Lesenswert:Klagelieder in Wort und Bild

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Ein Pastell (Ölpastell, Graphit und Feuer auf Papier) aus dem Bildband "Dachauer Elegien" von Künstler Horst Thürheimer und Dichter Norbert Göttler. (Foto: Horst Thürheimer)

Der Autor Norbert Göttler und der Maler Horst Thürheimer erinnern in den "Dachauer Elegien" an das Schicksal ehemaliger Gefangener des Konzentrationslagers.

Von Sabine Reithmaier

"Einer von uns muss den Namen Mensch ablegen. / Mit jedem Stein, mit jeder Amöbe habe ich mehr gemein." Die "Dachauer Elegien" stimmen wenig hoffnungsvoll. Der Bildband, eine gemeinsame Arbeit des Schriftstellers Nobert Göttler und des Malers Horst Thürheimer, erzählt von der Verletzlichkeit des Menschen, von Leid, Grausamkeit und Tod. Und passt gut in unsere Tage, trifft er doch die aktuelle Empfindungslage ganz genau.

Dabei ist das Klagegedicht schon einige Jahre alt. Göttler publizierte die Elegien bereits 2014 in einer heimatpflegerischen Veröffentlichung ( "Heimat in einer globalisierten Welt", Volk Verlag). Ausgangspunkt des Autors sind die Gedichte ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau. Die Germanistin Dorothea Heiser hatte sie 1993 im Buch "Mein Schatten in Dachau" erstmals veröffentlicht. Ähnlich wie in seiner literarischen Collage "Dachau, Moabit und zurück", in dem Göttler sich mit Albrecht Haushofer, dem Dichter der Moabiter Sonette, auseinandersetzt, versteht er sich auch in den Elegien als Spurensucher, mischt Vergangenheit und Gegenwart, eigene Erfahrungen und Gedanken mit den Texten der ehemaligen Gefangenen.

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Göttler, Jahrgang 1959, ist in der Nähe von Dachau auf einem Bauernhof großgeworden, kennt das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers und späteren Flüchtlingslagers - die Gedenkstätte wurde erst 1965 eröffnet - seit seiner Kindheit. "Aufgewachsen bin ich am Rande der Apokalypse", erinnert er sich im Klagegedicht. Inzwischen führt er gelegentlich Schulklassen durch die Gedenkstätte. "Gedenken und Schauder im Zweistundentakt ... Bus für Bus werden sie abgeholt zum nächsten Ziel."

Das lyrische Ich nimmt ein Gespräch mit geisterhaften Häftlingen auf

Doch an diesem Tag, an dem die Elegien einsetzen, bleibt der Gästebus aus, wie das lyrische Ich erleichtert einer SMS entnimmt. Allein bleibt es trotzdem nicht, nimmt ein Gespräch mit drei geisterhaften Häftlingen auf, die sich still in eine Ecke des Eingangsraums drücken. Es folgt den bleichen Gestalten nach draußen in die kalte Winterluft, wandert mit ihnen durch eine schreckliche Trauerlandschaft. "Vier Männer auf dem Weg durch das Moor / Draußen wird keiner uns je mehr verstehen"/ Das Gewicht des Todes liegt auf unseren Schultern ..."

Kursiv gesetzt ragen die Zeilen der ehemaligen Gefangenen aus Göttlers Versen heraus, zeugen in ihrer Verschiedenheit erschütternd von der Einzigartigkeit eines jeden Menschen. " Weshalb, Leon, beugt sich niemand über dich? / Noch bist du nicht tot", zitiert er den Tschechen Eman Faltus, und wenig später den Polen Feliks Rak. "Mein Freund Janek ging in den Himmel / doch bevor er seine Seele aushauchte, / bat er mich noch um Brot." Sind es anfangs nur wenige Häftlingszeilen, die sich in die Gedankenwelt des Autors mischen, so werden im Fortgang der Wanderung die Gedichtfragmente länger, verstärkt sich die zornige Trauer und die Verzweiflung des Dichters.

Malen mit dem Bunsenbrenner

Lässt viele Assoziationen zu: Ein weiteres Pastell (Ölpastell, Graphit und Feuer auf Papier) aus dem Bildband "Dachauer Elegien" von Künstler Horst Thürheimer und Dichter Norbert Göttler. (Foto: Horst Thürheimer)

Der Münchner Maler Horst Thürheimer war von den Elegien so angetan, dass er Göttler vorschlug, den Text seinen Bildern gegenüberzustellen und neu herauszugeben. Seine Arbeiten reagieren kongenial auf die Klagen. Thürheimer macht Verletzungen sichtbar, indem er vor dem Malen das Papier mit dem Bunsenbrenner bearbeitet, gleichsam mit dem Feuer malt. Auf den düsteren Grundton setzt er dann mit Ölpastellkreiden sparsame, dynamische Gesten auf das Blatt, Grün- und Brauntöne überwiegen. Büsche, Baumäste, schwarze Moorerde, schemenhafte Figuren - Thürheimers Werk lässt viele Assoziationen zu.

Die Bilder, die der Maler ausgesucht hat, sind allesamt in Originalgröße abgebildet, beanspruchen aber in dem ungefähr DIN A4 großen Band nie die ganze Fläche. Manche sind nahezu winzig. Und trotzdem sind sie ungeheuer intensiv und berühren nachhaltig.

Norbert Göttler, Horst Thürheimer: Dachauer Elegien. Allitera-Verlag. Preis: 22,50 Euro

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