nichts von ihr hörte. Handys gab es nicht, so verbrachte Knobloch bange Stunden beim Warten auf ihre Tochter, die als Olympia-Hostess beschäftigt war. In die Planung der Fürstenfeldbrucker Gedenkstätte, die an eben diesen Septembertag erinnert, war sie dann ebenso eingebunden wie der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel und der Landrat Thomas Karmasin.

Seit 1999 kommen nun also auf Einladung des Landratsamtes Fürstenfeldbruck an jedem 5. September Menschen vor der Gedenkstätte zusammen, die der Gröbenzeller Künstler Hannes L. Götz geschaffen hat. Das Mahnmal in Form der olympischen Flamme hat zwölf stilisierte Flammenstrahlen, jede für einen Namen der zwölf Opfer, elf Israelis und ein bayerischer Polizist. Es ist ein schlichter, aber wegen seiner Lage direkt an der Kasernenmauer kaum öffentlich beachteter Gedenkstein. Zur Tradition geworden sind die Ansprachen des Landrats und von Charlotte Knobloch sowie die dezent-angemessene musikalische Begleitung. Seit einigen Jahren ergreifen auch die jeweiligen Repräsentantinnen und Repräsentanten des israelischen Generalkonsulats in München das Wort, katholische und evangelische Geistliche sprechen zusammen mit einem Rabbiner ein Gebet.

Zur ersten richtig großen Gedenkveranstaltung 2002 waren die Angehörigen der israelischen Opfer eingeladen, sie kamen aber nicht wegen einer Gedenkfeier im eigenen Land. Dafür reisten sie 2012 zum 40. Jahrestag des Anschlags an. Vor zwanzig wie vor zehn Jahren war die Frage einer angemessenen Entschädigungszahlung noch ungelöst und umstritten. Weil die Forderungen bis vor Kurzem nicht erfüllt wurden, drohten die israelischen Hinterbliebenen, an der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag nicht teilzunehmen. Erst ein kurzfristiger Verhandlungserfolg machte den Besuch der Delegation mit dem israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog am Montag in Fürstenfeldbruck möglich.

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Der Tower des Flugplatzes soll als Erinnerungsort erhalten bleiben

Dort würden sie gern mehr Erinnerungsarbeit leisten, aber bei aller ideellen und politischen Vorarbeit geht es auch dort ums Geld. Der Landkreis ist kaum in der Lage, aus eigenen Mitteln mehr Geld in Projekte zu stecken. Deshalb ist zum Beispiel der von Karmasin und dem Kreistag angeschobene digitale Erinnerungsort in Form einer Webseite und einer App auch gerade erst abgeschlossen worden. Ein weiteres Ziel von Stadtrat und Kreistag bleibt, dass der alte Tower wegen seiner Authentizität zu einem realen Erinnerungsort wird.

Auch wenn das Gebäude von außen nicht mehr aussieht wie auf den ikonischen Fotos von 1972, hat sich in seinem Inneren nicht viel verändert, wie Zeitzeugen bei Besuchen bestätigen. Politiker auf allen Ebenen bis hinauf zu Bundestagsabgeordneten fordern seit Jahren den Erhalt des Towers und einen öffentlichen Zugang. Das historische Gebäude ist im Besitz des Bundes und umzäunt; drumherum darf die bayerische Polizei ihr Fahrsicherheitstraining absolvieren, daneben hat BMW sein Fahrertraining etabliert. Der Hauptzugang führt immer noch durch die Kaserne. Ein Besuch des Towers ist lediglich für angemeldete Veranstaltungen erlaubt.

Der Klagebalken im Olympiapark: Auf dem Mahnmal des Bildhauers Fritz Koenig sind die Namen der elf getöteten Israelis und des getöteten Polizisten eingraviert. (Foto: Stephan Rumpf)

Auch in München hatte einer der "bedeutenden Künstler", von denen Willi Daume schon 1973 gesprochen hatte, zwischenzeitlich eine Skulptur geschaffen als Denkmal für die Opfer des Olympia-Attentats. Das als "Klagebalken" betitelte Werk des Bildhauers Fritz Koenig war sogar schon im September 1995 im Olympiapark aufgestellt worden, auf dem Weg vom Dorf zum Stadion. In künstlerischer Hinsicht wurde der zehn Meter breite Granitbalken auch allseits gelobt, aber in praktischer Hinsicht von den meisten Besuchern weiträumig umgangen. Zumal er für unbefangene Touristen auch nicht selbsterklärend ist.

Tatsächlich gibt es in München erst seit fünf Jahren eine wirklich anziehende und ansprechende Gedenkstätte, nicht weit vom Klagebalken entfernt, also tatsächlich im Olympiapark, wie Jahrzehnte zuvor von Willi Daume versprochen. Dieser Erinnerungsort wurde zum 45. Jahrestag des Attentats im September 2017 in Anwesenheit von Hinterbliebenen der Opfer sowie der beiden Staatspräsidenten Frank-Walter Steinmeier und Reuven Rivlin eröffnet. Multimedial wird in einem Pavillon der Verlauf des Anschlags geschildert und eingeordnet; außerdem erfährt man Biografisches über die elf israelischen Olympioniken und den bayerischen Polizisten, die seinerzeit von den palästinensischen Terroristen ums Leben gebracht worden sind.

"Heute auf dem Hügel zu stehen, ist ein höchst bewegendes historisches Ereignis", sagte Ilana Romano, die Witwe des Gewichthebers Yossef Romano. Nach "Jahren der Verweigerung" durch bundesdeutsche Politiker seien die Angehörigen "dankbar und voller Stolz". Selbst Ankie Spitzer, die seit der Ermordung ihres Mannes, des Fechttrainers Andrei Spitzer, unermüdlich dagegen ankämpft, dass die Tat vom 5. September 1972 vergessen wird, lobte die "wunderschöne, bewegende Gedenkstätte".

Einschnitt: Die multimediale Gedenkstätte im Olympiapark wurde 2017 zum 45. Jahrestag eröffnet. (Foto: Stephan Rumpf)

Sie hat jedenfalls sehr viel Symbolkraft, mehr als alle anderen. Sie ist in Sichtweite zum Haus in der Connollystraße 31 angelegt, in dem das Drama damals anfing. Sie ist in einen Hügel hineinmontiert, was man als Einschnitt verstehen kann - in das Leben der Opfer und ihrer Angehörigen, in die Geschichte der Stadt München, in die Historie der Olympischen Spiele. Man kann sie auch so sehen, als habe man die Opfer endlich aus der Versenkung geholt. Und angesichts der immer noch bei weitem nicht aufgeklärten Umstände des Anschlags, lässt die Gedenkstätte noch einen anderen Schluss zu. Der Polizist Werner Brandl, der vor 50 Jahren in Fürstenfeldbruck im Einsatz war, hat ihn so formuliert, "dass auf der ganzen Geschichte noch ein Deckel drauf ist".

Und der wird nur sehr langsam gelüftet. Das IOC hat erst 2021 in Tokio wieder einmal innegehalten im Gedenken an die Opfer des Terroranschlags von 1972. Da gab es bei der Eröffnungsfeier eine Schweigeminute. Aber dann gingen die Spiele auch schnell wieder weiter.

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