Neuperlach:Bürger wehren sich gegen Bauprojekt

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Wohnen statt Wagen: Ein Investor will den Parkplatz nördlich des Otto-Hahn-Rings bebauen. (Foto: Florian Peljak)
  • Auf einem Siemens-Gelände in Neuperlach beabsichtigt ein Investor offenbar, 600 bis 800 Wohnungen zu bauen.
  • Nachbarn und Lokalpolitiker haben eher nebenher von den Plänen erfahren - normalerweise werden die Anwohner zuerst informiert.
  • Da es viele Unklarheiten gibt, sind die Neuperlacher verunsichert und wehren sich gegen das schnelle Vorgehen.

Von Hubert Grundner, Neuperlach

Die Nachricht kam aus heiterem Himmel und hat den Betroffenen die friedliche Weihnachtsstimmung gründlich ausgetrieben: Auf dem Siemens-Parkplatz nördlich des Otto-Hahn-Rings in Neuperlach beabsichtigt ein Investor offenbar, 600 bis 800 Wohnungen zu bauen. Davon erfahren hatte der Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach eher indirekt, als er von der Stadtverwaltung über den Planungsstand für einen zweiten U-Bahn-Betriebshof in Neuperlach Süd informiert wurde: Gewissermaßen am Rande wurden dabei die Überlegungen zum Siemens-Parkplatz eingeflochten. Dagegen formiert sich mittlerweile massiver Widerstand: Mehr als 700 Anlieger haben bereits per Unterschrift ihr Veto eingelegt, inzwischen hat sich auch eine Bürgerinitiative (BI) gegründet.

Wie einer ihrer Sprecher der Süddeutschen Zeitung sagte, haben die Nachbarn kurzfristig zumindest bereits zweierlei erreicht: Der Eckdatenbeschluss für das Bauprojekt, über den die Münchner Stadträte bereits Anfang Dezember hätten abstimmen sollen, ist zunächst wieder von der Tagesordnung genommen worden. Und zweitens habe Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zugesagt, dass es demnächst eine Bürgerinformation geben soll.

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Üblicherweise ist die Reihenfolge genau andersherum: Zunächst wird die Öffentlichkeit unterrichtet, dann können Betroffene ihre Stellungnahmen abgeben, bis hin zum Einspruch bei Gericht - erst dann wird endgültig Baurecht geschaffen - oder eben auch nicht. Im Fall des Siemens-Parkplatzes scheint die Abfolge der Verfahrensschritte außer Kraft gesetzt worden zu sein. Denn dass das Planungsreferat bereits einen Eckdatenbeschluss vorbereitet hat, noch ehe die Nachbarn und der BA über das Projekt informiert wurden, erbost diese doch erheblich.

Aus ihrer Sicht ergeben sich nun viele Fragen. So heiße es im Entwurf des Eckdatenbeschlusses zum "Planungsanlass": Die private Grundeigentümerin beabsichtige das Planungsgebiet nördlich des Otto-Hahn-Rings und östlich der Carl-Wery-Straße zu einem Wohnquartier zu entwickeln. Dazu merkt der BI-Sprecher an, dass der Begriff "Wohnquartier" gewissermaßen einen Anspruch als gegeben setze, dem das Areal keinesfalls gerecht werden könne und auch nicht solle. Er verweist dabei auf den nach wie vor gültigen Bebauungsplan Nummer 57 ag.

Dort steht unter Paragraf 2, Ziffer 1, "Gestaltung der Freiflächen": "Die Freiflächen des Sondergebiets (gemeint ist Siemens, Anm. d. Red.) und der Gemeinschaftsstellplatzanlage sind entsprechend dem Grünstrukturplan vom 2. Dez. 1974 zu begrünen, in parkähnlicher Weise mit Bäumen und Sträuchern zu bepflanzen und in dieser Weise zu erhalten."

Als Siemens vor Jahrzehnten gebaut habe, erinnert sich der Sprecher, wurde dieser Grüngürtel als "Schutzzone" zum sogenannten Kleinsiedlungsgebiet hin angelegt, das sich zwischen der Dr.-Walther-von-Miller-Straße und der Putzbrunner Straße sowie zwischen Carl-Wery-Straße und Tribulaunstraße erstreckt. Da der Grüngürtel Teil der Kleinsiedlung sei, könnte man auch sagen, die Stadt plane im bestehenden Wohnquartier ein weiteres Wohnquartier.

