Agenda 2050:So soll München eine klimaneutrale Stadt werden

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In den kommenden 30 Jahren will die Stadt die Emission von Treibhausgasen radikal senken. (Foto: Claus Schunk)

Um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, will der Stadtrat in den nächsten drei Jahren fast 100 Millionen Euro in mehr als 100 Projekte stecken. Ein Überblick.

Von Dominik Hutter und Andreas Schubert

Klimaneutralität. Es klingt ambitioniert, was sich die Stadt bis 2050 vornehmen will: eine radikale Absenkung der Treibhaus-Emissionen, und nach Einschätzung von Umweltreferentin Stephanie Jacobs umfasst der Begriff nicht nur die Auswirkungen auf die Erdatmosphäre, sondern auch das lokale Stadtklima. Also die Luftqualität ganz allgemein, die Versorgung mit Grünflächen, die Wohnbedingungen, und damit die Lebensqualität in München ganz allgemein.

In Zahlen bedeutet Klimaneutralität: Die rund 6,5 Tonnen Treibhausgas (vor allem Kohlendioxid), die jeder Münchner aktuell pro Jahr in die Atmosphäre entlässt (die Zahl stammt von 2014), sollen bis 2030 auf drei Tonnen und bis 2050 auf 0,3 Tonnen sinken. Um auf diesem Weg voranzukommen, hat sich die Stadt ein Klimaschutzprogramm verordnet, das nun aktualisiert wird. Das Paket umfasst 113 Klimaschutzmaßnahmen. 52 davon sind neu, 61 wurden fortgeschrieben oder neu formuliert. Das Thema steht an diesem Mittwoch auf der Tagesordnung des Stadtrats-Plenums.

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Ein solches Aktionsprogramm umfasst abstrakte wie auch sehr konkrete Vorschläge - von LED-Leuchten für Straßenlaternen bis hin zu einer besseren Bewusstseinsbildung bei den Münchnern. Besonders wichtig sind die Bereiche Energieversorgung und Wärmedämmung. Das Umweltreferat rechnet für die Jahre 2019 bis 2021 mit Investitionskosten von 92 Millionen Euro - unter anderem für Förderprogramme. Dazu kommen Kosten für externe Berater und neue Stellen in der Stadtverwaltung.

Die externe Fachbetreuung der Verwaltung kommt zu dem Schluss, dass mit dem nun aktualisierten Programm Einsparungen von jährlich bis zu 1,2 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr möglich sind. Das sei durchaus relevant. Das Klimaschutzziel 2050 könne damit aber nicht erreicht werden. Dazu gebe es "zu schwache politische Signale und Entscheidungen". Letztlich würden wirkungsvollere Maßnahmen benötigt, die Stadt bleibe hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Saubere Energie

Wie wichtig das Thema Energieversorgung für den Klimaschutz ist, zeigt die für diesen Bereich erhoffte Einsparung von Kohlendioxid: 978 131 Tonnen pro Jahr. Es geht in erster Linie darum, wie der zu 100 Prozent städtische Energieversorger Stadtwerke seinen Strom und seine Fernwärme erzeugt. Den größten Effekt hat dabei die Ausbauoffensive erneuerbare Energien, mit denen die SWM von fossilen Brennstoffen auf Wind-, Sonnen- und Wasserenergie umstellen wollen. Wobei die externe Fachbetreuung zu bedenken gibt, dass viele der neuen Öko-Anlagen außerhalb der Stadt stehen. Gefördert werden soll aber auch das Fernkältesystem, die energetische Verwertung des Ochsen-Methans am Gut Karlshof sowie möglicherweise der Bau von Mini-Windanlagen auf Gebäuden.

