Münchner OB-Kandidat Dieter Reiter:Forscher als seine Partei

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Dieter Reiter auf dem Oktoberfest: Als Wirtschaftsreferent war er bislang Wiesn-Chef, ob er das Volksfest bald auch eröffnen darf? (Foto: Stephan Rumpf)

Vorgedrängelt hat er sich nicht, Christian Ude hat ihn gefragt, ob er sich den Job vorstellen kann: Dieter Reiter kommt aus der Stadtverwaltung, in der SPD musste er sich erst durchsetzen. Aber reicht sein Rückhalt, um als Münchner Oberbürgermeister eingefahrene Gleise zu verlassen?

Von Dominik Hutter

Die Rolle des Ziehsohns hat er abgelegt. Selbstbewusst und entspannt steht Dieter Reiter neben Christian Ude auf der Bühne, schnappt sich das Mikrofon und spricht über Kinderbetreuung, Finanzpolitik, die kostspieligen Ideen der politischen Konkurrenz. "Ich werde nichts versprechen, was ich nicht halten kann", ruft er der Menge auf dem Willy-Brandt-Platz zu, in seinem speziellen Reiter-Redestil: ein bisschen Dialekt, vor allem an den Stellen, an denen es lustig oder persönlich zugeht. Ein bisschen Hemdsärmeligkeit, das wirkt sympathisch-zurückhaltend. Und eine mittlere Dosis Kampfgeist, eingestreut an Stellen, an denen Leidenschaft gefragt ist. Mit dieser Mischung will der 55-Jährige Oberbürgermeister der größten Kommune Deutschlands werden.

Ziehsohn. Das ist Fluch und Segen zugleich. Segen, weil man die Referenz von Christian Ude vorweisen kann, der nach 20 Jahren schon als Schablone für einen Münchner Oberbürgermeister durchgeht. Und Fluch, weil man sich irgendwann von seinem Mentor lösen, Versäumnisse aufzeigen und Aufbruchstimmung verbreiten muss. Das findet der Vorgänger nicht immer lustig, und es ist gut möglich, dass sich Ude aus diesem Grund zu Wahlkampfbeginn ziemlich rar gemacht hat.

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Mehr als ein Ude 2.0

Vor der Bühne in der Messestadt herrscht Volksfeststimmung. Die SPD hat eine Würstlbude aufgefahren, es gibt Punsch sowie einen Stand zum Dosenwerfen. Und jetzt, in der Endphase des Wahlkampfs, ist auch Ude dabei. "Ich kenne und schätze Dieter Reiter seit Jahrzehnten", erzählt der Bald-Pensionär dem Publikum. Und dass es nach 20 Jahren durchaus mal Zeit ist für einen Wechsel.

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Reiter nimmt die Lobeshymne ohne sichtbare Regung entgegen. Der Wirtschaftsreferent ist auf seine Rolle gut vorbereitet, persönlich wie fachlich: Noch vor wenigen Jahren, das räumt er offen ein, konnte er nicht allzu viel anfangen mit Spezialbegriffen à la SGB II, dem Hartz-IV-Gesetz. Inzwischen ist Reiter auf allen Themenfeldern der Kommunalpolitik sattelfest - auch außerhalb des Finanzbereichs, in dem er so viele Jahre gearbeitet hat.

Vorgedrängelt hat sich der neue SPD-Hoffnungsträger nicht. Wie schon 2008, als das Amt des Wirtschaftsreferenten neu besetzt werden musste, begann Reiters Kandidatur mit einer Anfrage des Oberbürgermeisters. Ob er sich wohl vorstellen könne, in den (anfangs noch ziemlich umfangreichen) Kreis der Wunschnachfolger aufgenommen zu werden? Reiter wollte. Die Zusage gab er allerdings erst 14 Tage später, nach intensiven Gesprächen mit der Familie. Oberbürgermeister ist kein Feierabendjob, es gibt einiges zu klären, bevor man sich in den Ring traut.

"Äußerst ehrgeizig" - positiv wie negativ

Dennoch sollte man nicht vermuten, dass Reiter zu der Kandidatur überredet werden musste. Der SPD-Politiker bezeichnet sich auch selbst als äußerst ehrgeizig und hält das für eine sowohl positive als auch negative Eigenschaft. "Was ich mir vorgenommen habe, will ich auch erreichen." Aktuell ist das der Umzug vom Wirtschaftsreferat ins Rathaus: Zimmer 293, mit direktem Blick auf den Marienplatz.

