Chöre in München:Töne treffen ist manchmal Nebensache

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Gurgeln mit Wasser, singen mit Bier: der Münchner Kneipenchor. (Foto: Christian Hilden)

In dieser Stadt gibt es Chöre für jeden Geschmack und jedes musikalische Können. Der eine tritt auch mal im Schwimmbecken auf, der andere lässt keine Männer zu. Doch eines eint sie: Singen verbindet. Vier Beispiele.

Von Sabine Buchwald und Stefanie Witterauf

Münchner Kneipenchor

"Singen und trinken, trinken und singen" - das ist das Konzept des Münchner Kneipenchors. Die Proben finden in einer Gaststätte statt, und bei den Auftritten gehören eine Flasche Bier sowie eine Jogginghose und ein weißes Feinripp-Shirt zum Outfit. "Wir sind ein geselliger Verein", sagt Vorständin Sanna Bogner. Seinen Ursprung hat der Chor in einem Facebook-Post von Lisa Reuter und Mona Walch. Sie haben 2013 einen Aufruf gepostet: "München braucht einen Kneipenchor." Rasant hat sich so eine Gruppe von Amateursängerinnen und Sängern gefunden. Der Andrang war so hoch, dass nicht alle aufgenommen werden konnten und es bis heute eine lange Warteliste sowie ein strenges Vorsingen gibt. Mittlerweile hat der Chor mehr als 60 Mitglieder, die Hälfte Frauen, die Hälfte Männer.

Musikalisches Talent und Textsicherheit sind nicht die einzigen Voraussetzungen. "Es erfordert auch ein hohes Maß an Engagement", sagt Bogner. "Es ist ein zeitaufwendiges Hobby." Jeden Donnerstag probt der Chor Songs von Britney Spears, Rage Against the Machine oder Nirvana in einer geheimen Kneipe. Dort wird nach dem Singen noch ein Bier getrunken und geratscht. Freundschaften haben sich so entwickelt, manche haben sich sogar ineinander verliebt. Auftritte hatte der von Linus Mödl geleitete Chor schon auf dem Oktoberfest, beim eigenen Jubiläumsfestival im Backstage Club und im Müllerschen Volksbad. "Da haben wir Wasser in den Mund genommen und gegurgelt", sagt Bogner. Bei einer Mini-Tournee in die Schweiz haben sie in Basel mit einem Chor gesungen, der dasselbe Konzept hat. "Allerdings heißt er dort Beizenchor."

Weitere Informationen: www.muenchnerkneipenchor.de

Witches of Westend

Die Witches of Westend beim Brecht-Festival in Augsburg 2023. (Foto: Bruno Tenschert)

"Wir verstehen uns als feministisch denkender Chor", sagt Pola Dobler. Die 37-Jährige ist Gründerin und Leiterin der "Witches of Westend", "Hexen aus dem Westend", eines Chores, in dem nur Frauen singen. "Ich entstamme einer musikalischen Familie. Vor allem meine Mutter und meine Oma haben mich geprägt", sagt sie. Schon in der Schule, einem musischen Gymnasium, war Dobler im Chor. Es blieb jedoch nur ein Hobby. Zu ihrem Beruf wollte sie die Musik nicht machen, weil sie Angst hatte, ihre Leidenschaft dafür zu verlieren.

Die Idee für einen reinen Frauenchor kam der Münchnerin 2013, als sie vom Studium der Europäischen Ethnologie in Berlin in ihre Heimatstadt zurückgekommen ist. "Ich hatte das Gefühl, dass bei Frauen das Singen oft mit Scham und Angst besetzt ist", sagt Dobler. "Deswegen wollte ich einen sicheren Raum schaffen, in dem sich getraut wird, in dem sich nicht geniert wird, bei dem man sicher ist, dass man nicht ausgelacht wird. Ein Ort, an dem Vorurteile bekämpft werden."

Die ersten Proben fanden in ihrem ehemaligen WG-Zimmer im Dreimühlenviertel statt. Ihre Freundinnen brachten andere Freundinnen mit, sie tranken Prosecco, rauchten Zigaretten und sangen Lieder, die Dobler ausgesucht hatte. Doch diese waren zu schwierig, denn die meisten waren Anfängerinnen und hatten keine Chorerfahrung. "Ein dreistimmiges Stück war zu ambitioniert, und auch ich musste erst in die Rolle der Chorleiterin hineinwachsen", sagt Dobler. Sie wählt Songs von Frauen aus, mit feministischen Texten, arrangiert Stücke von den Beatles oder den Düsseldorf Düsterboys und komponiert eigene Lieder.

Nach ihrem Umzug ins Westend probten die mittlerweile 17 Frauen in ihrem Wohnzimmer unter einem neuen Namen, "Witches", "Hexen". "Es ist ein feministisches Symbol, unsere Texte sind oft politisch und wir sind zu einem Netzwerk geworden, das sich über das Singen hinaus unterstützt", sagt Dobler. Bei ihren Auftritten etwa im Kunstraum Lothringer 13, in der Walpurgisnacht oder beim Brecht-Festival in Augsburg tragen sie oft Outfits mit Farbkonzept, etwa Kleidung in Flieder oder bestimmte Kombinationen, wie gelbe Hose und blaue Bluse. "Manchmal haben wir Blicklichter an den Augen", sagt Dobler. Die leuchtenden Lampen sollen auch für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Musik stehen. Einmal haben sie das Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung umgedichtet zu "Hexen aller Länder vereinigt euch."

