Wenn in Allach-Untermenzing über den neuen Münchener Oberbürgermeister entschieden würde, dann gäbe es bei dieser Wahl einen klaren Favoriten: Josef Schmid. Sieben S-Bahn-Stationen sind es vom Hauptbahnhof bis Allach - kulturell aber ist das fast eine Weltreise. In den Straßen rund um den Bahnhofsplatz gibt es arabische Shisha-Cafés und ein Büro von McKinsey, die Menschen wohnen abgeschottet in den Lenbachgärten oder über den Rotlicht-Etablissements an der Schillerstraße. Urbaner ist München nirgendwo. Und Allach? Am nordwestlichen Stadtrand wirkt die Millionenstadt fast ländlich, Ein- und Zweifamilienhäuschen drängen sich nicht gar so dicht wie im Rest der Stadt, für kleine Alltagsfluchten bietet die Würm das perfekte Ziel. Hier kennt fast jeder jeden, und die Menschen kennen Josef Schmid.
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Vorgedrängelt hat er sich nicht, Christian Ude hat ihn gefragt, ob er sich den Job vorstellen kann: Dieter Reiter kommt aus der Stadtverwaltung, in der SPD musste er sich erst durchsetzen. Aber reicht sein Rückhalt, um als Münchner Oberbürgermeister eingefahrene Gleise zu verlassen?
Vor 44 Jahren bekam Josef Schmid, der Metzger am Platz, einen Sohn. Den Vater riefen die Leute Sepp, den Junior Seppi. "Wie es sich in einer richtigen bayerischen Familie gehört", erzählte der heutige OB-Kandidat der CSU einst. Seit er 14 Jahre alt war, half Josef Schmid in der Metzgerei, samstags stand er um halb vier auf und ging in die Wurstküche.
Als Wirtschafts- und Arbeitsrechtler ist Schmid heute Partner in einer mittelständischen Anwaltskanzlei. Im Verein Münchner Metzger ist er trotzdem Mitglied, ebenso beim Allacher Trachtenverein Alpenrösl, den Freunden von Schloss Blutenburg und anderen lokalen Gesellschaften. Mit seiner Frau Natalie und den beiden Kindern lebt er immer noch in Allach.
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Seit sieben Jahren ist Schmid Fraktionschef der Rathaus-CSU, schon 2008 forderte er Christian Ude zum OB-Duell. Allach-Untermenzing hat nicht nur als Heimat in seinem Herzen einen besondern Platz, auch politisch macht er sich für den Münchner Westen enorm stark. Mal fordert er ganz Großes, zum Beispiel eine U-Bahn, die von Moosach über Obermenzing nach Pasing führen soll. Manchmal ganz Kleines, wie vor wenigen Tagen, als er einen neuen Standort für die Tafel zur Historie Aubings anmahnte.
Der Dank der Menschen lässt sich in Schmids Wahlergebnissen im 23. Stadtbezirk ablesen: Als er 2002 erstmals für den Stadtrat kandidierte, bekam er dort mehr Stimmen als der damalige OB-Kandidat der CSU, Hans Podiuk. 2008 musste Schmid mit 24,4 Prozent bei der OB-Wahl ein desaströses Ergebnis verdauen. In der Gegend um den Hauptbahnhof kam er gerade noch auf 15 Prozent, die Dreißig-Prozent-Marke schaffte er nur knapp in zwei CSU-Hochburgen: in Trudering und Aubing. Und in Allach-Untermenzing. Auch dort hatte zwar Ude gewonnen, doch fast 40 Prozent waren für Schmid.
Josef Schmid, der perfekte Bezirksbürgermeister also?
Der Schluss, dass Josef Schmid vielleicht nicht ganz das Zeug zum Oberbürgermeister einer Millionenstadt hat, liegt verführerisch nah. Er selbst bietet dafür mit seiner offen zur Schau getragenen Verwurzelung im Westen zu viele Steilvorlagen. Doch Schmid hat schon einiges im Leben erreicht, was keiner ihm zugetraut hätte.
