Verkehr im München der Zukunft:Gefangen in der Wendeschleife

Lesezeit: 6 min

Mehr Rad und Nahverkehr, weniger Autos: Grün-Rot will die Mobilität in München grundlegend verändern. Doch wie? Noch immer fehlt es an Geld, an konkreten Konzepten und manchmal auch am richtigen Ton.

Von Heiner Effern

Wenn sich Menschen von etwas trennen sollen, das sie lieben, schätzen oder auch nur viele Jahre oder Jahrzehnte gewohnt sind, dann tut das weh. Es braucht viel Überzeugungskraft, zur Not auch etwas Druck, um sie dazu zu bewegen. Auch wenn es rational sehr gute Gründe gibt. Die Koalition aus Grünen und SPD will den Münchnerinnen und Münchnern einen solchen Schmerz bereiten. Sie sollen auf das eigene Auto verzichten, auf das Gefühl, jederzeit den Schlüssel nehmen zu können, einzusteigen und loszufahren. Wann und wohin auch immer. Dieser Verzicht auf eine zumindest gefühlte persönliche Freiheit, oder auch Bequemlichkeit, nennt sich in der Politik Verkehrswende.

Eine deutliche Mehrheit des Stadtrats peilt diese an, die einen radikal, die anderen eher sanft, die meisten schnell. Dafür gibt es gute Gründe. Doch wie, wann und ob die Wende überhaupt gelingt, ist auch gut ein Jahr nach dem Regierungswechsel im Rathaus offen. Nur eines zeichnet sich sehr konkret ab: Schnell wird nichts gehen.

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Der Stadtentwicklungsplan soll bis 2040 festlegen, wo noch gebaut werden kann und wo neue Parks entstehen müssen. Ziel ist es, die Altstadt so schnell wie möglich weitgehend autofrei werden zu lassen.

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Es fehlt ein Gesamtkonzept, es fehlt das Geld, es fehlt die Kapazität in den öffentlichen Verkehrsmitteln, es fehlen die nötigen Druckmittel, es fehlt in weiten Teilen auch noch die Bereitschaft der Menschen. Gerade beim letzten, wichtigen Manko fehlt auch eine geschickte, psychologische Strategie der grün-roten Stadtpolitik. Die Verkehrswende ist kein Projekt einer in München sehr aufgeregten Fahrradlobby, sie bedeutet einen fundamentalen gesellschaftlichen Umbruch. Den befürworten viele Münchnerinnen und Münchner auch grundsätzlich, sonst hätten sie nicht Schwarz-Rot abgewählt und die Grünen zur stärksten Fraktion im Rathaus gemacht. Aber wenn ein solch schmerzhafter Umbruch im eigenen Alltag anklopft und hereindrängt, merken viele, dass er schon noch draußen warten könnte. Oder vielleicht mal beim Nachbarn anfangen.

Natürlich gibt es auch die Münchner, die voller Elan und Freude ihre persönliche Verkehrswende vollziehen oder gar keine nötig haben, weil sie aus Überzeugung ein Leben führen ohne Auto und mit sauberen Verkehrsmitteln. Es wächst auch eine Generation nach, in der Führerschein und eigenes Fahrzeug nicht mehr so wichtig sind. So manche Politiker unterstellen jedoch gerne, das Gefühl des Verlusts oder des Verzichts gebe es nur im Tunnel-Blick der Autolobby oder von CSU und FDP. Dabei reicht ein nüchterner Blick in die Statistik, um zu erkennen, wie groß die Aufgabe einer Verkehrswende ist.

Im Jahr 2020, als München sich die ökologische Wende ins Rathaus gewählt hat, stieg laut der Datenbank Statista die Zahl der Personenwagen in der Stadt auf 740 244. Der leichte Anstieg über Jahre hinweg entspricht ungefähr dem Bevölkerungszuwachs, man kann also nicht von einem Kaufrausch bei Benzinern oder Diesel sprechen. Eines lässt sich jedoch ableiten: Kaum jemand war 2020 bereit, auf sein eigenes Fahrzeug zu verzichten. Die letzten verlässlichen Zahlen zur Aufteilung des Münchner Verkehrs wurden 2019 nach einer Umfrage des Bundes veröffentlicht. Ein Drittel der Wege in München wurde demzufolge mit dem Auto zurückgelegt, Tendenz leicht sinkend. Radverkehr und öffentlicher Verkehr nahmen zu. Betrachtete man jedoch die zurückgelegten Kilometer in der Stadt, insgesamt sind es pro Tag etwa 60 Millionen, dann liegt der Anteil des Autos noch bei über 50 Prozent.

