Dieses Bild, das hat ihn schon gejuckt. "Das hat es noch nie so gegeben, das muss man den Leuten doch zeigen", sagt Karsten Schwanke. Vor seinem inneren Auge entwirft der Meteorologe 40 bis 50 Sekunden für den Wetterbericht nach den Tagesthemen, den er im Wechsel mit Kollegen moderiert: Erst hätte er das Bild gezeigt, zehn Sekunden lang vielleicht, damit die Zuschauer es aufnehmen können, und dazu zwei, drei Sätze gesprochen: Sie sehen hier die Nordküste Grönlands, aufgenommen von einem Satelliten aus dem All. In dieser Region wird das Meereis normalerweise dicht zusammen geschoben. Doch zurzeit ist das anders.
"Ich blicke morgens auf die Karten und sehe, da stimmt was nicht", sagt der Wetterexperte
Dann wäre hinter ihm vielleicht ein Bild vom Forschungsschiff Polarstern erschienen: Darum sind hier noch nicht einmal Eisbrecher hingekommen - doch jetzt ist hier ein Loch. Die Polarstern ist gerade in der Gegend und hat Kurs darauf genommen. Denn auch die Wissenschaftler waren völlig überrascht. Sie haben gedacht, das sich in dieser Gegend das Meereis am längsten halten kann. Zum Abschluss dann vielleicht eine Grafik, wie wegen des Klimawandels die Eisbedeckung der Arktis immer weiter zurückgeht. Und dann der Übergang zur Wetterlage in Deutschland und den Aussichten für morgen.
Dieser Beitrag ist weder produziert noch gesendet worden. Aber Schwanke wird andere Gelegenheiten finden, den Klimawandel in den abendlichen Wetterbericht einzuflechten, so wie er es zum Beispiel Mitte August mit einem Rückblick auf den Juli getan hat. "Wenn sich etwas derart deutlich anbietet, ist das doch eine sehr gute Gelegenheit für den Blick über den Tellerrand. Und die Veränderungen am Nordpol oder bei den Durchschnittstemperaturen, das ist doch eindeutig größer als morgen, also wichtiger als irgendwelche Hintergrundinformationen über die aktuelle Wetterlage oder die Aussichten für die kommenden Tage."
Mit dieser Haltung ist Schwanke nicht allein. Sein Kollege Özden Terli beim ZDF hat fast so etwas wie ein Markenzeichen daraus gemacht und greift das Thema Klimawandel häufig auf. "Wir sehen schon sehr viele Ungereimtheiten im Wetter, vor allem wenn der Jetstream wieder sehr weit mäandert und Hoch- oder Tiefdruckgebiete über uns festhält", sagt er. Dass es wie in diesem Sommer die ganze Nordhalbkugel auf einmal betraf, sei einmalig gewesen. "Ich blicke morgens auf die Karten und sehe, da stimmt was nicht. Wie kann ich es denn dann rechtfertigen, nicht über das Klima zu reden?"
Insgesamt ist es aber eine neue Entwicklung, dass der Klimawandel im Wetterbericht thematisiert wird. Früher hätten die meisten Meteorologen auf eine klare Trennung zwischen Wetter und Klima gepocht, auch Karsten Schwanke sagt, er habe am Anfang seiner Karriere vor 20 Jahren noch so gedacht. "Der Kommunikationskanal Wetterbericht ist von der Kommunikationsforschung lange unterschätzt worden", sagt Inge Niedek, Vorsitzende der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft und Leiterin des internationalen Verbandes der Wettermoderatoren IABM. Sie hat bis 2015 verantwortlich in der ZDF-Wetterredaktion Berichte für Nachrichten- und Magazinsendungen präsentiert. "Aber das ist eine gute Plattform, um die Zuschauer darüber zu informieren, was der Klimawandel bewirkt - die sollten wir nutzen. Leute, die das fachliche Hintergrundwissen haben und das verständlich vermitteln können, die werden wir noch mehr brauchen."
Ein Kommunikationsforscher, der den Wetterbericht früh als Plattform entdeckt hat, ist Ed Maibach von der George Mason University in Fairfax bei Washington DC. "Wettermoderatoren können viele Menschen erreichen, sie sind allabendlich in den Wohnzimmern als vertrauenswürdige Stimmen willkommen", sagt er. Die Moderatoren der örtlichen Fernsehsender könnten daher Barrieren in der aufgeheizten amerikanischen Debatte durchbrechen, wo Informationen oder Miss-Informationen zum Klimawandel strikt nach Parteipräferenz aufgenommen werden. Der Wetterbericht ist von dieser Zäsur noch ausgenommen, auch wenn der Karikaturist David Sipress sich im New Yorker neulich ausmalte, wie Fernsehsender erst das Wetter für Demokraten, dann das Wetter für Republikaner präsentieren könnten.
Maibach hat unter anderem zusammen mit Heidi Cullen von der Organisation Climate Central das Programm Climate Matters gestartet und wendet sich damit gezielt an Wettermoderatoren lokaler Stationen. Er ermutigt sie, kurze Hintergrundinformationen über Durchschnittstemperaturen, Brutbedingungen für Mücken, die Zunahme der Waldbrände oder den Rückgang der Regenmengen in ihre Berichte aufzunehmen. "Zehn Sekunden, mehr braucht man dazu gar nicht", sagt Maibach. "Es ist sogar besser, es kurz zu halten, und lieber öfter neue Informationen zu präsentieren."
