Verein VfBB:Sules neue Hände

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Als Sule drei Jahre ist, verbrennen seine Finger und Hände zu Klumpen. Jetzt hat der heute 16-Jährige neue Hände und Finger. Der Chirurg Milomir Ninkovic hat die Operationen durchgeführt. (Foto: Robert Haas)

Als Sule drei Jahre alt ist, zerrt seine Tante ihn zur Strafe ins Feuer. Seine Hände verschmoren. Nun hat der Ghanaer neue Finger. Milomir Ninkovic hat ihn operiert, ohne einen Cent zu verlangen. Wie ein Verein Kindern mit schweren Brandverletzungen hilft.

Von Nicole Graner

Er fährt einem mitten ins Herz. Der Schmerz, den man sofort empfindet, wenn man das Foto des fünfjährigen Sule Dramani anschaut und in seine tiefbraunen Augen blickt. Er hat seine Unterarme nach oben gestreckt und seine Hände. Hände, die aussehen wie kleine, geballte Fäuste. Nur, dass man die Finger nicht erkennen kann. Keinen Daumen, keine Glieder, keinen Fingernagel. Über alles spannt sich dunkle, brüchige Haut. Verbrannte Haut.

Zwei Jahre zuvor: Sule ist drei Jahre alt, er lebt in Ghana. Seine Familie ist arm, gekocht wird am offenen Feuer. Der kleine Junge soll für die Familie Kohle kaufen gehen. Unterwegs verliert er das bisschen Geld, das ihm seine Tante gegeben hat. Er kommt nach Hause zurück. Ohne Kohle und ohne Geld. Seine Tante zerrt Sules Unterarme und Hände zur Strafe ins Feuer. Sie verschmoren.

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Sule muss starke Schmerzen gehabt haben. Körperliche und seelische. Zum Glück gelangt er zwei Jahre später in das orthopädische Trainingscenter (OTC) in Nsawam. Und begegnet Schwester Elis. Die 83-Jährige gehört zur Kongregation der Armen Schulschwestern, lebt seit 29 Jahren in Ghana und arbeitet im OTC. Sie sieht die Hände von Sule und weiß, dass er schnell Hilfe braucht. "Ich dachte nur, du musst ihm helfen", erinnert sie sich an damals, "sonst bleibt er immer ein Krüppel und hat gar keine Chance." Behinderte Kinder hätten es sehr schwer in Ghana, sagt sie. Von diesem Tag an kümmert sie sich um Sule. Wie um ein eigenes Kind.

Durch Zufall hört sie von einem Arzt in München: Milomir Ninkovic. Und von dem Verein zur Förderung der Behandlung Brandverletzter (VfBB), den der Arzt seit 2010 unterstützt. Elis schickt die Röntgenbilder. Der Chefarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive, Hand- und Verbrennungschirurgie in Bogenhausen will helfen, der Verein steigt finanziell ein. "Ich habe diese schlimmen Verletzungen gesehen, aber auch gewusst, dass man da etwas machen kann, dass es möglich sein könnte, die Finger wieder zu rekonstruieren", sagt Ninkovic.

Die Finger sind sehr viel dicker als gesunde, haben keine Fingernägel, aber Sule kann nach zahlreichen Operationen wieder fast alles mit seinen Händen machen. (Foto: Robert Haas)

Seit 1985 gibt es den Verein in der München Klink Bogenhausen. Im Stillen tut er Großes. Denn die Behandlung von schweren Verbrennungen sei nicht nur kostspielig, sondern auch langwierig, sagt Ninkovic. Vor allem mittellose Kinder oder junge Erwachsene aus Krisengebieten, die sonst keine Chance auf eine gute Behandlung haben, sollen vom VfBB unterstützt werden.

23 Patienten - drei davon Erwachsene - hat der Verein seit 2010 betreut. Da ist zum Beispiel Mutaman aus dem Sudan, den Räuber überfallen und Batteriesäure über den Kopf geschüttet haben, da ist Yakyho aus Usbekistan, der sich Verbrennungen dritten Grades bei einem schlimmen Verkehrsunfall zugezogen hat, und da ist Basmane aus dem Benin. Das Kleid des Mädchens fing an der Kochstelle am offenen Feuer plötzlich zu brennen an.