Mehr Erholungsflächen

Allein auf dem Papier lässt sich kein messbarer Klimaschutz betreiben. Nach Ansicht des Umweltreferats kann aber mit einer guten Stadtplanung indirekt und langfristig sehr viel getan werden, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Durch Naherholungsgebiete etwa, in denen Münchner ihre Freizeit verbringen können, ohne das Auto für eine Tour durchs Voralpenland vollpacken zu müssen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Münchner Grüngürtel und den nahe der Stadt gelegenen Waldflächen. Kaltluftschneisen und geschickt angeordnete Grünflächen ermöglichen auch in bebauten Gebieten ein angenehmeres Stadtklima im Sommer - der sogenannte Wärmeinseleffekt, ein klassisches Metropolenproblem, soll damit abgemildert werden.

Bessere Dämmung

Es geht um bessere Energiestandards sowohl bei Neubauten als auch bei Sanierungen bestehender Wohnhäuser. Durch modernere Heizungen und eine bessere Wärmedämmung der Fassaden verspricht sich das Umweltreferat eine Einsparung von 8642 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Eine besondere Rolle spielt dabei das seit Jahren laufende Förderprogramm Energieeinsparung, das aufgestockt werden soll und dann über ein jährliches Budget von 14,5 Millionen Euro verfügt. Mit dem Geld sollen Hauseigentümer ermuntert werden, ihr Gebäude energetisch auf den neuesten Stand zu bringen. Weil die städtischen Wohnungsgesellschaften GWG und Gewofag über eine Vorbildfunktion verfügen sollen, plant das Umweltreferat eine Überprüfung der Standards in deren Wohnungsbeständen.

Sparsame Büros

Die Münchner Stadtverwaltung hat mehr als 30 000 Mitarbeiter - entsprechend viele Büroräume gibt es. Die Stadt will deshalb auch ihre eigenen Bauten genau unter die Lupe nehmen. Wo lässt sich noch Energie einsparen oder auch ökologisch günstiger beziehen? Wie bei Wohnhäusern geht es um effiziente Heizungssysteme, eine sparsame Beleuchtung und eine gute Wärmedämmung. Nach Aufmotzen der kommunalen Bürobauten sollen 113 386 Tonnen Kohlendioxid weniger in die Atmosphäre entweichen. Nach Möglichkeit sollen Ökostrom und Ökogas verwendet werden. Parkplätze und Tiefgaragen der städtischen Bauten sollen mit Ladestationen für Elektroautos aus dem städtischen Fuhrpark nachgerüstet werden. Die Hausverwaltungen sollen Öko-Schulungen erhalten.

Pakt mit der Wirtschaft

Will München klimaneutral werden, müssen auch die Unternehmen ihren Anteil leisten. Die Stadt sieht sich dabei als "Motivator und Initiator" für Klimaschutzmaßnahmen. Die Firmen sollen informiert, gefördert und beraten werden, dazu kommt eine Vernetzung derer, für die das Thema relevant ist. Es gibt bereits den Klimapakt Münchner Wirtschaft, in dem sich 15 Münchner Großunternehmen freiwillig für Klimaschutz engagieren. Dieses Bündnis soll nach Willen des Umweltreferats fortgesetzt werden, es habe das ursprünglich angesetzte Klimaschutzziel bereits übertroffen und diene außerdem als wertvolles Netzwerk zum Informationsaustausch. Neue Gewerbebauten sollen energiesparend geplant und mit hocheffizienten Energiespeichern ausgestattet werden.

Effiziente Beleuchtung

München leuchtet - anders als bei Thomas Mann gilt dieser Satz am Straßenrand auch im Präsens, und das in jeder einzelnen Nacht. Die Stadt will daher auch bei der sogenannten "elektrischen Verkehrsinfrastruktur" noch im Sinne des Klimaschutzes nachbessern. Derzeit sind an Masten und Stromkabeln zu 70 Prozent Leuchtstofflampen und zu 30 Prozent Natriumdampfhochdrucklampen installiert, die laut Stadt als hocheffizient und außerdem insektenfreundlich gelten. In Freiham läuft ein Pilotprojekt mit LED-Lampen, die seit zwei Jahren bei Neuplanungen obligatorisch für die Außenbeleuchtung sind. Prüfen will die Stadt auch, Lampen automatisch nach Bedarf einzuschalten oder spätnachts zu dimmen.