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Obwohl viele der Münchnerinnen und Münchner wissen, dass Prognosen ihre Stadt im Jahr 2030 im Dauerstau sehen. Obwohl sie wissen, dass die Luft sauberer werden muss. Obwohl sie vielleicht die neue Aufteilung des Straßenraums mit mehr Radwegen oder auch Schanigärten auf Parkplätzen genießen.

Die Politik sollte also über einen sehr ausgeklügelten Plan verfügen, wenn sie (schnell) vorankommen will. Vor Kurzem stellte der neue Mobilitätsreferent Georg Dunkel im Stadtrat die neue Mobilitätsstrategie 2035 vor. Da machte sich mancher Hoffnung, dass nun der große Wurf kommt. Doch nach der Lektüre muss man ernüchtert feststellen, dass Dunkel lediglich den Entwurf für den theoretischen Unterbau präsentierte, wie sich Verkehrsplaner die Wende vorstellen. Die Mobilitätsstrategie wird dabei in 19 (!) noch auszuarbeitende Teilstrategien unterteilt, die wiederum in fünf Clustern zusammengefasst werden. Man merkt schnell: Hier beginnt jemand ganz grundsätzlich. Und man ahnt: Schnell wird es nicht gehen. Der theoretische Unterbau soll erst im zweiten Halbjahr 2022 fertig werden.

Allerdings wird sehr mutig das Ziel des Bürgerentscheids "Sauber sog i" aus dem Jahr 2017 übernommen: Bis 2025 sollen "mindestens 80 Prozent des Verkehrs auf Münchner Stadtgebiet durch abgasfreie Kraftfahrzeuge, den öffentlichen Personennahverkehr sowie Fuß- und Radverkehr" erfolgen. Dafür müsste die Stadtpolitik nach derzeitigem Stand wohl keine Verkehrswende, sondern ein Verkehrswunder hinbekommen.

Aber wie will die Koalition die Menschen dazu bringen, ihr Leben in so einem wichtigen Bereich wie der Mobilität umzukrempeln? Und das am besten von jetzt auf gleich? Mit Zuckerbrot und Peitsche.

Das Problem der Stadt liegt darin, dass sie bis jetzt weder genug Zucker bieten noch eine wirklich effektive Peitsche schwingen kann. Wie beides aussehen könnte, das weiß sie aber schon: Sie muss die Menschen locken mit einem günstigen, zuverlässigen, komfortablen flächendeckenden Nahverkehr, sie muss Radwege ausbauen und den Fußgängern mehr bieten. Als Druckmittel sind deutlich höhere Parkgebühren im Gespräch, auch für Anwohner, oder eine City-Maut. Für beides fehlen aber noch die rechtlichen Voraussetzungen von Bund und Land. Doch wenigstens hier könnte sich etwas tun: Beim Parken könnte der Freistaat im Herbst die Vorgaben so ändern, dass spürbare Steigerungen möglich sind. Und im Bund könnte sich bei einem Regierungswechsel im Herbst mit Beteiligung der Grünen auch einiges ändern.

Das könnte auch ein weiteres Hemmnis aus Berlin zumindest verringern, das sich fatal auf die Verkehrswende auswirkt: die chronische Unterfinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs. Dieser wird und muss das Rückgrat jeder Verkehrswende sein, darin sind sich auch die im Stadtrat durchaus vorhandenen versierten Verkehrsexperten einig. Doch die Perspektive in den nächsten fünf bis zehn Jahren ist düster. Es fehlt nicht nur das Geld, noch einmal dramatisch mehr durch die Corona-Krise, es mangelt auch an weit fortgeschrittenen, wirklich effektiven Ausbauprojekten.

Bis Ablauf dieser Legislaturperiode im Jahr 2026 dürfte nur eine einzige neue Tramlinie in Betrieb gehen (Westtangente). Der Stadtrat wünscht sich zwar ein ganzes Netz von weiteren neuen Linien, aber die schwirren noch durch die Luft wie eine Fata Morgana. Beim Ausbau der U-Bahn läuft es noch bitterer. Weil über Jahrzehnte kaum geplant und gebaut wurde, dürfte es noch bis weit in die 2030er Jahre dauern, bis eine spürbare Entlastung des Netzes gelingen könnte. Die Fertigstellung der zweiten Stammstrecke der S-Bahn, die von den Grünen ohnehin als nutzlos bezeichnet wird, nähert sich aufgrund von Umplanungen und Bauverzögerungen auch dem nächsten Jahrzehnt. Was als einzige schnelle Möglichkeit bliebe, wäre ein großflächiger Ausbau des Busnetzes. Ein paar Extra-Spuren für kürzere Fahrzeiten sind auf den Weg gebracht, doch beim Ausblick der Münchner Verkehrsgesellschaft auf das Programm 2022 hielten sich Ausbau und Streichen in etwa die Waage.