Der Mann, der jetzt noch dort residiert, wird derweil in der Messestadt als Fotomodell zweckentfremdet. Die Münchner nehmen Abschied von Mister-67-Prozent: Gesicht danebenhalten, das Kind dazu und dann schnell auf den Auslöser. Mit Udes enormer Popularität kann Reiter noch nicht mithalten, auch wenn der Diplom-Verwaltungswirt im Laufe des Wahlkampfs deutlich zugelegt hat. Lange Zeit war das sein größtes Problem: Niemand kannte den Mann, der so plötzlich ins Rampenlicht strebte.

Der gebürtige Schwabe löste das Problem auf seine Weise: Er übernahm einfach die Rolle des Wiesn-Chefs und war von da an wohlgelaunt auf zahlreichen Fotos mit schönstem Oktoberfest-Hintergrund zu sehen. Beim Trachtenumzug fuhr er ganz vorne in einer Kutsche mit und sicherte sich damit nicht nur schöne Bildchen, sondern auch den Protest der politischen Gegner, die ihm Amtsanmaßung vorwarfen. Ein Jahr später zwang er die Wiesn-Wirte, weniger Tische zu reservieren - ein Schritt, der bei vielen Münchnern gut ankam, in der eigenen Partei aber höchst umstritten war. Damals brodelte es hinter den Mauern des Rathauses. Reiter setzte sich durch.

Ohnehin war es keineswegs vorgezeichnet, dass ausgerechnet Reiter der OB-Kandidat der SPD werden würde. Bei den Genossen ist Stallgeruch ganz wichtig, Präsenz auf Sommerfesten und in Hinterzimmern. Damit konnte Reiter anfangs nicht dienen. Als Ude 2.0 geht der neue Mann schon gar nicht durch. Der Sohn eines Verwaltungsangestellten hat einen völlig anderen Hintergrund als der Schwabinger Schöngeist Ude, dessen Vater Kulturredakteur war.

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Reiter, im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie nach München gezogen, betont gerne, aus einfachen Verhältnissen zu stammen. Eines von drei Kindern, zu sechst in einer kleinen Sendlinger Wohnung. 1981 machte er seinen Abschluss und schlug dann eine typische Beamtenlaufbahn ein. Fast 30 Jahre lang blieb er der Stadtkämmerei treu, erst als Büroleiter, dann als Pressesprecher, Amtsleiter und schließlich stellvertretender Behördenchef.

Bei den Kontakten mit gewählten Referenten und Stadträten wuchs die Lust, Prioritäten selbst setzen zu können, also von der Verwaltung in die Politik zu wechseln. Der erste Versuch scheiterte, war aber wohl auch nicht ganz ernst gemeint. 2008 kandidierte Reiter für den Gemeinderat seines damaligen Wohnorts Straßlach. Als Füllkandidat, wie er selbst sagt. Der SPD-Ortsverein bestand aus elf Mitgliedern, da kann man sich kaum drücken, wenn es darum geht, die Liste vollzukriegen.

Europapolitik, Tourismus und natürlich: die Wiesn

2009 trat der damals 50-Jährige seinen Job als Chef des Referats für Arbeit und Wirtschaft an, einer mit 200 Mitarbeitern eher kleinen Kommunalbehörde. Dafür aber einer mit einem immens breiten Aufgabengebiet. So viel ist sonst in keinem Referat geparkt, schwärmt er. Es gibt intensive Kontakte mit der Wirtschaft, es geht um Europapolitik, Tourismus und natürlich die Wiesn, die eigentlich das ganze Jahr über Thema ist. Und es gibt ein Telefon, an dem Christian Ude anrufen kann, wenn er vor der Altersgrenze steht.

Reiter und seine Frau Petra, mit der er seit 25 Jahren zusammen ist, haben ihren Haushalt inzwischen nach München zurückverlegt. Nach Sendling, wo sich beide zu Hause fühlen. Das Paar hat drei erwachsene Kinder - als Patchwork-Familie, beide haben ihren Nachwuchs schon in die Ehe mitgebracht. Dazu gibt es ein Zwillingsenkelpaar.

Mit dem Umzug nach München hat sich das Leben der Reiters sehr verändert - und das liegt nicht nur am kräftezehrenden Wahlkampf, der dem Wirtschaftsreferenten nach eigener Auskunft einen 14-Stunden-Tag in einer Sieben-Tage-Woche abverlangt. Anders als in Straßlach funktioniert der Alltag nun auch ohne Auto. Der Fuhrpark ist auf einen gemeinsamen Kleinwagen zusammengeschrumpft, die Wege sind kürzer geworden, das Einkaufen bequemer. Dafür muss man in einer Etagenwohnung mehr Rücksicht auf die Nachbarn nehmen. Reiter spielt gerne laut Gitarre, er verehrt Mark Knopfler von den Dire Straits und klampft zusammen mit dem grünen Bürgermeister Hep Monatzeder in der Band "Next Generation". Wenn er Zeit dafür hat.