Die BI vertritt nun die Auffassung, dass nach derzeitiger Rechtslage eine Bebauung des Siemens-Parkplatzes ohne Änderung des Flächennutzungsplans und des Bebauungsplans nicht möglich ist. Und auf dem Immobilienmarkt sei es als eigenständiges Grundstück auch nicht zu vermarkten, da es wegen der Festsetzungen im Bebauungsplan nur im Kontext mit dem ganzen Siemens-Standort gesehen werden könne.

Wie verunsichert die Nachbarn mittlerweile sind, zeigt das Gerücht, wonach das gesamte Siemens-Areal 2015 von einer Holding aus Fernost gekauft worden sei. Richtig ist: Der Konzern hat seinen Büro- und Gewerbepark in Neuperlach, zu dem auch die drei unbebauten Siemens-Parkplätze gehören, bereits im Jahr 2010 an eine von der HIH Hamburgische Immobilien Handlung GmbH und von der RFR Holding GmbH errichtete Erwerbergesellschaft verkauft. Dem Vernehmen nach sind dafür 350 Millionen Euro bezahlt worden. Gleichzeitig hatte Siemens damals mit den Käufern für sämtliche Gebäude des Areals einen Mietvertrag für die kommenden 13 Jahre abgeschlossen, also bis zum Jahr 2023. Zusätzlich beinhaltet der Mietvertrag eine Verlängerungsoption um weitere 15 Jahre.

Wie eine Nachfrage in Hamburg ergab, sind HIH und RFR beziehungsweise die von ihnen aufgelegte Fondsgesellschaft nach wie vor die Eigentümer. Zu den weiteren Plänen erklärt Frank Kindermann, Leiter Asset Management der HIH Real Estate GmbH: "Seit dem Jahr 2014 forcieren wir die baurechtliche Änderung der Grundstücksfläche im Norden des Areals." Womit genau der Parkplatz nördlich des Otto-Hahn-Rings gemeint ist. Ziel ist es, für das großteils als Gewerbegebiet ausgewiesene Areal Wohnbaurecht zu schaffen. Laut Kindermann wurde auch bereits in enger Absprache mit der Stadt "ein Nutzungs- und Strukturmodell entwickelt, welches neben rund 700 Wohnungen auch Büro/Praxen, Einzelhandel und soziale Infrastruktur (Kitas) vorsieht".

Tatsächlich hat man sich bei der Bürgerinitiative bereits gefragt, wer oder was den Investor zum jetzigen Zeitpunkt ermutigt haben könnte, für den Parkplatz die Absicht kundzutun, dort ein Wohnquartier zu entwickeln. Und wer oder was hat die Stadt veranlasst, in höchster Eile den Entwurf eines Eckdatenbeschlusses vorzulegen und darin aus dem Straßenbegleitgrün ein "maßgeschneidertes" Baugrundstück zu zimmern und einen Architektenwettbewerb vorzubereiten?

Bevor der Investor zum Ziel kommt, müssten in jedem Fall zuerst der Flächennutzungsplan mit integrierter Landschaftsplanung sowie der Bebauungsplan mit Grünordnung geändert werden. Dem Eckdatenbeschluss, so wie er den Stadträten vorgelegt werden sollte, sind diese aber gar nicht als Anhang beigefügt - obwohl darauf Bezug genommen wird.

Diese und viele weitere kritische Anmerkungen wollen die BI-Mitglieder gegen den Eckdatenbeschluss vorbringen - zumindest in seiner jetzigen Form. Denn den Anliegern gehe es keineswegs darum, Fundamentalopposition zu betreiben, wie ihr Sprecher versichert: "Wir verweigern uns nicht komplett, sondern wollen eine moderatere Bebauung erreichen." Dazu hat die BI bereits Vorschläge in petto, deren wichtigster lautet: Die Stadt erwirbt das Grundstück und entwickelt mit Augenmaß eine Wohnbebauung, die den Belangen der künftigen Bewohner wie auch der Anlieger im Umfeld gerecht wird. Die Alternative, die aus Sicht der BI andernfalls droht, ist ein "Quartier Fernost", welches an Höhe und Dichte in ganz Neuperlach beispiellos sein würde.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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