Freie Bahn fürs Fahrrad

Beim Verkehr kommt die Klimaschutzplanung der Stadt nur sehr langsam voran, das räumt das Umweltreferat ein. Es gebe keine "strengeren nationalen Klimaschutzvorgaben für Pkw" und obendrein ein "ungebremstes Gesamtverkehrsaufkommen". Immer mehr Güter würden auf der Straße transportiert, die Privatautos würden immer größer und schwerer. Das Umweltreferat hält eine "Trendwende in der Verkehrspolitik" für unabdingbar. Dazu gehöre letztlich eine Neuaufteilung des Straßenraums, aber auch eine bessere Akzeptanz in der Bevölkerung. Neben Elektromobilität und MVV will die Stadt deshalb vor allem auch den Radverkehr fördern, durch Radschnellwege etwa. Zudem sollen das Radwegenetz ausgebaut und mehr Abstellmöglichkeiten geschaffen werden.

Alternativen für Familien

Wer in der Stadt lebt, kommt meist sehr gut ohne Auto aus. Wenn junge Paare aber eine Familie gründen, schaffen sie sich häufig doch einen Wagen an, weil Großeinkäufe oder Ausflüge damit einfach bequemer zu bewerkstelligen sind. Mit dem Programm "Go! Family" wirbt die Stadt schon seit 2014 bei jungen Familien für Alternativen zum Auto. Einerseits können sie sechs Tage lang ein Kindertransportrad oder einen Kinderanhänger testen. Wollen sie diese dann kaufen, gibt es sechs Prozent Rabatt. Für die öffentlichen Verkehrsmittel gibt es testweise einen Monat lang für 29 Euro das "Münchner Kindl Ticket". Wer ab und zu ein Auto nutzen möchte, kann ein Jahr lang Mitglied beim Carsharing-Anbieter Stattauto werden - ohne Kaution, ohne Anmelde- und Grundgebühr.

Dienstfahrt ohne Auto

Es geht "nur" um 1771 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, das Umweltreferat will sich aber trotzdem auch für die Erneuerung und vor allem Umstellung des kommunalen Fuhrparks engagieren. Dienstfahrten in München sollen möglichst mit Fahrrädern oder Pedelecs absolviert werden. Dafür gibt es bereits das Projekt "LHMobil - bring die Verwaltung aufs Rad". Wo kein Wille oder keine Möglichkeit fürs Radeln vorhanden ist, sollen bevorzugt öffentliche Verkehrsmittel oder zumindest umweltfreundlichere Fahrzeuge verwendet werden. Dazu soll der städtische Autobestand auf Elektromotoren oder einen anderen alternativen Antrieb umgestellt werden. Geht es doch einmal nicht ohne das Flugzeug, sollen die Kohlendioxid-Emissionen zumindest kompensiert werden.

Ziele für alle

Jeder Münchner, darauf weist das Umweltreferat ausdrücklich hin, verfüge über "immense CO₂-Einsparmöglichkeiten". Man muss sich nur der Problemlage bewusst sein, und dabei will die Stadt mit Informationen und einer Marketingstrategie helfen. Der Klimaschutzaktionsplan sieht vor, jedes Jahr unter ein bestimmtes Klimaschutz-Motto zu stellen, Jahr der Energie etwa, Jahr der Mobilität oder Jahr des Konsums. Verbände, Vereine wie auch die Stadtverwaltung selbst sollen ermuntert werden, das Thema aufzugreifen und die Münchner gezielt zu einem klimafreundlichen Verhalten zu animieren. Aus Sicht der Stadt wird die freiwillige Mitwirkung der Bürger immer wichtiger, da die Einsparmöglichkeiten in der Verwaltung durch die vielen Klimapakete zunehmend ausgeschöpft werden.

© SZ vom 24.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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