Wie wenig die grün-rote Koalition selbst an einen schnellen Ausbau der Kapazitäten glaubt, musste sie im Stadtrat widerwillig einräumen. Die Opposition beantragte, bis spätestens 2023 ein 365-Euro-Tickt für alle Münchner Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs einzuführen, um einen Anreiz für den Umstieg zu setzen. Obwohl Grüne und Sozialdemokraten diese Idee grundsätzlich auch gut finden, mussten sie diese ablehnen. Sie können weder die Kosten bezahlen noch die nötige Kapazität in Bahnen und Bussen bereitstellen.

Für diese dürren Aussichten beginnen insbesondere Teile der Grünen und auch die Fahrradlobby schon ziemlich offensiv, bei den Autofahrern die Psycho-Peitsche zu schwingen. Folgt man den Beiträgen in sozialen Medien und teilweise auch im Stadtrat, bekommt man schon ein schlechtes Gewissen, wenn man zum Wertstoffhof mit dem Auto fährt. Dazu werden zurückgebaute oder in Wirtsterrassen umgewandelte Parkplätze regelrecht bejubelt.

Dass auch ihre eigene Wählerklientel, die in Teilen sicher noch ein eigenes Auto besitzt und nutzt, beim Parkplatz-Kreiseln durchs Viertel die Luft verpestet und Frust aufbaut, scheint angesichts der noch langen Zeit bis zur nächsten Kommunalwahl nicht angekommen zu sein. Es war zwar auch persönlichen Animositäten in der Koalition geschuldet, als aus SPD-Fraktionschef Christian Müller im Februar der Vorwurf herausbrach, dass bei den Grünen der "blinde Autohass" regiert. Doch ganz ohne Grund kam es dazu nicht.

Die Verkehrswende wird nur gelingen, wenn man auch Menschen einbezieht, die weiter ein Auto besitzen wollen, auch wenn sie bei genauem Hinschauen natürlich einräumen müssen, dass es viel teurer ist, als es oberflächlich wirkt. Car-Sharing funktioniert bisher nur bedingt, und Elektro-Autos, die bisher keine wesentliche Rolle spielen, werden zwar beim Fahren keine Abgase ausstoßen, aber trotzdem Fahrbahnen und Parkplätze benötigen. Und es gibt tatsächlich viele Münchner Autobesitzer, die schon jetzt viele und künftig eventuell noch mehr Wege mit dem Rad, zu Fuß oder mit Bus und Bahn zurücklegen und so ihren Teil zur Verkehrswende beitragen. Auch wenn diese Spezies nicht so gut gelitten ist, sie bildet einen großen Teil der Bevölkerung, und weder sie noch ihre Fahrzeuge werden durch harsche Kritik oder Kopf-in-den-Sand-Stecken so schnell verschwinden. Anwohner-Tiefgaragen in Neubauvierteln werden als Angebot nicht reichen.

Die Münchner wollen auch gerne mehr und sicherer radeln, das haben sie mit dem Radentscheid nachdrücklich hinterlegt. Doch das gilt vor allem bei Sonnenschein. Wer mal an einem regnerischen Dezembermorgen in die Arbeit gefahren ist, registriert sofort, wie einsam es auf Radwegen werden kann. Ohne einen besser ausgebauten öffentlichen Nahverkehr geht nichts. Und nach der Pandemie weiß man nicht einmal mehr, ob der viel bringen würde. Niemand kann sagen, ob die Münchnerinnen und Münchner sowie die Pendler aus dem Umland sich jemals wieder so dicht gedrängt in S-Bahnen und U-Bahnen quetschen wie vor der Corona-Krise.

Die Verkehrswende wird sich also noch länger dahinschleppen, als sich viele erhoffen und manche auch glauben machen. Damit die vielen Menschen, die dazu bereit, aber keine Überzeugungstäter sind, auf dem Weg nicht vollends den Mut und die Lust verlieren, wäre ein bisschen weniger Psychopeitsche und ein bisschen mehr Einfühlungsvermögen schon mal ein guter Anfang.

© SZ vom 26.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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