Josef Schmids Weg in die Politik begann vor dem Fernseher. Mit seinem Bruder musste er immer Nachrichten anschauen. "Mein Vater hat gesagt: Ihr lebt in einem Land, in dem ihr mitbestimmen dürft. Das ist ein Schatz, deshalb müsst ihr euch informieren", erzählt Schmid. Mit 13 engagierte er sich in der Schüler-Union, mit 15 trat er der JU bei. "Auf etwas anderes wäre ich gar nicht gekommen", sagt Schmid. Sein Vater war alles andere als begeistert: Sein Sohn sollte lieber in der Metzgerei statt für die JU arbeiten. Und außerdem war Schmid senior der Meinung, Geschäftsleute müssten politisch neutral bleiben.
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Es war schließlich Schmid junior, der den Vater für die CSU begeistert hat. So, wie er später viele andere Leute mitgezogen hat. Es gibt Leute bis in die Funktionärsebene der Münchner CSU, die sagen, sie seien vor allem wegen Schmid dabei.
Auch beruflich ging Schmid seinen eigenen Weg. Anstatt die Metzgerei der Eltern zu übernehmen, wollte er "als erster in der Familie weit und breit" studieren. Sein Vordiplom in Betriebswirtschaft hatte er nach drei Semestern in der Tasche, obwohl er nur vier Tage pro Woche in Passau war und "keine Party ausgelassen hat". Den Rest der Woche schuftete er in der Metzgerei und für die JU. Ein Arbeitstier war Schmid damals schon. Und er war auf dem besten Weg, in die Profi-Politik zu rutschen. Damals trat er selbst auf die Bremse, legte seine Parteiämter nieder und nahm mit Jura ein zweites Fach dazu. Das Doppelstudium ist in seiner Erinnerung "die ruhigste Zeit meines Lebens".
Comeback unter Vorbehalt
Sein Comeback in der Münchner CSU fand unter einem selbstgesteckten Vorbehalt statt: Die Partei müsse sich verändern. Schmid war nie ein CSUler der alten Schule, für das rot-grüne Lager ist er als Feindbild ein Totalausfall. Mit seiner Partei hat Schmid einen Streit um das Ehegattensplitting angezettelt, weil er sich eine Förderung da wünscht, wo Kinder sind. Spitzenleute in der CSU diffamieren Homosexuelle bis heute als "schrille Minderheit", Schmid geht seit Jahren unbeirrt zum Christopher-Street-Day. Klar und deutlich distanziert er sich auch von braunem Gedankengut und rechten Strömungen.
Manchmal fährt aber selbst seine Fraktion zweigleisig: Während Schmid den liberalen Großstadtpolitiker gibt, kämpfen andere für die Heimatvertriebenen. Das kann durchaus Strategie sein, weil Schmid in wirklich konservativen Kreisen kaum punkten kann. Noch heute liegt er bei den Wahlumfragen als einziger OB-Kandidat hinter seiner Partei. Wenn allerdings einer der Stadträte völlig über die Stränge schlägt wie Reinhold Babor, der gegen den Bau eines Moscheezentrums hetzte, dann spricht der Fraktionschef ein Machtwort.
"Josef Schmid scheint sehr durchsetzungsstark zu sein", erkennt auch Sabine Nallinger an, die OB-Kandidatin der Grünen. "Er hat die CSU verändert, hat Leute mitgerissen." Aber wie viel hat Schmid wirklich verändert? Wie repräsentativ ist sein Kurs für die CSU? Ist seine Liberalität am Ende nur Fassade, weil Schmid in München sonst zum Scheitern verurteilt wäre?
Fakt ist, dass die Rathaus-Fraktion Schmids liberale Politik mitträgt, auch wenn sie längst nicht von allen mitgelebt wird. Perfekt ist das Image, das seine Berater ihm verpasst haben: Er geht im Oldtimer-Bus auf Stadtteil-Tournee, kämpft seit Monaten über Facebook um Stimmen. Seine Plakate kommen frisch und aufgeweckt daher, mit viel Schmid und wenig CSU. Eine besondere Rolle spielt seine Frau Natalie, die bei vielen Terminen dabei ist und überall begeistert begrüßt wird.
Ein so grober Patzer wie im Wahlkampf 2008 würde Schmid nie mehr passieren. Damals plakatierte die CSU Fotos von einem U-Bahn-Schläger und schrieb darüber: "Sie könnten der nächste sein." Selbst sein schärfster Konkurrent, Dieter Reiter (SPD), sagt anerkennend, dass Schmid seit dem letzten Wahlkampf viel gelernt habe. Und Horst Seehofer lässt längst keine Gelegenheit mehr für ein Lob aus: "Frisch, modern und einsatzfreudig" sei Schmid, außerdem "frech - das schätze ich sehr, so war ich früher auch".
