Typisch deutsch:Münchner, woran glaubt ihr noch?

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Aufnahme aus dem Münchner Olympiapark beim Neuapostolischen Kirchentag 2014 (Symbolfoto). (Foto: Florian Peljak)

Das Kredo lautet: Gott wird dir nicht helfen, außer du hilfst dir selbst. Wo bleibt die Spiritualität der Stadtbewohner?

Kolumne von Olaleye Akintola

Das Gute kommt für viele Münchner nicht von oben. Auch nicht von ungefähr, sondern durch harte Arbeit. Nicht wenige Bayern beherrschen diese Tugend. Sie schuften so viel, dass sie - wenn man es ihnen erlaubt - in ihrem Bestreben, einen utopischen Staat zu schaffen, fast den Job Gottes an sich reißen könnten. Sie nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Der Refrain, der unter ihnen immer wieder zu hören ist, lautet: Gott wird dir nicht helfen, außer du hilfst dir selbst. Es irritiert mich immer wieder.

Ich bemühe mich, dies so zu übersetzen, dass Gott uns Hirn und Muskeln gegeben hat und es an uns liegt, diese zu unserem Vorteil zu nutzen. Dem Menschen wurden Augen gegeben, trotzdem verlangt es ihn nach Visionen. Das bayerische Volk mit seinen Errungenschaften im Automobilbau, in der Luftfahrt, in der Bierbrauerei. Geschaffen durch menschliche Hände und Hirne. Nur, worauf greift der Mensch zurück, wenn die Logik von Über- und Unsinn verdrängt wird?

In den fünf Jahren, die ich in Bayern verbracht habe, war ich immer wieder erstaunt, wie sehr die Säkularität die Spiritualität der Münchner überlagert. Ich stamme aus einem Umfeld, das von Religion, Modernität und Kultur beherrscht wurde. In München aber bekommen Fußballstadien deutlich mehr Aufmerksamkeit als die Kirchen der Stadt. Kneipen sind der Renner, die Messen waren auch schon vor Corona selten gut besucht.

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In der Heimat unseres Autors haben so gut wie alle Männer kurze schwarze Haare. In München musste er bemerken, dass sie einen Kamm mit sich führen und eitel auf ihre Frisur achten.

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Statt Gottesdienste gibt es Konferenzen und Seminare, die auf berufliche oder gesellschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten sind. Keine Wundergipfel, bei denen böse Geister gebannt und ausgetrieben werden, die womöglich Augen von Blinden öffnen und Lahme gehen lassen. Dafür gibt es Kliniken zur Behandlung von Kranken. Keine Befreiungsaktion, bei der die Geister der Arbeitslosigkeit aus den Gemeindemitgliedern vertrieben werden - dafür Arbeitsvermittlungsagenturen, die den Menschen Jobs verschaffen, zumindest manchen. Und die Kirchenglocken läuten, als würden sie verzweifelt um Beachtung ringen.

In Nigeria geht es bei der Spiritualität um alles. Religion spielt sogar in der Politik eine Rolle. Bei politischen Versammlungen wird in drei Dimensionen gebetet - christlich, muslimisch und traditionell, sonst würde es zu Konflikten kommen. Der Präsident und sein Stellvertreter müssen ein Duo eines Christen und Muslim sein oder umgekehrt, um bei einer Wahl antreten zu können, da sonst der Vorwurf der religiösen Diskriminierung aufkommt.

Das unter Christen in Nigeria verbreitete Mantra lautet, dass Gott immer noch Wunder vollbringt. Das gepredigte Wohlstandsevangelium besagt, dass man kleine Samen säen und dafür millionenfachen Segen ernten kann. Biblische Lehren wurden von den religiösen Führern zum persönlichen Vorteil interpretiert. Kann Religion vorgeschoben werden, um Spiritualität zu suggerieren?

Wenn es ein Vakuum der Allmacht im menschlichen Leben gibt, ob in Nigeria oder in Bayern, das sich während der Pandemie gezeigt hat, dann suchen selbst die Spirituellsten der Spirituellen nach weltlichen Antworten auf die Fragen, die die Pandemie aufgeworfen hat: Wem geben wir die Schuld an den Missgeschicken des Lebens? Wer hat Allheilmittel für die Probleme der Menschheit? Die Regierung oder die Wissenschaft?

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Von Korbinian Eisenberger

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

© SZ vom 20.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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