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23 Patienten. "Das mag nicht viel sein", sagt Magdalena Koch, die seit 30 Jahren ehrenamtlich für den VfBB arbeitet. Aber die Kosten für die Behandlung eines Kindes seien hoch. Zwischen 25 000 bis 40 000 Euro. Spender seien bei diesen Summen nicht leicht zu finden. Drei Ärzte operieren die Kinder für den Verein, ohne einen Cent zu verlangen: Carsten Krohn als Leitender Arzt im Zentrum für schwerbrandverletzte Kinder, er operiert in der München Klinik Schwabing. Steven von Gernet ist Leiter der Kraniofazialen Chirurgie in der München Klinik Bogenhausen. Und eben Milomir Ninkovic.

Schwester Elis hat in Ghana Geld für die Reise nach Deutschland gesammelt. So kommt Sule nach München. Da ist er fünf. Und ein langer Weg liegt vor ihm.

Neun lange Operationen sind nötig

Durch eine Verbrennung schrumpft die Haut. Bevor überhaupt die Rekonstruktion der Finger möglich war, erklärt Ninkovic, habe zunächst einmal Gewebe transferiert werden müssen, damit die Fingerzwischenspalten neu gebildet werden konnten. Auch wird Haut aus Sules Oberschenkel entnommen und an die Hände transplantiert. Um die Durchblutung nicht zu gefährden, trennt Ninkovic dann in mehreren Operationen einen Finger nach dem anderen. In neun langen Operationen. Möglich ist das laut dem Arzt nur gewesen, weil die Basis der Knochen überhaupt noch vorhanden gewesen sei.

Eineinhalb Jahre wird Sule im Krankenhaus Bogenhausen betreut und medizinisch versorgt. Die Kosten dafür übernimmt der VfBB. Auch finanziert der Verein notwendige Therapien oder Weiterbildungen des medizinischen Personals, die die Klinik nicht zahlt. 127 Mitglieder hat der VfBB, der sich schon lang auch international einen Namen gemacht hat, mittlerweile. Viele Anfragen werden an ihn herangetragen. Nicht alle kann der Verein annehmen. Auch weil alles immer eine finanzielle Frage sei, betont Ninkovic und wünscht sich sehr, dass sich vor allem mehr junge Menschen für den Verein interessieren würden.

Weich und beweglich: Mit seinen neuen Fingern kann Sule alles greifen und spüren. (Foto: Robert Haas)

Heute ist Sule 16. Er und Schwester Elis sitzen mal wieder in der Bogenhauser Klinik. Für ein paar kleine Operationen ist er noch einmal aus Ghana nach München zur Behandlung gereist. Kleine Einschnitte in die Handflächen waren nötig, damit sich die Hand noch besser auffalten kann.

Sule erlaubt, dass man ihm über seinen neuen Hände und Finger streicht, weil man es kaum glauben kann, dass es sie überhaupt wieder gibt. Die Haut ist ganz weich. Die Finger sind sehr viel dicker als gesunde, haben keine Fingernägel. Aber sie sind sehr beweglich, und Sule fühlt alles. Kann alles, wie er sagt. Sogar schreiben. Sofort nimmt er einen Kugelschreiber und schreibt wie zum Beweis seinen Namen auf einen Block. Er strahlt. "Ich bin stolz, dass ich das alles wieder kann", sagt Sule, der leidenschaftlich gerne Fußball spielt und irgendwann einmal Informationstechniker werden will.

Der Junge ist dem Mediziner ans Herz gewachsen

Über den Vorfall selbst will er nicht sprechen. Mit seiner Mutter hat er keinen Kontakt mehr, aber mit seinem Vater, seinen Brüdern und Stiefbrüdern. Deutschland gefällt ihm sehr, vor allem die schönen Landschaften, wie er sagt, aber Ghana - "das ist Familie". Bald kann er wieder zurück zu ihr.

Über die lange Zeit der Behandlung haben Milomir Ninkovic und Sule Dramani ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut. Sule ist dem 66-jährigen Arzt ans Herz gewachsen. "Vielleicht werde ich ihn einmal in Ghana besuchen", sagt Ninkovic und lächelt Sule an. Es mache ihn glücklich zu sehen, dass man helfen konnte. Deshalb bedeute ihm der Verein auch so viel. "Für mich ist das humanitäre Hilfe". Hier gehe es um arme Kinder, die keine gute Versorgung hätten. "Wenn sie mit ihren schlimmsten Verbrennungen nicht behandelt werden, ist ihr Leben vorbei", betont der plastische Chirurg.

Für Sule ist es das nicht. Für ihn hat das Leben erst wieder richtig begonnen. Die Zukunft liegt vor ihm. Auch in Ghana.

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