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Der CSU-Chef findet es sogar in Ordnung, dass Schmid regelmäßig anderer Meinung ist als die Partei. Es hat ja auch kaum Konsequenzen. Die Landes-CSU legt ihm vielmehr ein Ei ums nächste: Während in München um jede Mietswohnung gekämpft wird, hat die CSU den Verkauf von 8000 GBW-Wohnungen allein in der Landeshauptstadt besiegelt. Während Schmid wirbt, München solle "sozialer, grüner und moderner" werden, muss der Münchner CSU-Chef, Kultusminister Ludwig Spaenle, von Seehofer zurückgepfiffen werden, als er weniger Lehrer wollte. Und heißt "sozialer werden", für Armutsmigranten zu fordern: "Wer betrügt, der fliegt"?
Spezlwirtschaft und stinkende Toiletten
Schmid hat schon recht wenn er sagt, der politische Gegner mache ihm am liebsten Vorwürfe zur Landespolitik, für die er nicht verantwortlich sei. Das hat aber auch damit zu tun, dass sein eigenes Profil wolkig bleibt. Er hat seine Themen, keine Frage. Wohnungsbau, Beruf und Familie, Mobilität in der Stadt, Bürgerbeteiligung. Es sind die großen Fragen Münchens, die kein Wahlkämpfer auslassen darf. Wenn es um die Kliniken geht, ist Schmid für Rot-Grün schon lange unbequem. Ganz selten ist er da sogar richtig scharf geworden, etwa als er den Rücktritt von Bürgermeister Hep Monatzeder gefordert hat.
Originäre Schmid-Themen sind vor allem Spezlwirtschaft und marode Schulen. Beim Filz, der sich nach 24 Jahren Rot-Grün in München an einigen Stellen gebildet hat, hat Schmid einen Punkt gefunden, an dem er sich zu Recht festbeißt. Das Problem ist nur, dass ein CSU-Politiker angesichts der Machenschaften seiner Parteifreunde im ganzen Land da nur bedingt glaubwürdig ist. Stimmt, von CSUlern, die in der Stadtverwaltung auf ihrem Parteibuch Karriere gemacht haben, hat lange niemand etwas gehört.
Die CSU hatte zu solchen Freundschaftsdiensten aber auch keine Gelegenheit. Bei den Schulen hat Schmid ein ganz spezielles Lieblingsthema: stinkende Toiletten. Die Stadt hat das Thema nie ernst genommen, bis Schmid bei jeder Gelegenheit damit ankam. Beim Neujahrsempfang der CSU versprach er, als OB eine Task-Force einzurichten: "Da werde ich mir wöchentlich von den Beamten berichten lassen, ob wir endlich würdige Toiletten für unsere Kinder haben."
Kryptische Visionen
Diese Kleinteiligkeit ist typisch für Schmid. Er kennt sich unglaublich gut aus und engagiert sich bei lokalen Problemen, von denen Dieter Reiter oder Sabine Nallinger wohl noch nie gehört haben. Wenn er aber auf das Thema Visionen zu sprechen kommt, träumt er von einem "Miteinander der Verkehre", davon, dass die Stadt "bei der Bildung loslegen muss, wo sie zuständig ist" oder vom "Respekt gegenüber der älteren Generation." Ob er damit genügend Unterstützer zur Wahl locken kann, wird sich in zwei Wochen zeigen.
Einen Plan B, falls es nicht reicht, hat Josef Schmid nicht: "Das brauche ich nicht. In meiner Kanzlei freut sich jeder, wenn ich wieder mehr da bin." Schmid hat da vorgebaut, als er den Studienabschluss vor die Politik gestellt hat. Er hat immer seinen Beruf gepflegt und sich damit etwas bewahrt, was nicht alle Politiker haben: Unabhängigkeit. Wenn Schmid die Wahl verliert, ist eines ziemlich sicher: "Die Mühsal der Ebene", wie Spaenle das Geschäft des Oppositionsführers einmal genannt hat, dürfte sich Schmid kaum weitere sechs Jahre antun.
Wenn ihm aber die Sensation gelingt, der SPD die Macht im Rathaus abzunehmen, dann wird das nicht nur für München, sondern auch für die CSU ein gewaltiger Wechsel. Schmids Wort dürfte dann in der CSU ein ganz anderes Gewicht haben.