Stadtverschönerung:Wenn die Straßenecke zur Flirtbörse wird

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Gemeinsam anpacken wollen die Neuhauser Anwohner. (Foto: Catherina Hess)

Ein trister Platz in Neuhausen soll belebt werden. Wie das gehen kann, haben sich knapp zwei Dutzend Nachbarn ausgedacht. Nun sind tausend Anwohner um Mithilfe gebeten - ein prominenter Unterstützer hat sich schon gemeldet.

Von Ellen Draxel

Immer, wenn Saskia Neumeister aus dem Fenster ihrer Wohnung nach unten schaut, sieht sie mehr als eine triste Fläche. Vor ihrem inneren Auge verwandelt sich dann der kleine Platz an der Ecke Volkart-/Dom-Pedro-Straße in Neuhausen in eine belebte Oase. In ein Outdoor-Wohnzimmer, in dem sich Nachbarn treffen, Kinder spielen, in dem soziales Leben stattfindet.

Neumeister ist keine Träumerin. Auch wenn dieser Ort, wie die Betriebswirtin lächelnd zugibt, hin und wieder des Nachts durch ihren Schlaf geistert. Aber das beweist aus ihrer Sicht nur, dass "mein Herz an diesem Platz hängt".

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Eine lebenswerte Stadt, davon ist die 43-jährige gebürtige Brasilianerin überzeugt, braucht gesellschaftliche Räume. Und die Initiative zur Schaffung solcher Treffpunkte muss nicht immer von der Kommune ausgehen. Neumeister hat es innerhalb weniger Monate geschafft, 19 Mitstreiter und Mitstreiterinnen um sich zu scharen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, diesen Platz in Neuhausen liebenswerter zu gestalten. Und sich als Erstes die Unterstützung des Bezirksausschusses zu sichern. "Ich weiß, es gibt viele Menschen, die einsam sind, auch jüngere. Wenn wir es gemeinsam schaffen, diesen Platz schönzumachen, würde das nicht nur die Nachbarschaft zusammenschweißen." Es würde, betont sie, "das gesamte Viertel aufwerten".

Erste Erfahrungen hat Neumeister bereits im April gesammelt. Gemeinsam mit ihren beiden Kindern hat sie damals ein Beet vor ihrer Haustür angelegt, und schon dieses kleine Fleckchen Grün entpuppte sich als Kommunikationsmagnet, generationenübergreifend. Nachbarn boten an, die Pflanzen auch mal zu gießen, man kam ins Gespräch, Hundebesitzer achteten darauf, die Fläche nicht zu verschmutzen. "Manchmal", sagt die Neuhauserin und schmunzelt, "war das fast wie eine Flirtbörse".

Wenig später, im Juni, traf Neumeister beim Hofflohmarkt dann auf Carina Losert. Die 38-Jährige wohnt mit ihrer Familie schräg gegenüber im Hochhaus. Hofflohmärkte sind ein soziales Event, man trifft sich, ratscht - und im Idealfall wechselt das eine oder andere Lieblingsstück auch noch den Besitzer. Losert erwarb bei Neumeister einen Rock, man unterhielt sich, Thema war schnell auch der Platz. "Er ist grau und lieblos", findet die studierte Philosophin. "Und oft auch nicht besonders sauber."

Bunte Wimpelketten waren der erste Probeballon

Doch was tun? Als erstes "verwimpelte" Neumeister den Platz: Sie hängte bunte Wimpelketten mit Muscheln auf und bekam jede Menge positives Feedback. "Zum ersten Mal haben die Leute den Platz da richtig wahrgenommen", sagt sie. Dass derartige Dekorationen im öffentlichen Raum nicht zulässig sind, erfuhr sie erst Monate danach. Zugleich lernte die junge Frau: Nicht alle sind begeistert. "Mir san hier doch ned im Zirkus", hätten ihr zwei Damen zu verstehen gegeben, die befürchteten, der Platz könne zur Partymeile werden, erzählt sie. "Eine hat dann auch eine der Wimpelketten durchgeschnitten."

Inzwischen weiß Neumeister: Die Umgebung ins Boot zu holen, ist unerlässlich. Die Wimpel sind passé, dafür sind andere belebende Elemente in der Diskussion. Ein offener Bücherschrank etwa. Die beiden Initiatorinnen stehen bereits in engem Kontakt mit Architekt Jürgen Jensen und Katharina Müller von der Atelier-Werkstatt Machwerk, denen Neuhausens erster Bücherschrank an der Ecke Nymphenburger/Waisenhausstraße zu verdanken ist. Auch zwei Hochbeete könnten aufgestellt werden. Wildblumen könnte es geben statt nur grünen Rasen. Mehr Sitzgelegenheiten.

Neumeister und Losert könnten sich auch einen Sandkasten oder eine Box mit Kreide vorstellen, mit der Kinder den Boden bis zum nächsten Regen bemalen können. Auch Kunstprojekte stehen zur Debatte: Die wenig charmanten Betonpoller ließen sich beispielsweise mit Wollresten umwickeln. Oder man könnte eine Staffelei aufstellen, eingerahmt von wetterfesten Gemälden. Schön fänden die beiden Aktivistinnen auch ein Café - oder zumindest die Möglichkeit, sich irgendwo in der Nähe einen Kaffee zu holen. Dazu gelegentlich Aktionen wie einen Tauschmarkt oder ein Nachbarschaftsfest.

Die ersten 3000 Euro für eine Mikro-Oase sind bereits bewilligt

Aber - ganz wichtig - alles abgestimmt mit den Nachbarn. "Ich kann vieles ansprechen - aber bewegen müssen wir Anwohner das zusammen. Jeder in seinem Flow und mit seiner Kraft", betont Neumeister. Der Bezirksausschuss fördert die Initiative, vor wenigen Tagen hat das Stadtteilgremium gut 3000 Euro für das Entstehen der "Mikro-Oase Neuhauser Platz" bewilligt.

Vom 8. bis 31. Januar sollen nun alle rund tausend Nachbarn mittels Flyer und Plakaten eingeladen werden, die Zukunft des Platzes mitzubestimmen. Die Teilnahme ist online möglich. Oder indem man am 23. Januar um 19.30 Uhr die Bezirksausschuss-Sitzung im Kulturzentrum Trafo an der Nymphenburger Straße 171a besucht und dort in Papierform abstimmt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) jedenfalls hat sein Wohlwollen für das Engagement bereits in einem Brief an die Initiatoren signalisiert.

Wer mitwirken möchte: Die Gruppe ist per E-Mail an Ideenpaten@gmail.com erreichbar.

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