Anders als der Mykonos-Fan Ude ist Reiter ein Nord-Typ: Sein bevorzugtes Urlaubsziel ist Skandinavien. Der SPD-Mann interessiert sich für schwedische Krimis ebenso wie für die Architektur in Hamburg. Die Hafenstadt an der Elbe habe Flair, findet Reiter, der sich durchaus ein Leben dort vorstellen könnte. "Wenn ich nicht überzeugter München-Fan wäre."

Kommt der Kandidat einmal ins lockere Erzählen, kann man sich auf viel Spaß gefasst machen. Selbst CSU-Gegner Josef Schmid betont die "nette Art" Reiters, der auch auf der Straße leutselig und offen rüberkommt. Der SPD-Politiker hat keinerlei Scheu, auf Leute zuzugehen, er argumentiert eloquent und mit Witz.

Sein Thema: bezahlbarer Wohnraum

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"Ich bin sehr geerdet, sehr bodenständig", sagt Reiter über sich selbst. Was wichtig sei, weil "auch nach der achten Feier im Rathaus mit Häppchen klar sein muss, dass es auch eine andere Seite gibt in dieser Stadt". Der Erhalt des sozialen Friedens zählt für Reiter zu den wichtigsten politischen Zielen. Dazu zählt vor allem: ein ausreichendes Angebot an bezahlbarem Wohnraum. Was sowohl verstärkten Mieterschutz als auch forcierten Neubau bedeutet.

Das ist es auch, was Reiter mit seinem viel belächelten Motto "Damit München München bleibt" aussagen will: Man muss die Ärmel hochkrempeln, damit die soziale Balance und natürlich auch das Flair der Stadt erhalten bleiben. Bei der politischen Konkurrenz wird der Satz als Bekenntnis zum Stillstand interpretiert. Als Beweis, dass der SPD-Mann keinerlei Vorstellung hat, in welche Richtung er die Stadt nach der langen Ude-Ära führen will. Reiter fühlt sich bei derlei Kritik missverstanden. Als einziger der aussichtsreichen OB-Kandidaten hat er, ganz staatsmännisch, ein 100-Tage-Programm für die Zeit nach der Wahl vorgestellt. Ideen- und Tatenlosigkeit will er sich nicht vorwerfen lassen.

Zu seinen negativen Eigenschaften zählt Reiter Ungeduld. Tatsächlich ist nicht zu übersehen, wenn es ihm zu viel wird - weil nichts vorangeht, der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht oder er sich in die Enge gedrängt fühlt. Dann kann Reiter auch mal knatschig werden. Als er im Frühjahr 2013 wegen seiner Reise zum Londoner Champions-League-Finale in die Kritik geriet, reagierte er uneinsichtig und wortkarg. Rechtswidrig war die vom FC Bayern gesponserte Tour nicht, aber sie offenbarte ein Defizit beim politischen Fingerspitzengefühl. Wie viel Nähe darf man haben zum großen Geld? Das ist nicht nur für einen Wirtschaftsreferenten eine Gratwanderung, sondern auch für einen Oberbürgermeister.

Manchmal dringt im Gespräch etwas durch, was Reiter gar nicht so meint: Als ihm Ende Januar bei einer Wahlkampfveranstaltung am Partnachplatz eine Bürgerin ihr Leid klagte, wechselte sein Tonfall irgendwann ins Heitere, leicht Ironische. Das lockert ein Gespräch auf, zweifellos. Aber man kann es missverstehen. Die Frau jedenfalls fühlte sich nicht ernst genommen und ließ das auch durchblicken. Dennoch sind die persönlichen Kontakte Reiters große Stärke.

Sein Wahlkampf ist ganz bewusst darauf zugeschnitten: Neben den obligatorischen Podiumsdiskussionen tourt der Kandidat mit einer Art lockeren Talkshow durch die Stadtviertel - samt Würstlbude, wenn der Platz ausreicht. Da bleibt immer Zeit für ein Schwätzchen mit den Umstehenden. Sollte er OB werden, will Reiter eine regelmäßige Bürgersprechstunde einführen. So wie es einst Thomas Wimmer tat.

© SZ vom 01.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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