Inzwischen versorgt Climate Central bereits einige Hundert Meteorologen regelmäßig mit Informationen und Grafiken zum Klimawandel. Das mag zu dem erkennbaren Stimmungswandel unter den US-Meteorologen beigetragen haben, den Maibachs Forschungsteam mit regelmäßigen Umfragen belegt.
Antworteten 2011 erst 19 Prozent der Teilnehmer, der Klimawandel werde vor allem von der Menschheit ausgelöst, so waren es 2017 schon 49 Prozent. Dass natürliche Phänomene ungefähr genauso stark zur globalen Erwärmung beitrügen wie die Menschen, hatten zuvor noch 35 Prozent der Befragten angenommen, nun waren es nur noch 21 Prozent. Und die Verfechter der Position, es gebe doch gar keinen Klimawandel, gingen von neun auf ein Prozent zurück. Allerdings dürfte die Erhebung nicht repräsentativ für den amerikanischen Fernsehmarkt insgesamt sein, wo die Konservativen sich in ihrem Haussender Fox nach Belieben abschotten können.
Längst sind ähnliche Initiativen über die USA hinaus entstanden. Die meteorologische Weltorganisation WMO hat schon zweimal Journalisten aus aller Welt aufgerufen, sich an weltweiten Aktionen zu beteiligen. 2015 sollten sie einen fiktiven Wetterbericht für das Jahr 2050 produzieren. Ein Journalist bei Cubavision beschrieb hier den fiktiven Hurrikan Filomena, der mit Stufe 5, also maximaler Stärke und Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 Kilometern pro Stunde durch die Karibik fegt - zwei Jahre, bevor die Wirbelstürme Irma und Maria 2017 genau das taten und auf den Inseln und dem Festland mindestens 3000 Menschen töteten, nach einer anderen Schätzung sogar 5000, sowie gewaltige Schäden anrichteten. Im vergangenen Jahr sollten die Meteorologen dann den Blick ins Jahr 2100 richten. Özden Terli verglich dabei mit futuristischer Grafik das künftige Stadtklima Berlins mit den Verhältnissen im heutigen Bukarest.
Eine weitere globale Aktion startete in diesem Sommer Jeff Berardelli von der CBS-Station in West Palm Beach/Florida. Unter dem Hashtag #metsunite überredete er Dutzende, vielleicht Hunderte - eine genaue Statistik gibt es nicht - seiner Kollegen, am Tag der Sommersonnenwende im Juni ein blau-rotes Streifenmuster zu zeigen oder in die Kamera zu halten, gedruckt auf einen Kaffeebecher, eine Krawatte, einen Anhänger oder Ohrringe.
Es handelte sich dabei um die "Warming Stripes", die der britische Forscher Ed Hawkins von der University of Reading erdacht hat. Sie zeigen die Durchschnittstemperaturen als farbige Streifen vom dunklen Blau für das kälteste Jahr der Aufzeichnungen bis zum dunklen Rot für das wärmste; dieses ist vor allem rechts zu sehen. "Ich habe die Warming Stripes von Ed Hawkins gesehen, und die Schlichtheit hat etwas in mir zum Klingen gebracht", sagte Berardelli zu seiner Aktion. "Unser Einfluss auf das Klima ist bereits so groß oder größer als die natürlichen Schwankungen. Das ist real, das sind wir, das ist ernst."
Auch an der Aktion #metsunite hat sich Özden Terli beteiligt, Mitte Juli zeigte der ZDF-Journalist auch noch die deutsche Version. "Das kann ich natürlich nicht machen, wenn am nächsten Tag schwere Gewitter zu erwarten sind, dann brauche ich die Zeit", sagt er. "Aber ansonsten bin ich frei, selbst zu entscheiden, wie ich mir die 90 Sekunden einteile." Dabei fällt auf, dass Terli in seinen Sendungen zu dem Thema kaum von "Klimawandel" spricht: "Ich finde, das Wort ist zu schwach. Es ist eine Krise, die Klimakrise. Und die Zuschauer, die es interessiert, wissen auch, dass diese Krise menschengemacht ist."
Mit seinem Engagement eckt der Wettermoderator inzwischen auch an. Nicht im Sender, wo sein Engagement wohlwollend aufgenommen wird, sondern bei einem Teil des Publikums. "Es gibt da draußen Menschen, die das nicht goutieren und die auf vermeintliche oder echte Fehler lauern. Aber die positiven Reaktionen überwiegen", sagt er. "Und ich denke, dass wir die Kommunikation sogar noch verschärfen müssen." Das Publikum werde ihm dabei folgen, ist er sicher. Das hat er zum Beispiel in diesem Hitzesommer gespürt, als er sich auf Facebook den Fragen von Zuschauern stellte: "Früher haben sich die Leute nach den Details des Wetters in ihrem Ort erkundigt, inzwischen möchten sie wissen, warum das Wetter so ungewöhnlich ist."
Diese Erfahrung hat auch Karsten Schwanke gemacht. Endlich sagt's mal einer, bekommt er oft zu hören, aber auch den Vorwurf, er gehöre also nun auch zur Lügenpresse. Auf die Frage, ob er in den Wohnzimmern solcher Kritiker noch als "vertrauenswürdige Stimme" wahrgenommen werde, sagt er nachdenklich: "Ich muss hinnehmen, dass die Fronten verhärtet sind. Die Leugner werde ich nicht bekehren können. Aber das sind nur wenige, viel weniger als die anderen, die solche Informationen begrüßen. Das ist sehr angenehm." Die Angriffe würden ihn jedenfalls nicht davon abhalten, seinem Verantwortungsgefühl zu folgen, sagt Schwanke: "Wir müssen die Augen aufmachen."