Neues Wohnviertel im Nordosten:Ein Tunnel, auf den man verzichten kann?

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Die Bahn ist im Weg: Die Trasse zwischen Daglfing und Johanneskirchen trennt das geplante neue Wohngebiet vom Rest der Stadt. Jetzt soll die Strecke auf vier Gleise ausgebaut werden. (Foto: Florian Peljak)

Die Voraussetzung für den Bau eines neuen Stadtteils im Nordosten von Bogenhausen war lange Jahre ein Tunnel, in dem die Bahngleise zwischen Daglfing und Johanneskirchen verschwinden sollten. Nun deuten die Stadtplaner eine Kehrtwende an.

Von Ulrike Steinbacher

Zehn Jahre lang schwor der Stadtrat Stein und Bein, dass die Grundvoraussetzung für den Bau eines neuen Stadtteils im Nordosten von Bogenhausen ein Tunnel ist, in dem die Bahngleise zwischen Daglfing und Johanneskirchen verschwinden müssen. Unverzichtbar, hieß es. Nicht verhandelbar. Wenn die Bahn darauf beharre, die Strecke ebenerdig von zwei auf vier Gleise zu erweitern, werde man notfalls klagen, schon zum Schutz der Anwohner.

Inzwischen sind aus der Verwaltung etwas andere Töne zu hören: "Aus rein verkehrlicher Sicht", schreibt das Planungsreferat in einem undatierten Beschlussentwurf, sei der Bahntunnel "keine Bedingung für die gesicherte Erschließung und den baulichen Start der Entwicklung im Nordosten". Im Klartext: Anfangen kann man schon mal, auch wenn die Züge oberirdisch rollen. Das birgt die Gefahr, dass aus der Zwischenlösung am Ende ein Dauerzustand wird. Statt eines lebendigen Wohnquartiers entstünde dann eine Art Exklave jenseits der Schienen, isoliert in Insellage am Stadtrand.

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Die Argumente für die Kehrtwende der Verwaltung liefert der Entwurf, mit dem das Büro Rheinflügel Severin und BBZ Landschaftsarchitekten den Ideenwettbewerb für das Projekt gewonnen haben. Die Architekten schlagen vor, auf den knapp 600 Hektar nach und nach einzelne Stadtbausteine zu setzen, angefangen mit Teilabschnitt A, einem etwa 130 Hektar großen Areal nördlich von Daglfing und westlich des Hüllgrabens, dessen heute überwiegend landwirtschaftlich genutzte Flächen schon größtenteils der Stadt gehören. Dichte Bebauung und ein Badesee sind dort geplant. Danach könnten schrittweise bis zu sieben weitere Module entstehen, je nachdem, wie viele Menschen einmal in dem Viertel leben sollen - 30 000, wenn es nach dem Planungsreferat geht, maximal 10 000, wenn sich die Anwohner durchsetzen.

U4 und Tram-Linien sollen verlängert werden

Ein kompaktes erstes Baugebiet mit guten öffentlichen Verkehrsverbindungen in die Stadt - geplant ist die Verlängerung der U-Bahn-Linie 4 vom Arabellapark und der Trambahnlinien 17 von Oberföhring im Norden und 19 von Berg am Laim Bahnhof im Süden: Damit ließe sich die Stadterweiterung nach Ansicht des Planungsreferats vom Bahntunnel entkoppeln, zumindest für den Anfang. Das große Problem des Projekts ist nämlich die Verkehrsanbindung an die Kernstadt: Die Bahnstrecke liegt als Hindernis im Weg. Der Tunnel sei da "ausdrücklich die von der Landeshauptstadt München erbetene Lösung", für die man sich auch weiterhin einsetze, betont das Referat. Die Idee der Architekten "rechtfertigt aber eine städtebauliche Entwicklung, die zeitlich weitgehend unabhängig" vom Tunnelbau starten könnte.

Denn offen ist auch, wann was gebaut wird: Erstes Baurecht für das Wohnviertel wird es wohl frühestens 2025 geben, danach entstehen sukzessive die Module, etwa 20 Jahre lang. Der Baubeginn für den Tunnel aber, wenn die Stadt ihn überhaupt durchsetzen kann, lässt sich noch nicht absehen, die Bauzeit wird auf zwölf Jahre geschätzt. Und die Mehrkosten von 1,5 Milliarden Euro müsste München nach gegenwärtigem Stand allein zahlen.

Dass aus der Zwischenlösung ohne Bahntunnel auch ein Dauerzustand werden könnte, lässt sich an den Ideen zum Straßennetz ablesen. Die Haupterschließung soll von Süden nach Norden verlaufen, im Süden über Landshamer und Riemer Straße zur Passauer Autobahn (A 94) führen und im Norden über die Kreisstraße M 3 an den Autobahnring (A 99) anschließen. Bestehende Wohnviertel sollen möglichst wenig belastet werden, teilt ein Sprecher des Planungsreferats mit. Nach Westen, also Richtung Zentrum, ist daher nur noch von einer "ergänzenden Anbindung" die Rede, sprich Autounterführungen unter der Bahntrasse.

Die Straßen sind jetzt schon voll

Zwei davon gibt es schon, an Stegmühl- und Johanneskirchner Straße, sie müssten ausgebaut und verlängert werden, wenn die Bahnstrecke am Ende doch nicht unter die Erde käme. Zwei weitere könnten die beschrankten Bahnübergänge an Daglfinger und Brodersenstraße ersetzen, schon wäre die "ergänzende Anbindung" nach Westen fertig, zugleich aber dieses neue Viertel mit bis zu 30 000 Bewohnern vom städtischen Straßennetz weitgehend abgehängt.

Autofahrten werden aber anfallen im Quartier, auch wenn U- und Trambahn in kurzen Abständen verkehren. Im gerade fertiggestellten, ebenfalls autoarmen Prinz-Eugen-Park in Oberföhring mit 4500 Bewohnern sprechen die Koordinatoren von gut 4000 Fahrten pro Tag - trotz Straßenbahn-Anbindung und Mobilitätskonzept. Hochgerechnet käme man damit für das neue Stadtviertel je nach Bewohnerzahl auf 9000 bis 26 000 Autofahrten pro Tag.

Die Straßen, die diesen Verkehr aufnehmen sollen, sind schon heute voll, Staus im Berufsverkehr die Regel. Auf der Kreisstraße M 3 - dem Anschluss nach Norden - sind laut Landratsamt München pro Tag etwa 20 000 Fahrzeuge unterwegs. Wegen ihrer überörtlichen Funktion wird sie 2022 sogar zur Staatsstraße hochgestuft. Und auf der A94 im Süden wurden 2015, dem letzten Jahr, für das offizielle Zahlen vorliegen, zwischen Steinhausen und Riem täglich etwa 62 000 Fahrzeuge gezählt, ein Durchschnittswert, der nach den Daten der Dauerzählstelle in Riem erst im Corona-Jahr 2020 deutlich sank.

Das Planungsreferat nennt noch keine Zahlen. Erst einmal liefen jetzt vorbereitende Untersuchungen. Später werde es ein Verkehrsgutachten geben, "aus dem dann auch Verkehrszahlen und weitere Details hervorgehen werden".

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