www.instagram.com/mystic_choir_kollektiv/?hl=de

Frida & Kurt

Frida & Kurt ist ein städtisches Projekt und richtet sich vorwiegend an ältere Menschen. (Foto: Kulturreferat München)

"Die wertvollsten Augenblicke sind die Momente, in denen die Gruppe selbst ins Tun kommt", sagt Philip Lipsky über das Singprojekt "Frida & Kurt". Er meint jene Stunden, in denen die Teilnehmer lebhaft diskutieren - über das, was sie singen wollen oder was jemand eben nicht mehr anstimmen möchte, weil es ihr oder ihm unzeitgemäß vorkommt. Das können Lieder sein, die an politisch dunkle Zeiten dieses Landes erinnern, erzählt Lipsky, oder aus feministischer Sicht heute nicht mehr richtig klingen. Die Schnulze "Aber dich gibt's nur einmal für mich" sei so ein Beispiel. In den Sechzigerjahren, damals von den Nilsen Brothers mit rollendem R performt, stieß sich noch niemand an solchen Zeilen: "Schon der Gedanke, dass ich dich einmal verlieren könnt / dass dich ein andrer Mann einmal sein eigen nennt." Heute aber, so kritisierte eine Dame, gehe es nicht mehr, "Eigentum eines Mannes zu sein". Lipsky findet es gut, wenn die Teilnehmer sich solche Gedanken machen. Er möchte, dass sie über das gemeinsame Singen hinaus in Kontakt kommen.

"Frida & Kurt" ist ein Projekt des Münchner Kulturreferats und explizit als "partizipatorische Singstunde" gedacht. Es soll vorwiegend ältere Menschen ansprechen, deshalb wird für alle, die sich nicht allein auf den Weg machen können, ein kostenloser Transportservice angeboten. Aber auch junge Leute seien herzlich willkommen, betont Lipsky und erwähnt eine Mutter, die immer wieder mit ihrem kleinen Kind für Freude bei den anderen sorgt. Seit Sommer 2019 finden die Singstunden regelmäßig in den Stadtteilen Berg am Laim, Giesing und Sendling statt. Neben Lipsky leiten auch Veronika Lindner und Constanze Weiß die Stunden. Mal versammeln sich nur fünf, mal bis zu 25 Leute. Die Singleiter können nie sicher sein, wie die Stunde genau abläuft.

Lipsky ist ausgebildeter Musiktherapeut und arbeitet in einer geriatrischen Einrichtung. Ihm liege der Umgang mit älteren Menschen, sagt er. Außer einem Begrüßungslied und zwei festen Songs zum Abschied gebe er selten vor, was gesungen wird. Die Vorschläge kommen aus der Runde, er kennt sie in der Regel und begleitet an Gitarre oder Klavier. Viele Volkslieder wie "Im Frühtau zu Berge", aber auch der Dietrich-Hit "Lili Marleen", Lieder von Caterina Valente und Freddy Quinn seien gefragt. "Ich habe nicht den Anspruch, dass alle mitsingen können", sagt Lipsky. Das Beisammensein und das Erinnern stehen im Vordergrund. "Aber es ist überraschend, wie textsicher die alten Leute sind."

Weitere Informationen: www.volkskultur-muenchen.de

Go Sing Choir

Chorleiter Jens Junker (links) und Gitarrist Ian Chapman schaffen es doch tatsächlich, dass man sich fühlt wie eine Rock-Röhre. (Foto: Pius Neumeier)

Es ist ein Gefühl zwischen Versagensangst und Größenwahn, wenn man in der Menschenmasse steht und zu Jens Junker blickt. Er gibt einem die Chance zum Einsingen, und man hört peinlich berührt die eigene, völlig ungeübte Stimme quietschen neben dem selbstbewussten Tenor, der einem ins rechte Ohr schmettert. Doch auch Lachen lockert die Gesichtsmuskeln, und so gewinnen die Töne nicht nur ringsherum an Format, sondern auch in der eigenen Kehle. Junker ist der bestaunenswerte Leiter des Go Sing Choir, der das schnell im Voraus ausgebuchte Großereignis steuert. Es sind Popsongs wie "Here Comes the Sun" von den Beatles oder "Creep" von Radiohead, die Junker arrangiert, das heißt mit vielen Hundert Leuten singbar macht. An seiner Seite hat der HFF-Absolvent den Gitarristen Ian Chapman, ansonsten nur sein offenbar grandioses Gehör und seine Geduld, in zwei Stunden ein passables Resultat mit einer immer wieder neu gemischten Gruppe zu erzeugen.

Der Chor ist einmal im Monat im Strom an der Lindwurmstraße zu Gast, das Ticket kostet dort 15 Euro. Jedes Event wird auf Video aufgezeichnet und veröffentlicht. Ebenso sind Junker und Chapman auf Tollwood oder dem Ander Art Festival, die das Interkulturelle betonende Alternativ-Veranstaltung zur (ebenfalls interkulturellen) Wiesn dabei. Dort wird auf dem Odeonsplatz gegen das viertelstündlich schlagende Geläut der Theatinerkirche angesungen. 2023 gelang das mit Tina Turners ziemlich anspruchsvollem Song "We don't need another hero". Der finale Durchlauf war derart erhebend, dass man sich aus vollem Hals röhrend selbstverliebt wie eine Rock-Königin empfand.

Weitere Informationen: www.gosingchoir.de

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